Hallo, mein Name ist Paluten

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Geschockt und mit zitternden Beinen stand ich in der Tür und starrte auf das gemachte Bett. Durch meinen Kopf flogen die schlimmsten Gedanken und die Panik, die dadurch ausgelöst wurde, brachte mich zum weinen. Mein Griff um die Türklinke verkrampfte sich. Er war Tod.

Ich wusste nicht, wie lange ich in den Raum starrte und mir einreden wollte, dass es nicht so ist. Doch es war passiert. Meine Angst, meine Befürchtung, es ist zugetroffen. Das, was ich gehofft hatte, dass es nicht passiert. Es ist passiert. "Was machen Sie denn hier?" Erschrocken über die Stimme, drehte ich mich hastig um und sah in das fragende Gesicht der selben Krankenschwester, die mich gestern noch hier angetroffen hatte. "Was ist mit ihm?", brachte ich mit schwacher Stimme heraus. Die Frau sah mich noch immer fragend an. "Wurden Sie nicht angerufen?" Eingefroren in meiner Körperhaltung, schüttelte ich nur den Kopf. "Merkwürdig. Er ist im Zimmer 365. Klopfen Sie bitte." Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Mein Hirn aber schien Blockiert zu sein. "Gehen sie ruhig." Sie machte eine Handbewegung. Ich nickte leicht, ließ die Tür los und setzte mich in Bewegung. Meine Augen wanderten von Schild zu Schild und als ich dann vor Zimmer 365 stand, schlug mir mein Herz so laut in den Kopf. Es schien, als würde es jede Sekunde explodieren. Ich hob meine zitternde Faust und klopfte zögerlich leicht gegen die weiße Tür. Ich hatte Angst davor, was mich erwartete.

Als kein Ton von der anderen Seite kam, öffnete ich die Tür. Vermutlich wurde er einfach nur verlegt und war immer noch im Koma. Oder es war ein Raum, wo die Toten aufgebahrt wurden. Würde ich ihn gleich leblos vorfinden? Wieder diese Gänsehaut, die sich von meinem Nacken aus über den Rücken und meine Arme ausbreitete.

Doch als ich sein Bett sah, klopfte mein Herz nicht mehr so schnell aus Angst, sondern vor Freude. Er saß aufrecht auf dem Bett, vor ihm war ein Block mit stiften ausgebreitet. Noch immer war er an Geräten angeschlossen, aber nicht so viele , wie in den letzten Monaten. Seine leuchtend Grünen Augen, die ich so lange nicht mehr gesehen hatten, sahen mich an. Sein Gesicht zierte Augenringe. Seine Haare waren zu einem Zopf gebunden. Ein  Anblick, den ich so unglaublich vermisst hatte und welchen ich mir so herbei gesehnt hatte.

"Du lebst", brachte ich schließlich hervor. "Was anderes hatte ich auch nicht vor", antworte mir mein gegenüber. Seine Stimme zu hören war so unwirklich. Auch, wenn sie kratzig und zittrig war. Ich musste über seine Antwort grinsen. Die Angst um sein Leben war verschwunden, wie in Luft aufgegangen und weggeweht.

Langsam schritt ich auf ihn zu und setzte mich an seine Bettkante. Sein Blick lag auf mir und wich keine einzige Sekunde. "Wie geht's dir?", wollte ich dann schließlich wissen. Es war vermutlich eine ziemlich dumme Frage, da er ja erst wach geworden ist. Aber mir fiel nichts anderes ein. "Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, wer du bist." Seine Stimme war schwach und dieser Satz, borrte sich wie ein Dolch in mein Herz hinein. "Du weißt nicht, wer ich bin."  Ich musste es einfach wiederholen. "Ich habe eine Amnesie. Mir wurde gesagt, dass meine Erinnerung wieder kommen kann. Aber sie muss es nicht." Ich nickte. "Wie viel fehlt dir?" "Wissen wir nicht genau. Ich weiß noch, dass ich bei meiner Mutter in Essen lebe." Ich musste mir vor Schock an den Kopf fassen. Zu Unreal war die Situation. Er lebte, das war gut. Aber erinnerte sich nicht an mich. An mich oder seine anderen Freunde, Zombey und Maudado. Vermutlich an niemanden, den er kennengelernt hatte. "Manuel, du lebst schon seit circa fünf Jahren nicht mehr bei deiner Mutter", sagte ich dann. Noch immer mit den Händen in meinem Haar. Er sagte nichts. Ich schätzte, dass er genauso geschockt war, wie ich. "Fünf Jahre", flüsterte er dann. "Dann kennen wir uns weniger als fünf Jahre?" Ich sah auf. Er hatte ein Stift in die Hand genommen und ihn sich gegen die Lippen gedrückt. "Wir sind Arbeitskollegen. Und beste Freunde. Wir, wir. Weißt du, als was du arbeitest?" Wenn er sich an YouTube nicht erinnern würde, wäre das durchaus problematisch. "Ach, ich bin nur ein kleiner Webvideoproduzent. Kennst du YouTube? Da habe ich paar tausend Abonnenten." Er winkte mit dem Stift lässig und auch eher cool tuend, hin und her. Doch ich starrte ihn nur fassungslos an. Seine Bekanntheit hatte er auch vergessen. "Naja, klein bist du gar nicht mehr. Du hast bald 3 Millionen Abonnenten", erklärte ich ihm. Seine Bewegungen stoppten abrupt. "Könnte, also, hast du ein Handy dabei? Vielleicht lädt es ja und du könntest mir mein Kanal zeigen." Er wirkte plötzlich so unsicher. Ich zückte mein Handy aus der Hosentasche und ging auf seinen Kanal.

Er durchstöberte ihn, machte immer wieder Videos kurz an aber beendete diese auch immer schnell. Als er mein Handy sinken ließ, sah er mich mit feuchten Augen an. "Ich habe so viele Menschen, die mich schauen? So viele? Und du bist ja wirklich bei fast jedem Video dabei. Und ich weiß gar nichts über dich. Wirklich gar nichts."

Es tat mir selbst weh, wie er da saß. Vollkommen verzweifelt darüber. Kurz überlegte ich, wie ich ihm helfen konnte. Dann kam mir eine Idee. Ich hob meine Hand und reichte sie ihm. Verwirrt sah er auf diese, schüttelte mir sie dann aber. "Hallo, mein Name ist Paluten oder auch Patrick. Meistens nennst du mich aber Palle, Palette, Pschnitzel oder auch Palletchen. Ich bin ein Deutscher Webvideoproduzent. Ich bin dreißig Jahre alt und Geburtstag habe ich am fünften Januar weswegen mein Sternzeichen Steinbock ist. Ich wohne alleine in Köln in einer Wohnung. Ich bin single und kann nicht Kochen. Mein bester Freund ist Manuel aka GermanLetsPlay. " Während ich mich vorstellte, schüttelte ich seine zierliche Hand. Und tatsächlich glitt ihm ein Lächeln ins Gesicht. "Schön dich kennen zulernen."

Wir lachten kurz auf. Seine Hand hatte ich noch immer in meiner. Etwas beschämt ließ ich sie los und verschränkte meine eigenen beiden Hände miteinander. "Patrick, habe ich mich gezeigt?", fragte Manuel mich nun eingeschüchtert. "Du hast dich nur mir gezeigt. Deinen anderen Freunden nicht. Und deinen Zuschauern auch nicht." Ein erleichtertes seufzen kam von ihm.

Den restlichen Tag über erzählte ich von unserer Freundschaft. Das Detail, das ich ihn liebte, ließ ich aber aus. Irgendwie war ich froh darüber, dass er es vergessen hatte. Es war meine Schuld gewesen, dass er im Koma lag. Ich hatte ihn angerufen, als ich betrunken war. Ich hatte ihm erzählt, was ich fühlte, weswegen er stehen geblieben ist. Mitten auf der Straße. Der Bus hatte keine Chance mehr zu Bremsen. Das einzige was ich gehört hatte, war ein lauter Knall und das Kratzen seines Handys, was über den Asphalt gerutscht ist.
Bei der Erinnerung wurde mir schlecht. "Ist alles okay bei dir? Du bist so blass." Manuel riss mich aus den Gedanken. Die Bilder in meinem Kopf lösten sich auf und ich sah Manuel wieder wach vor mir. "Ich habe mich nur an was erinnert", gab ich zu. "An was?" Neugierig sah er mich an. "Das erzähle ich dir wann anders." Ich wollte nichts detailliertes über seinen Unfall sagen. Ihm sollte nicht einfallen, warum das alles passiert ist.

Amnesie / Kürbistumor FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt