Tausende kleine Lichtpunkte waren am nächtlichen Himmel zu sehen, tausende Bewohner eines fremden Reiches weit außerhalb der Welt. Oder vielleicht waren sie sogar selbst tausende Zugänge in unbekannte Welten. Der schneeweiße Mond beschien ein kleines Haus in einer Senke. Sein Licht fiel durch ein Fenster auf ein Mädchen. Sie war wach, doch nicht, um sich wie so oft die Sterne anzusehen und sich die ganzen fernen Welten jenseits des Mondlichts auszumalen. Das Mädchen weinte. In den kleinen salzigen Bächen, die von ihren Augen ihr Gesicht hinabliefen, spiegelten sich Mond und Sterne. Wie gern das Mädchen jetzt in einer dieser Welten wäre! In einer eigenen kleinen Welt, die sie erschaffen hätte und in der alles so wäre, wie sie es sich vorstellte.
Aber sie war nicht dort. Sie lebte auf dem Planeten Erde. Wäre sie gerade nicht mit ihren Gefühlen am Tiefpunkt, hätte sie diesen Gedanken vielleicht sogar lustig gefunden: Das Mädchen wollte nicht auf der Erde leben, obwohl sie selbst die Erde war. Welche Ironie! Aber irgendwie war es schon immer so gewesen, in jedem ihrer früheren Leben. Jedenfalls, soweit sie sich erinnern konnte, und sie hatte ein gutes Gedächtnis.
Zwischen zwei Schluchzern umklammerte das Mädchen ihre Bettdecke fester und schaute zur anderen Seite des Zimmers, wo mehrere Gestalten schliefen. Sie hatten das Mädchen gerade eben dazu überreden wollen, sich zu ihnen zu gesellen. Aber sie hatte abgelehnt. Sie war eben lieber allein. Punkt, Schluss, Aus, Amen. So einfach, und trotzdem gab es mehr als genug Leute, die es nicht verstanden und nicht wahrhaben wollten. Aber es gab auch andere Gründe. Vor allem hatte sie die anderen mit ihrem Geheule nicht unnötig wach halten wollen, aber andererseits fühlte es sich falsch an, so zu tun, als wären diese Menschen ihr wichtiger als andere. Wenn man schon hunderte Familien gehabt hatte und hunderte Familien hatte sterben sehen, vergaß man mit der Zeit, was es bedeutete, eine Familie zu haben.
Nein, man vergaß nichts. Man erfuhr. Man erfuhr, dass auch die Familie vergänglich war, was bedeutete, dass man in Wirklichkeit gar keine Familie hatte. Das Mädchen hatte schon lange aufgegeben, ihre Erzeuger und deren Verwandtschaft als Familie anzusehen. Ihre einzige Familie war sie selbst. Die Erde. Mutter Erde. Wieder diese behämmerte Ironie. Und die vielen Welten jenseits des Mondlichts, in denen alles so war, wie sie es wollte.
Der Mond wurde von einer Wolke verdeckt, sodass die Sterne die einzige Lichtquelle bildeten. Warum hatten sich die beiden dort drüben eigentlich wieder einmal verkracht? Sie wusste es nicht mehr, aber es war auch egal. Die zwei ließen sowieso keine Gelegenheit aus, um sich zu streiten. Vor allem die Jüngere nicht, die sich von der Älteren allzu schnell angegriffen fühlte. Ihrem Egoismus war es zu verdanken, dass das Mädchen angefangen hatte zu hyperventilieren. Die Ältere hatte sofort versucht, sie beide zu beruhigen, während die Jüngere lautstark erklärt hatte, dass sie niemals mehr wieder ein Wort mit ihnen wechseln würde. Daraufhin hatte das Mädchen die Gruppe verlassen und alle hatten sich nach und nach zum Schlafen hingelegt.
Warum waren die beiden so zerstritten? Sie waren normalerweise doch so mitfühlend, viel mitfühlender als das Mädchen.
Warum hatten sie zuletzt so aufbrausend reagiert?
Sie hatten auf Gefühlsäußerungen mit Gefühlsäußerungen reagiert und dadurch war der Streit immer weiter in die Höhe gewachsen.
Das war es!
Ohne Gefühlsäußerungen wäre dieser Konflikt niemals entstanden, geschweige denn eskaliert. Ohne Gefühlsäußerungen würden folglich überhaupt keine Konflikte mehr eskalieren.
Endlich wusste sie, was ihre eigene kleine Welt jenseits des Mondlichts von dieser Welt unterschied: In ihrer Welt wurden die Entscheidungen nicht von Gefühlen beeinflusst, weder von den eigenen, noch von denen anderer Leute. Das war der Schlüssel zu einer besseren Welt. Einer Welt, die theoretisch auch hier auf der Erde möglich war.
Mit einem Satz sprang das Mädchen auf und wischte ihre Tränen ab, damit sie wieder klar sehen konnte. Sie wusste nun, wie man ihre eigene kleine Welt auf diese Seite des Mondlichts bringen, diese Welt allen zugänglich machen konnte! Sie würde diese Welt, in der man auf Gefühlsäußerungen keinen Wert legte, auf der Erde schaffen oder es zumindest versuchen. Mutter Erde.... wenn sie es schaffte, ihre kleine Welt auch auf dieser Seite des Mondlichts einzurichten, hätte sie sich diesen Namen mehr als verdient. Doch von diesem Moment bis zur Errichtung ihrer kleinen Welt würde sie einen anderen Namen annehmen. Einen Namen, der für ihre Idee stand: Lapis. Der Stein. Der harte, entschlossene Stein, der sich nicht von Trieben und Gefühlen ablenken ließ, auf dass ihre eigene kleine Welt ihren Weg auf die Erde fände.
Die Wolke zog weiter und hinter ihr kam der Mond wieder zum Vorschein. Lapis schaute zum schwarzen Himmel hinauf, der auf einmal viel näher und greifbarer erschien als vorher. Und sie sah zu den Sternen, den tausend und abertausend unbekannten und geheimnisvollen Welten jenseits des Mondlichts.
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World of Mystic Special - Lapis
Science FictionIch bin auch einer der WoMler und habe den Charakter Lapis aus Team Element beigesteuert. Dieser kurze Text ist enthält einen Teil ihrer Vorgeschichte und einen Einblick in ihre (frühere) Persönlichkeit. Entgegen dem, was ich früher einmal gesagt ha...