Heute war es soweit, die Doppelbeerdigung von meinem Vater und meinem Sohn. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht, mich nur unruhig hin und her gewälzt. Gegen 5 Uhr beschloss ich, aufzustehen, denn schlafen hatte keinen Sinn mehr. Ich tapste leise in Julians Küche und kochte mir einen Kaffee, mit dem ich mich auf die Terrasse setzte. Die Sonne war gerade am Aufgehen, weshalb es noch etwas frisch, aber zum Aushalten war. Ich nippte einige Zeit an meinen Kaffee, ehe ich mich mit einem Stift bewaffnete und anfing, die Grabreden zu schreiben, die ich naher halten wollte. Ich musste einige Male stoppen, da ich vor lauter Tränen in den Augen nicht mehr sehen konnte, was ich schrieb. Diese Reden forderten meine ganzen Kräfte und Tränen. Nach knapp zwei Stunden war ich fertig, weshalb ich beschloss, duschen zu gehen. So verweint und fertig wie ich aussah, durfte mich keiner sehen. Weder Julian, noch Josi oder Erik.Das kalte Nass der Dusche beruhigte mich erstaunlich schnell und kühlte mein verquollenes Gesicht. Ich weiß nicht, wie lange ich geduscht hatte, aber irgendwann wurde ich vollkommen aus meiner Welt gerissen, als Julian sanft gegen die Tür klopfte. „Carly? Ist alles ok bei dir?". Ich seufzte. Nein, nichts war ok. Rein gar nichts war nur ansatzweise ok bei mir oder meinem Leben. Wie auch, wenn meine gefühlte halbe Familie tot oder dabei war zu sterben?! Wie sollte mein Leben jemals wieder ok werden, wenn ich niemanden hatte, der es von Anfang an miterlebt hatte und genau wusste, wie ich tickte oder wie es mir ging? Ich band mir schnell ein Handtuch um und öffnete die Tür. Julian guckte mich besorgt an und versuchte zu lächeln. Man, Julian sah genau so fertig aus, wie ich. „Du hast nicht gut geschlafen, oder?", ich schüttelte den Kopf und lehnte mich gegen seine Brust. Er gab mir einen zarten Kuss aus meine Stirn und krauelte meinen Rücken ein wenig. „Tut mir leid, wenn ich die die ganze Nacht wachgehalten habe..." „Alles gut! Ist nicht schlimm! Ich weiß doch, wie schlecht es dir momentan geht und hab volles Verständnis dafür! Sag aber Bescheid, wenn du reden willst oder etwas ist!". Ich nickte mit einem zögerlichen Lächeln und gab ihm einen sanften Kuss, ehe ich mich an ihm vorbeischlängelte, um mich fertig zu machen.
Der Wagen hielt. Ich atmete noch ein Mal tief durch, bevor ich die Tür öffnete. Es waren schon viele Leute da. Alle waren schwarz gekleidet und hatten einen düsteren Blick; einige hatten bereits Tränen in den Augen und schnieften in ihre Taschentücher. Julian kam zu mir und nahm meine Hand. Ich versuchte, ihn schwach anzulächeln, ehe wir uns in Bewegung setzten und die kleine Kirche, am Rand Paris', betraten. Sie war schlicht dekoriert. Lediglich einzelne Fotos meines Vaters und Blumen schmückten den kleinen Saal. Viele Reihen waren schon vollständig gefüllt, hauptsächlich von Spielern und Mitwirkenden von PSG. Einige alte Spieler vom BVB waren auch gekommen. Auf dem Weg nach vorne zu meinem Platz bekam ich viele Bemitleidungen, teils auf Deutsch, teils auf Französisch. Wir setzten uns und der Pfarrer eröffnete die Gedenkfeier. Ein paar traurige Lieder, die ich vorher ausgewählt hatte, wurden abgespielt und bereits jetzt weinte der halbe Saal; mich mit einbegriffen. Es wirkte alles noch so unfassbar surreal und trotzdem war es der gemeine Hauch der Realität...
Der große Sarg meines Vaters, stand neben dem kleinen Sarg, meines ungeborenen Sohnes. Die beiden sollten ein Doppelgrab bekommen, damit keiner von ihnen alleine war. Der Pfarrer sprach eine Weile über meinen Vater und sein Leben. Da nicht alle Deutsch verstanden, hatte Julian im Vorhinein für Übersetzter gesorgt, damit auch alle wussten, was gesagt wurde. Nach einer halben Stunde war ich mit meinen Reden dran, die ich in aller frühe geschrieben hatte, auf Deutsch, denn so gut war mein Französisch dann doch wieder nicht. Ich stand auf, atmete noch einmal tief durch und stellte mich vorne ans Rednerpult. In meinem Hals hatte sich ein heftiger Kloß gebildet. Ich schluckte ihn runter und ließ meinen Blick durch die gefüllten Reihen schweifen. Die meisten hatten verweinte Augen und bereits Unmengen an Taschentüchern verbraucht. Ich schluckte, schwenkte meinen Blick auf die Blätter und räusperte mich, ehe ich die ersten Worte zaghaft aussprach: „E-erstmal vielen Dank, dass ihr heute alle hier seid. Das hätte mein Vater genau so gewollt. Diese Feier kommt meines Erachtens definitiv zu früh. Ich denke mal, dass nicht nur ich das so sehe, aber leider können wir nichts ungeschehen machen. Deshalb habe ich etwas Kleines vorbereitet. Aber nun erstmal zu dir, Papa. Du hast mich die ganzen Jahre immer unterstützt, mich nie aufgegeben und immer an mich geglaubt. Du hast mir in schwierigen Zeiten, wieder auf die Beine geholfen und mir hier, in Paris, ein neues Leben, mit neuen tollen Leuten und Momenten, geschenkt.", Ich stoppte kurz und wischte mir die Tränen, welche mir übers Gesicht liefen, weg, „Tschuldigung... Wo war ich, ach ja! Du warst immer mehr als nur ein Vater. Du warst vielmehr ein Freund, mein bester Freund, von Anfang an. Ich konnte mit dir reden, wie mit gleichaltrigen und du hast mich immer verstanden. Du hast mich nie im Stich gelassen und alles für mich getan, um mir ein möglichst normales Leben, abseits der Presse und der Öffentlichkeit zu geben. Das ich jetzt mit einem Fußballprofi zusammen bin, bringt zwar deinen ganzen Plan durcheinander, und trotzdem bin ich froh, wie ein normales Kind aufgewachsen zu sein! Du hast mir gezeigt, wie schön das Leben sein kann, selbst wenn es mal aussichtslos und düster erscheint. Dass du so früh gehen musstest, hätte niemand für möglich gehalten und doch bist du jetzt nicht mehr hier... Papa, wenn ich an dich denke, denke ich an einen liebevollen, hilfsbereiten, offenen und einfach tollen Menschen und ich bin einfach nur froh, dich kennengelernt haben zu dürfen! Und am Meisten macht es mich stolz, dich meinen Vater nennen zu dürfen! Danke für Alles, Papa, was du für mich getan hast! Ich werde dich nie vergessen...", ich stoppte zum wiederholten Mal und schaute erneut in die Menge. Spätestens jetzt weinten auch die letzten Gäste. Hier und dort wurde geschnieft und geschluchzt. „Kommen wir nun zu dir, mein kleiner Sonnenschein. Leider musstest du schon viel zu früh gehen und ich hatte keine Chance, dich kennen zu lernen... Am Anfang hast du uns zwar eine Menge Stress, Streit und Kraft gekostet, trotzdem haben wir uns alle unheimlich auf dich gefreut. Wir wollten alles mit dir erleben. Deine ersten Schritte, deine ersten Zähne, deine ersten Worte... Wir hatten so viel mit dir vor, doch dass es so kommt, dass hatte keiner geahnt und gewollt. Selbst wenn ich dich nicht kennenlernen konnte und durfte, so weiß ich, dass du ein ganz toller Mensch warst, mit dem wir bestimmt viel Spaß und Freude gehabt hätten! Mit dir wäre unsere kleine Familie vollständig gewesen... Mein kleiner Fußballer, du wirst immer eine riesen Lücke in meinem Herzen hinterlassen und ich werde dich für immer in Erinnerung behalten! Nun bist du ein kleiner Stern am Himmel und passt von dort, mit Papa, auf uns auf! Ich werde dich immer lieben, mein kleiner Linus...", ich wischte mir die Tränen von den Wangen und ging schluchzend auf meinen Platz zurück. Julian legte seinen Arm um mich und tröstete mich. Der Pfarrer sagte noch einige Zeilen, von denen ich aber nichts mehr mitbekam. Als sich schließlich alle erhoben und die Särge hinausgetragen wurden, nahm ich Julians Hand und folgte den Särgen. Nach einigen Metern stellten sich die gesamte Trauergemeinschaft um die Aushebung auf, in die dann die Särge hinabgelassen wurden. Währenddessen hatte mich Julian in den Arm genommen; ich weinte bitterlich in meine Hände, die ich mir vors Gesicht hielt. Ich kniete mich vor das Grab nieder und schmiss zwei rote Rosen hinein. „Ich werde euch stolz machen! Das verspreche ich! Ich liebe euch!", flüsterte ich und erhob mich wieder unter Tränen. Julian warf seine Rose schließlich auch hinein und kam auf mich zu. „Wollen wir nach Hause gehen?" ich nickte nur schluchzend. Julian sagte den anderen Bescheid, denn eigentlich war noch eine kleine Trauerfeier bei uns geplant, aber dafür hatte ich einfach keine Kraft mehr. Zusammen mit meinem Freund verließ ich das Friedhofsgelände und fuhr zurück nach Hause.
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In guten, wie in schlechten Zeiten (Julian Draxler FF)
FanfictieCarlys Vater, Thomas Tuchel, tritt seinen neuen Job als Cheftrainer bei Paris Saint-Germain an und Carly entschließt sich, mit ihm nach Paris zu ziehen. Neue Leute, neue Stadt, neues Leben, erhofft sich die 21-Jährige.Wäre da nicht dieser Fußballer...