Kapitel 5

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Let me die first or I will die twice.
- atticus

Etwas benommen schaute ich den Jungen an und befreit mich aus seinem Arm. Lyns Schatten? Wovon zum Teufel redete er? Ich hob eine Augenbraue und strich mir eine Strähne meines Haares zurück. Er biss sich kurz auf seine Unterlippe, um mich dann vorbei zu lassen.

"Was meinst du bitte mit Lyns Schatten?", fragte ich ihn und legte den Kopf schief. Ich hatte jetzt seit knapp zwei Wochen nichts mehr mit Lyn gemacht bis auf gestern, als wir gestritten haben. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn zum ersten Mal richtig. Seine Haare waren dunkelbraun. Er trug ein dunkelblaues T-Shirt mit einem V-Ausschnitt, eine dunkle Jeans und weiße Sneaker. Trotz der einfachen Sachen sahen diese überraschend teuer an ihm aus. Außerdem hatte er ein Septum, dass wirklich gar nicht so schlecht an ihm aussah.

"Naja, egal, wo man Lovelyn sieht bist du auch dabei", meinte er kühn und sah mich einem leichten Anflug eines unverschämt frechen Grinsen an. Ich zuckte mit den Schultern und murmelte nur, dass es so sein könnte. Ich ging dann in die Bücherei und ließ den Unbekannten einfach stehen. Welcher Name wohl zu mir passen würde?, fragte ich mich und setzte mich dann in den Raum, an dessen Tür dick und fett Nachhilfe drauf stand. Eine Weile kritzelte ich auf meinem Block hin, welche Namen wohl infrage kommen könnten.

Vielleicht ja ein James, überlegte ich, strich es aber dann durch, da es mir doch nun zu schnöselig klang, außerdem war der fremde Junge auch tattoowiert gewesen und das passte nun irgendwie überhaupt zu einem James. Theoretisch könnte er auch Dylan heißen, aber das passte auch nicht. Ich wollte nicht rassistisch sein, aber mich erinnerten Dylans immer an Schwarze. Ich kaute auf meinem Stift und schrieb dann Newt auf. Der passte irgendwie auch nicht. Newt klang so nach netter Vorstadtjunge.

Völlig in Gedanken bemerkte ich nicht, wie eine Person in den Raum kam und sich zu mir setzte. Ich starrte auf das Blatt und zuckte zusammen, als eine weibliche Stimme ertönte.
"Silver Goodale", meinte sie, wobei ich ein deutliches Grinsen raushören konnte. Ich schaute sie peinlich berührt an und schlug schnell mein Notizbuch zu.

"Woher weißt du...?", fragte ich und schluckte leicht, während ich meine Mathesachen rausholte. Physik und Erdkunde hatte ich montags. Das rothaarige Mädchen grinste mich nur wissend an.

"Eigentlich will so gut wie jede seinen Namen wissen und deswegen hab ich dir ganz einfach mal geholfen", erwiderte sie und fuhr fort, "wie heißt du?"
Ich schaute in ihre leuchten grüne Augen und befeuchtete kurz meine Lippen.

"Ich heiße Heaven und du?", antwortete ich ihr und drehte mich leicht zu, während ich einen Stift in die Hand nahm und mit diesen herum spielte. Sie legte ihren Kopf kurz schief und begann dann wieder zu schmunzeln. Anscheinend kannte sie es nur zu grinsen oder zu lächeln.

"Cassopeia, aber nenn mich Cas, tun alle", erwiderte sie und fuhr sich durch ihre Haare. Ob die wohl von Natur aus diese Farbe hatten? Cas stellte sich in der Nachhilfestunde als wirklich unglaublich nette und hilfsbereite Person heraus. Sie konnte mir manchmal mehr erklären, als der alte, bärtige Mathelehrer, der die meiste Zeit eh auf dem Lehrerstuhl saß und gelangweilt die Fragen beantwortete. Zum Glück hatte ich montags einen anderen Lehrer. Ich brütete über einer Aufgabe, als es quasi zur achten Stunde klingelte.

Schnell packte ich meine Sachen ein und seufzte erleichtert auf. Zum Glück hatte jetzt Schluss. Weiter Variablen, Zahlen und Bruchstriche wie Dezimalzahlen wollte ich mir nicht antun. Ich konnte sogar ohne mich abzuhetzen zum Bus gehen, da er erst in fünf Minuten kommen würde. Hinter mir hörte ich plötzlich eilige Schritte.

"Warte, Heaven!", rief Cas und ging dann neben mir weiter. "Ich wollte dir noch meine Nummer geben, wenn du magst", erzählte sie mir als wir beide gerade aus dem Gebäude traten und drückte mir einen Zettel mit ihrem Nummer in die Hand. Ich schaute den Zettel kurz an und winkte ihr dann leicht hinterher, da sie sich relativ schnell verabschiedet hatte und zu der Jungsgruppe eilte. Nach weiterem Hinsehen erkannte ich aber auch Mädchen unter ihnen. Es war die beliebteste Gruppe der Schule. Schien wohl ganz so auszusehen, als würde Cas ebenfalls zu ihnen gehören. Sie umarmten sich alle herzlich und gingen dann auf die teuersten Autos des Parkplatzes zu.

Ich sah nur noch, wie sie wegfuhren und hörte dann auch schon die Geräusche des lauten Busses, der wie immer schön tuckernd an der Bushaltestelle hielt. Der Busfahrer nickte mir einfach nur zu, da er ja wusste, dass ich diesen Bus jeden Tag nahm und fuhr wieder los. Wie immr lehnte ich meinen Kopf an die Scheibe und hörte durch meine Kopfhörer "Sick Boy" von The Chainsmoker. Irgendwie liebte ich dieses Lied einfach und fand es einfach mega gut zum Chillen.

Mein Handy blinkte plötzlich auf. Unser Schulblog hatte ein Update gemacht. Wie gewohnt wollte ich es wegklicken, ließ es aber dann, als ich die Schlagzeile las.

"Silver Goodale und Heaven Marygold vor der Bücherei erwischt!"

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und las entsetzt den Text.

"Silver Goodale, unser ruhiger, äußerst beliebter und meist wohl verzweifelt-geliebter Footballspieler der Manson High und der Schatten Heaven Marygold. Trotz ihres Namen kennt man sie nicht wirklich. Was viele wissen ist, dass sie Lovelyns beste Freundin sein soll. Ob das stimmt, meine ich abzuwegen. Doch nun kommt das Mauerblümchen wohl aus sich heraus. Ein Schnappschuss kam mir entgegen, wie sich die zwei Hübschen in den Armen gelegen haben sollten! Was meint ihr? Lässt Silver mal wieder seinen Spaß an anderen heraus oder funkt es zwischen den beiden wie unser Traumpaar Lyle? Aber vorallem, was wird Silvers Freundin Kayla davon halten?" - Anonymous

Ganz oben war ein Bild von ihm und mir abgedruckt wie er mich davon abgehalten hatte zu fallen. Erst aus diesem Blickwinkel sah ich wie falsch diese Pose aussah. Ich biss mir auf die Lippe und sah kurz zu den Leuten aus der Schule, die auch in diesem Bus saßen und mich anschauten. Unwohl rutschte ich tiefer in meinen Sitz und schluckte leicht, da es ja alles nicht der Wahrheit entsprach. Warum war alles nur so schwierig?

Nachdem ich diese Busfahrt voller verachtende Blicke überstanden hatte, speicherte ich Cas ein und bekam gleichzeitig eine Nachricht von Beth.

"Was ist bei dir und Silver passiert?" hatte sie geschrieben mit mehreren Emojis dahinter. Ich klickte auf unseren Chat.

Ich/14:34: Wir sind nur in einander reingerannt. Mehr war da nicht. Warum muss sowas ausgerechnet mir passieren?

Beth/14:40: Ich habe keine Ahnung, aber das wird wieder. Ganz sicher. Wollen wir heute zusammen zum Strand gehen? Ich treff mich mit einpaar Freunden, die dort öfter sind. Da ist meist keiner, weil dort die ganzen Klippen sind und die "coolen" Leute in der Bucht sind. Also, wenn du Lust hast, ich komm um 20 Uhr bei dir vorbei.

Ich nahm mir ihre Worte zu Herzen und antwortete darauf mit einem "Geht klar", ehe ich zu Hause aufschloss und direkt einen Duft in meine Nase stieg. Lecker, es roch nach Bratensoße, was bedeutete, dass wirklich gutes Essen heute geben würde. Ich rief ein "Hallo" und legte meine Tasche dann in der Garderobe ein, ehe ich in die Küche kam und meine Mom dort stehen sah.

"Hey, mein Schatz. Ich dachte, dass ich heute etwas Gutes koche", begrüßte sie mich und schmiss die Zwiebeln in die Pfanne, um diese schön anzubraten. Ich setzte mich und schaute ihr leise dabei zu, ehe ich meinen Zopf öffnete und mir durch die Haare fuhr.

"Dein Vater kommt heute sogar früher von der Arbeit", erzählte sie einfach weiter und stellte mir ein Glas mit Wasser hin aus dem ich dankend trank. Ich leckte mir einen Tropfen von der Unterlippe und schaute von unserem Fenster direkt aus dem Fenster bis Nuka schnaufend angetappst ankam und mich fröhlich ansah. Nuka war mein Mops, den ich über alles liebte. Ich hob sie auf meinen Schoß und streichelte ihre Ohren. Sie sah mich kurz an und blieb entspannt sitzen. Dann musterte ich meine Mom. Sie trag eines ihrer Kleider, die sie früher immer getragen hatte. Die schönen und teuren, die Dad ihr immer von den Tagungen mitgebracht hatte.

"Steht irgendwas Wichtiges an, Mom?", fragte ich sie dann argwöhnisch und kraulte Nuka hinter den Ohren. Sie hielt kurz inne und lächelte mich dann kurz von der Seite an.

"Dein Dad holt gerade deine Tante und ihre Familie vom Flughafen ab und da dachte ich, dass man sich halt schicker machen könnte. Würdest du dir auch etwas anderes anziehen?", antwortete sie mir und wandte sich wieder dem Essen zu. So war das also. Wir erwartetn Besuch und ich dachte beinahe, dass sich etwas geändert hatte. Da hatte ich wohl weit daneben gelegen. Nichts würde sich ändern - Vorstellungsgespräch hin oder her. Sie würden beide niemals aufwachen und die Realität verstehen. Verstehen, dass nichts beim Alten war. Verstehen, dass es mich fertig machte. Verstehen, dass ich sie so dringend wie sonst nichts brauchte. Meine alten, wundervollen Eltern eben.

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