Unendlichkeitstheorie

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Und ich dreh mich immer weiter,
vergess' die Welt um mich herum.
Und dann lauf ich immer weiter,
rein in die Unendlichkeit.
Bis ich plötzlich feststell',
dass gar nichts mehr unendlich scheint.

Und je mehr ich versuche, die in meinem Kopf umherschwirrenden Wörter zu lesen, desto undeutlicher werden die vielen Buchstaben. Und irgendwie scheint alles zu zerbrechen. So, als würde es ineinander zusammenfallen. Als würde es mich begraben.

Schließlich wird mir immer schwindeliger, langsam fall' ich zu Boden. Doch ich spüre keinen Schmerz mehr. Vielmehr ein Gefühl der Geborgenheit.

"So oder so ähnlich muss es gewesen sein", versuch ich Amy meine Erinnerungen zu schildern. Doch diese ist ganz vertieft in ihre Handychats und damit beschäftigt, ihre Social-Media-Kontakte zu pflegen, während ich scheinbar neben ihr verschimmel. Ich probiere es noch einmal mit neuen wissenschaftlichen Theorien, die ich mir spontan zusammenreime.

"Hör mal, wenn die Unendlichkeit einen Anfang hat, dann ist sie vielleicht gar nicht so unendlich, sondern endet da, wo sie begonnen hat, meinst du nicht auch?", sage ich und schaue sie dabei fragend an.

Doch auch dieses Mal ohne Erfolg.

Naja, was soll's. Ich krame in meinem Rucksack herum, bis ich schließlich meine Brotdose finde. Glücklichweise hatte ich heute morgen mal nicht verschlafen, sodass mir noch genug Zeit blieb, einen Hähnchen-Wrap mit Avocado zu "basteln", in den ich jetzt genüsslich biss. Doch keine Minute später, klingelte es auch schon zum Pausenschluss.

Na super, mein Zeitgefühl ist ja echt toll heute, denk ich mir und packe mein Essen wieder weg. Endlich packt auch Amy ihr Handy in ihre Hosentasche und schaut zu mir rüber. Anschließend gehen wir beide in unseren nächsten Raum.

Der Französisch-Unterricht vergeht wie im Flug. Ein paar Übungen zu den Adverbien und anschließend eine selbstarbeitende Phase. Ich genieße die Zeit förmlich, denn ich liebe dieses Schulfach einfach. Ganz im Gegenteil zu Amy. Sie quält sich mit all der Grammatik nur herum und ist froh, Französisch bald abwählen zu können.

Und dann sitze ich auch schon wieder im Bus. Der Tag war lang. Im Dunkeln aufgestanden und bei Sonnenuntergang erst wieder zu Hause. Ich krame erneut in meinem Rucksack herum, um meine Kopfhörer endlich zu finden. Musik tut mir gut. Eine gute Ablenkung. Und trotzdem blicke ich wieder gedankenversunken nach draußen. Grelle Autolichter kommen uns entgegen, schwach sind die Umrisse, der Bäume, die ihre Blätter schon fast alle verloren, zu erkennen. Doch ich mag diese Jahreszeit. Wenn ich doch nur wie die Bäume auch einfach meine Ängste von mir werfen könnte.
Eine lange Zeit ist es still. Meine Musik verstummt.
Nun ja, ich bin ein Mensch, der immer vergisst, sein Handy zu laden, so dass ich nie wirklich viel Akku habe. Egal, der Bus kommt eh gleich in meinem Dorf an.
Doch irgendwie kommt es mir heute vor wie eine Ewigkeit. Als hätte meine Platte einen Sprung und ich würde jede Sekunde noch einmal erleben.

Es scheint auf einmal alles kaum wahrnehmbar, mir wird etwas schwindelig. Ich hab das Gefühl, die Autolichter drehen sich nur noch, statt Klarheit zu wecken.

Doch dann sind wir endlich da. Immer noch etwas wackelig auf meinen Beinen steige ich aus und mache mich auf den Weg nach Hause.

Entlang des Waldrandes zähle ich die bunten Blätter, die unter den Straßenlaternen schimmern. Das mache ich immer so. Und jedes Mal komme ich dabei dann doch wieder durcheinander. Ich bin gerade erst beim einhundertneununddreißigsten Blatt, da ruft jemand hinter mir meinen Namen.
Ich erschrecke kurz, doch dann drehe ich mich um.




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