Teach Me

7.5K 361 73
                                    

Meine Laune war im Keller. Ein erneuter Blick auf den knittrigen Zettel in meiner Hand überzeugte mich von der Notwendigkeit, meine Winterferien eingesperrt zuhause zu verbringen und zu lernen ...

Mein Vater würde mir den Arsch aufreißen, wenn die Sechs auf meinem Zeugnis zum Endjahr nicht verschwunden sein würde. Die würde meinen kompletten Schnitt versauen und im schlimmsten Fall dazu führen, dass mein Paps mir verbieten würde, mit in den Urlaub zu fahren in den Sommerferien. Ich hatte allerdings viel mehr Lust auf jobben, leben, feiern, flirten ... versuchen, dem wirklich heißen Carlton Boyd etwas näherzukommen.

Ich schmunzelte bei dem Gedanken daran und schob ihn sogleich beiseite. Der heißeste Typ der Schule, sicher ... der, den jedes Mädchen und insgeheim auch jeder zweite Kerl gerne nageln würde. Wie passte ich da rein?

Ich seufzte, schulterte meinen Rucksack und wanderte zum "Schwarzen Brett", in der Hoffnung, dort einen geeigneten Nachhilfelehrer zu finden.

Angefressen überflog ich den ganzen Unsinn, der sich aus Anzeigen für kostenlose Meerschweinchenbabies, gebrauchte CDs, Bandgründungen und Lerngruppen zusammensetzte. Angebote für Nachhilfe in Mathe gab es nur zwei. Einer der Anbieter war erst in der 10. Klasse und konnte folglich mit dem Stoff der Oberstufe nichts anfangen. Anbieter Nr. 2 ließ mich genervt aufseufzen.

Oliver Hayes, Senior im letzten Jahr ... ein Nerd mit Brille und komischen Klamotten. Jeder kannte Oliver, jeder wusste, dass er der größte Streber der Schule war.

Warum musste es mich so hart treffen? Warum hatte es nicht zur Abwechslung mal einer sein können, der nicht nur Grips hatte, sondern auch nach was aussah?

Für jemanden wie mich, der die Gesellschaft anderer Männer bevorzugte, war das die größte Pleite überhaupt.

Mir würde jedoch nichts anderes übrig bleiben, wenn ich meinen Vater davon überzeugen wollte, mir nicht die Hölle heißzumachen. Denn es würde schwer genug sein, ihm die Sechs später zu beichten. Da würde es ihn etwas besänftigen, wenn ich ihm gleich einen Nachhilfelehrer für mich präsentieren konnte.

Das malträtierte Zeugnis in die Tasche schiebend, verließ ich das Schulgebäude und schlug meinen Kragen gegen den kalten Wind hoch. Ich hasste den Winter schon immer. Da ich wusste, wo Oliver normalerweise abhing, machte ich mich geradewegs auf den Weg in die kleine Baracke, die unsere bescheidene Bibliothek beherbergte. Und tatsächlich hockte er da an einem der Tische, seine lange Nase in einem elend dicken Wälzer vergraben, die Brille halb von selbiger hängend. Seine nussbraunen Haare kräuselten sich über dem Kragen seines Pullunders und ich verdrehte innerlich die Augen.

Verschwendetes Potential, eindeutig.

»Hey, Oliver. Hast du eine Minute?«

Ein wenig schielend, weil er so lange auf das Buch gesehen hatte, hob er den Kopf und sah mich einen Moment an. Ich war ihm nicht ganz unbekannt, auch wenn das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen hatten, bereits zwei Jahre her war. Wir waren zusammen im Festkomitee gewesen, weil meine Mutter dies von mir verlangt hatte. »Das macht sich so gut auf deiner Uni-Bewerbung!«, hatte sie getönt.

Er und ich – sagen wir, Freunde würden wir wohl nicht mehr werden nach der Aktion mit den Eiern, die ich gebracht hatte damals.

»Seth ...«, murmelte er nur und putzte seine Brillengläser ab.

»Ich ... ich brauche deine Hilfe.«

»Das dachte ich mir. Jemand wie du kommt immer nur, wenn er etwas braucht. Also?«

Ich nahm Platz und versuchte, ihn einfach anzusehen, aber immer, wenn ich das tun wollte, kräuselten sich meine Lippen in einem Lachen. Ich hatte die Sache damals noch nicht vergessen und fand sie immer noch zum Totlachen.

Teach MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt