Kapitel 26

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Geschirrgeklapper, Stimmen, ein Klavier. Das sind die Geräusche, die ich beim Essen mit meinen Verwandten und Bekannten höre. Die traurige Musik des Klaviers zieht mich immer weiter runter.

»Eija, hast du den Brief eigentlich schon geöffnet?«, reißt Randi mich aus meinen Gedanken.

Ouh, da war was!

Ich hole den Briefumschlag aus meiner Handtasche.

Ein Mädchen mit kurzen dunklen Haaren kommt auf mich zu.

»Hi«, begrüßt sie mich freundlich.

Ich lächle, doch man sieht, dass ich eigentlich gerade etwas alleine machen wollte.

»Ich bin Bella.«

Sie hält mir ihre Hand hin.

Ich schüttle sie.

»Eija.«

»Schön, dich kennenzulernen. Dein Cousin, mein Freund, hat mir von dir erzählt.«

»Okay.«

Ich lächle. Doch in Wirklichkeit denke ich an die Bella, die gestorben ist.

Bella verschwindet wieder, wahrscheinlich zu meinem Cousin.

Ich schaue mir den Briefumschlag an.

»für Eija«, steht dort in ordentlicher Schrift geschrieben. Ein Absender wird nicht genannt.

Ich nehme mein Messer und öffne den Umschlag. Ein Schlüssel fällt hinaus. Es sieht sehr nach einem Haustürschlüssel aus. Ich nehme ihn in die Hand und schaue ihn mir genau an.

»Made in Finland«, steht drauf.

Ich hole den beigelegten Zettel aus dem Umschlag. Eine Adresse steht drauf, in der Nähe.

»Komm so bald wie möglich dort hin. Nicht sofort, sondern später, vielleicht auch morgen. Aber komm. Den Schlüssel kannst du benutzen.«

Das ist ebenfalls draufgeschrieben. Ich packe das Zeug wieder weg und widme mich Randi die mich fragend anlächelt.

»Ist nichts Weltbewegendes«, sage ich und nehme einen Schluck aus meinem Glas.

»Eija? Ich dachte, du willst kein Trübsal blasen?«, höre ich. Dann packen mich Bambis Hände an den Schultern, zwingen mich, aufzustehen, und schieben mich zum Klavier. Sie drückt mir ein Mikrofon in die Hand.

»Du kennst den Text bestimmt.«

Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange und verschwindet.

Was wird das jetzt?!

Die ersten Töne erklingen.

Okay, das wird das.

»Hey man, I can see you standing tall on your feet again...«

Alle drehen sich zu mir um. Die Gespräche verstummen. Jeder hört mir zu.

Ich schließe die Augen und denke an Sami. Sein Lächeln. Seine grünen Augen. Nicht zu grün, mit braun und grau gemischt, aber dennoch toll.

Wie er mich hochgehoben hat, an einen Ort getragen hat, wo wir für uns waren und reden konnten.

Applaus ertönt. Ist das Lied schon fertig? Anscheinend schon. Ich öffne die Augen und schaue meine Verwandten und Bekannten an. Alle haben zumindest Tränen in den Augen. Ich halte das nicht mehr aus!

Ich lege das Mikrofon auf das Klavier, schnappe meine Handtasche und renne aus dem Restaurant, wo wir den Leichenschmaus verputzt haben, wobei Rennen mit Absätzen relativ schwierig ist. Ich schlage einen mir bekannten Weg ein. Doch ich erinnere mich nicht daran, wohin er fürht, bis ich am Ufer eines Sees stehe, der totenstill da liegt. Mein Lieblingssee. Selbst bei diesen Temperaturen ist niemand hier?

Ich ziehe meine Schuhe aus und nehme sie in die Hand. Dann stelle ich meine Füße in das erfrischende Nass und schließe die Augen. Erinnere mich an die Tage, die ich hier allein verbracht hab. Dass nie jemand außer mir hier war. Darum ist es also so leer hier!

Ich gehe aus dem Wasser und lasse meine Füße trocknen, dann ziehe ich meine Schuhe wieder an und gehe vom See weg, in eine Straße, in der ich noch nie war. Ich kenne die Hausnummer, habe sie mir gemerkt.

Wer zum Henker hat diesen Briefumschlag in den Briefkasten getan? Von wem stammt er?

Diese zwei Fragen stellen sich mir, während ich den Schlüssel heraushole und die Tür aufschließe. Der Geruch, der mir entgegenkommt, kommt mir bekannt vor.

»Hallo?«, rufe ich und schließe die Tür hinter mir. Gehe langsam und so leise wie möglich ins Wohnzimmer. Niemand ist da. Ich schaue mir die Möbel an. Alle sind aus hellem Buchenholz und die Couch ist beigefarben. Sehr schön, aber wer hat mich hier quasi eingeladen?

Links neben mir führt eine Art Wendeltreppe nach oben.

Ich schaue mich noch einmal um, dann gehe ich die Treppe hoch. Auch niemand.

Ich gehe noch eine Treppe hinauf, bis ins Dachgeschoss. Es ist wirklich niemand in diesem Haus?

Ein letztes Mal schaue ich mich um, bevor ich wieder nach unten gehe und das Haus verlasse. Morgen werde ich es nochmal versuchen. Vielleicht ist dann ja jemand da.

Meine Füße tragen mich zu Bambis und Randis Haus. Die Tür ist nicht verschlossen, also klingle ich. Kurz darauf öffnet Randi mir die Tür.

»Wo warst du?«, fragt sie und schaut mich an.

»An meinem Lieblingssee hier«, antworte ich wahrheitsgemäß und betrete den Flur, wo ich mir die Schuhe ausziehe. Fluffy kommt angerannt und springt an mir hoch.

»Na du Kleiner?«, frage ich lachend und hebe ihn hoch. Er schleckt mir über meine Wange und schmiegt sich dann an mich.

Ich gehe die Treppe hinauf in mein Zimmer und setze Fluffy auf meinem Bett ab. Er schaut mich mit großen Augen an.

»Ich zieh mich nur schnell um, dann können wir weiterkuscheln«, sage ich ihm und wende mich meinem Schrank zu, aus dem ich eine Hotpants und ein Top rupfe. Dann entledige ich mich meinem lästigen Kleid und schlupfe in die luftige Kleidung.

Fluffy bellt. Ich nehme ihn wieder hoch und gehe auf den Balkon, um mich dort hinzusetzen.

»Auch Tee?«, fragt Bambi mich. Sie sitzt dort und hält einen Becher in der Hand, in dem vermutlich Tee ist.

»Gerne«, antworte ich und sofort schenkt sie mir etwas in eine Tasse, die sie mir anschließend hinhält.

Ich setze mich auf einen freien Stuhl und nehme die Tasse entgegen. Fluffy macht es sich auf meinem Schoß gemütlich und schläft ein.

»Und? Was haben wir für die nächsten Tage vor?«, frage ich Bambi, während ich in meine Tasse schaue.

»Geplant haben wir nichts. Aber wir können schwimmen gehen, shoppen, irgendwo in die Natur fahren, ...«

Randi kommt auf den Balkon, mit nassen Haaren.

»Na, frisch geduscht?«, fragt Bambi grinsend.

Randi nickt und setzt sich zu uns, schenkt sich Tee ein und pustet in die Tasse.

»Bleiben wir heute hier oder gehen wir noch wo hin?«

»Ich wär sehr für hier bleiben.«

»Okay. Achja, Eija, da war ein Brief im Briefkasten eben, von irgendwem, konnte nicht entziffern, wie der Absender ist. Soll ich ihn holen?«

Ich nicke.

»Ja, bitte.«

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