Von der Nacht des 17. auf den 18. August 2018
Das erste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich mich in einem tristen Zimmer mit weißen Wänden wiederfand. Ich starrte gegen die Mauer, an der zwei Bilder hingen. Es waren die Photographien zweier Männer, einer größer als der andere, doch beide von schmaler Gestalt mit spitzen Bärten, eleganter, wenn auch seltsam abgewetzter Kleidung und scharfen, listigen Zügen. Die Farben waren, wie auch die des Raumes Schwarz und Weiß. Obwohl ich diese Herren in meinem Leben noch nie gesehen habe, erkannte mein Selbst im Traum darin Schauspieler meiner hier gegebenen Gegenwart. Doch es war etwas seltsam und eigenartig beängstigend an diesen Photographien: Die Augen dieser Menschen waren von kränklich weißer, blinder Farbe, sie waren groß und rund, als starre mir ein lebloser Fisch entgegen. Sie lagen tief hinten im Schädel und waren von finsteren Schatten des starrenden Todes umgeben. Je länger ich diese zwei Herren musterte, die abgesehen von diesem grauenhaften Augen, völlig neutrale Gesichter zogen, anblickte, desto mehr fiel mir der Hintergrund auf, vor dem sie portraitiert wurden. Er war grau und schwarz, als ständen sie inmitten eines Sturmes, doch aus diesen finsteren Wogen, starrten mir immer mehr dieser selben, kalkweißen, blinden und dennoch kühl und verurteilend starrenden Augenpaare entgegen.
»Ich wünschte, ich könnte mich auch nur im Entferntesten erinnern, wie sie damals aussahen...«, hörte ich mich bedauernd sagen, bevor ich den Blick abwandt und somit dieser Part meines Traumes endete.
Plötzlich ertönte die Stimme einer Dame, sie war angenehm, doch nervös, und es schien, als befände sie sich mit mir im Raum, während ihre Erzählungen mir meine Sicht nahmen und dafür die eines stummen Statisten in ihrer Geschichte schenkten. Sie nannte den Ort, wo sie war, lediglich »das Hotel« und ich war auch nicht mehr im Portraitzimmer. Tatsächlich schien ich, also ich selbst, gar nicht mehr irgendwo zu sein. Ihre Worte hatten mich eingefangen und zu diesem Ort versetzt, ohne aber dass er mir etwas anhaben konnte, wie in einem Film. Es war seltsam, denn plötzlich fiel mir ein, dass diese Frau angeblich eine der Schauspielerinnen war, doch für sie schien dieser Film die grausame Realität gewesen zu sein.
Sie erzählte schweren Herzens, wie sie sich zusammen mit ihrem geliebten Ehemann in dem Hotel wiedergefunden hatte, und ich konnte es sehen. Es war ein alter, trister und dunkler Bau mit ebenhölzernen Stiegenhaus und schlechter Belichtung, so als wäre seit vielen Jahren niemand mehr hier gewesen. Alles war alt und farblos und erinnerte mich an die Portraits mit den totäugigen Schauspielern. Sie, die Frau, war besorgt und litt, sie fürchtete sich; anscheinend wusste sie, dass dies ein fürchterlicher Ort war, aber dennoch war sie hier.
In der Nacht war es für die Frau dann soweit.
Ihr treuer Mann war oben auf ihren Zimmer und schlief, doch die namenlose Dame stand an der Tür dieses »Hotels«, wie sie es nannte. Das Portal war klein, wie eine Haustür und dunkel. Ich konnte sehen, wie sie verzweifelt daran rüttelte, sie riss daran und fing an zu weinen, doch das Holz gab nicht nach und das Schloss hielt stand.
»Das Hotel lässt dich erst gehen, wenn es dies auch möchte. Es ließ mich noch nicht frei...«, hörte ich sie starr und repressiv klagen.
Durch die enervierenden Geräusche vermutlich erregt, stiegen mit einem Male aber düstere Silhouetten aus den umliegenden Schatten und die Frau erkannte zu spät, dass sie diesen Fehler begangen hatte. Sie löste sich von dem Ausgang und in ihr Gesicht war ein Horror geschrieben, wie ihn nur höchte Verzweiflung und wohl bewusste Vorahnung des kommenden Schreckens hervorgerufen haben konnte. Mit fehender Eile jagte sie die Treppen hoch zu den Zimmern, wo ihr Mann noch war, und nun konnte auch ich erkennen, was diese Schattengestalten eigentlich waren. Es war eine Schar Kinder in altmodischer Kleidung, ihre Augen waren die selben feuchten, bleicheweißen Fischaugäpfel, wie ich sie schon an diesen Schauspielern sah. Rasch und lauthals aus ihren jungen Kehlen jauchzend, keifend und lachend jagten sie der armen Dame hinterher, hoch die knarzenden Stiegen. Angeführt wurden sie von einer noch undefinierbaren Gestalt. Erst oben oben im Empore, wo es schon zu den Zimmern ging, erschien dieser Anführer. Er blitzte nur vereinzelt auf, als resultiere er aus einem Kamerafehler und verschwand dann wieder in blitzartigen Flackern. Ich weiß, wie lächerlich dies nun klingen mag, aber diese Kreatur war eine Orchestertrommel, die auf zwei nackten Kinderbeinen lief. Sie wollte die panische Dame, die ihren Mann vor diesen schrecklichen Monstern bewahren wollte, zusätzlich zu ihrer herzzerreißenden Furcht auch noch verspotten und immitierte mit lauten Trommeln den unruhig pochenden und raschen Herzschlag der Flüchtenden. Und nur mit diesen Tönen wurde die bessesene Trommel mit den menschlichen Gliedmaßen auch sichtbar.
Ich hörte, wie der arme Mensch wimmerte und weinte, wie sie vor Angst brüllte wie ein abgeschlachtetes Tier, während ihr eigener Puls sie verspottete und die Hände der blinden, lachenden Kinder sie packten. Sie flehte darum, dass dieser Albtraum bitte endlich ein Ende nehmen könnte.
Irgendwie schaffte sie es dann doch, unter laufenden Tränen wieder nach unten zu flüchten. Die Schreie ihres sterbenden Mannes verhallten von oben, während sie die Tür so schnell ausriss, dass diese fast aus den Angeln flog.
Im Hintergrund erzählte sie: »Ich war schon zum elften oder zwölften Mal hier. Das Hotel fängt dich ein und benutzt dich. Ich weiß nicht, warum es mich so oft quälte... Endlich ließ es mich gehen.«
Die Schauspielerin flüchtete und weinte wie ein Kind.
Die Stadt draußen war stockfinster und sie wollte einfach nur weg. Irgendwo riss sie die Tür einer Wohnung auf und flehte vergebens um Hilfe, doch die Menschen dort lagen tot in ihren Stühlen. Ihre Köpfe waren eingeschlagen. Sie verstand nicht, bis sie wieder das überlaute, dröhnende Trommeln ihres Herzens hörte. Die Kinder standen in der Tür hinter ihr.
»Nein... Es war noch nicht fertig mit mir. Es ließ mich nie mehr gehen...« Nun weinte die Erzählerin bitterlich.
Nun war ich wieder im Raum mit den Portraits, doch die arme Dame war fort. Ich hatte eine Zeitung in der Hand. Dort stand, dass der altbekannte Horrorfilm »Das Hotel« neu verfilmt werden sollte, nun vielleicht zum zwölften oder dreizehnten Male. Dieser Film war bekannt für sein angeblich viel zu theatralisches und unrealistisches Spiel und die überdramatische Protagonistin. Dieses Mal wolle der Regisseur seine Söhne aber vom Set lassen. Bisher waren sie immer mit dabei, sie waren geschätzte, britische Schauspieler und ich erkannte, dass es die Herren von den Photographien waren.Ich wachte auf, doch nicht wie sonst. Meist schrecke ich aus Albträumen hoch, wie in schlechten Filmen, dass ich aufrecht und mit aufgerissenen Augen im Bett sitze. Dieses Mal hatte ich aber zum ersten Mal seit Monaten, Angst, mich zu bewehen. Ich hielt die Augen offen, bewegte mich aber keinen Milimeter, während ich an den Traum dachte.
Ich schlief später noch einmal ein, wachte aber erneut auf, als ich plötzlich das Gefühl hatte, gerüttelt oder gestoßen zu werden. Mir kam vor, als hätte ich das wirklich gespürt.
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Träume und Nachtmahre
Short StoryGuten Tag, ich bin weitgehend bekannt ─ eigentlich mehr unbekannt ─ als Fenrir. Ich bin keine wichtige Person auf dieser Seite oder irgendein außergewöhnliches Genie der Schreibkunst. Ich mache das hier aus Langeweile und dem Bedürfnis, vielleicht u...