Immer noch Samstagabend, aber mit Plottwist

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Aufatmend lehnte Jess sich gegen die kalte Garagenwand. Die kühle Nachtluft war überraschend angenehm nach der stickigen Brühe dort drinnen und die Stille des Gartens dröhnte in ihren Ohren.
Sie wollte nicht wieder rein gehen. Jason konnte sonst wo auf sie warten, und ihr war auch nicht danach, sich wieder zu ihren Freunden zu setzen.
Auf der anderen Seite des Gartenzauns konnte sie von hier aus einen Tannenwald sehen. Vielleicht würde ihr ein Spaziergang ganz gut tun?
Mit flinken Füßen huschte sie über den fein säuberlich geschnittenen Rasen auf den Zaun zu und versuchte dann, ihn mit viel Schwung in einem eleganten Hüpfer zu überwinden.
Ein Zipfel ihres T-shirts blieb an einer der Holzspitzen hängen und riss mit einem lauten "Ratsch!" Einen gigantischen Riss in die Rückseite.
Fluchend verlor Jess das Gleichgewicht und schrabbte auf der anderen Seite hart mit ihrem Knie über einen Stein.
Die Hose konnte sie dann jetzt wohl genauso wegwerfen. Leise schimpfend begutachtete sie die kleine Schürfwunde, aus der träge Blut heraussickerte. Das hatte sie davon.
Alleingänge sind Sus Ding!
Die Stimme in ihrem Kopf klang genervt, das hättest du besser wissen müssen!
Gut möglich. In dem Aufzug würde sie garantiert nicht zurück auf die Party gehen. Missmutig stand sie auf.
Aber wie sollte sie nach Hause kommen? Ihre Mutter lag schon im Bett, und bis Chrissie ihr Mama-Taxi rufen würde, konnten noch gut einige Stunden vergehen.
Sollte sie so lange hier, im Schatten der dunklen Bäume sitzen?
Ein Schauder lief Jess über den Rücken. Die Äste rauschten bedrohlich, und der Wind tastete mit kühlen Finger unter ihr T-shirt.
Unbehaglich schüttelte sie sich. Nein, den ganzen Abend hierbleiben wollte sie nun wieder auch nicht.
Eine Gestalt löste sich auf der anderen Seite des Gartens von der Garage. Jess erkannte Su.
Ihre Laune verbesserte sich schlagartig. Wenn Su jetzt nach Hause ging, konnte sie sie begleiten. Mit Sicherheit hatte ihre Freundin ihre Eltern gebeten, sie abzuholen, denn selbst Su war nicht so verrückt, alleine den langen Weg auf der einsamen Straße nach Hause zurück zu laufen, und niemand würde etwas dagegen haben, sie mitzunehmen. Gut, sie würde die Party zwar so früh verlassen, dass es schon beinahe peinlich war, aber bis zum Montag, wo man sie zur Rede stellen würde, hatte sie noch mehr als genug Zeit, sich ein Märchen zu Recht zu legen.
Vielleicht hatte sie sich ja in Wahrheit vor Jason auf der Toilette versteckt?
Oder eine Nachricht von ihrer Mutter erhalten, in der sie damit drohte, ihr für die nächsten zwei Monate Hausarest zu verpassen, wenn sie nicht auf der Stelle nach Hause käme?
Da wäre sie aus dem Schneider.
Jess hatte schon ein Bein über den Zaun geschwungen, als das Knacken eines Astes hinter ihr sie zusammenfahren ließ. Sachte, ganz sachte drehte sie den Kopf und blickte zurück in die Schatten.
Nichts.
Ein nervöses, aber nicht allzu unangenehmes Kribbeln machte sich in ihren Fingerspitzen breit.
Was könnte sich im einem gepflegten Wald mitten in einem verschlafenem Vorort verstecken?
Neugierig drehte die um und machte einen vorsichtigen Schritt auf die Bäume zu. Sie würde ja nur kurz zwischen den Bäumen hindurchlinsen. Nichts dramatisches.
Hinter ihrem Rücken wurde die Gestalt von Su kleiner und kleiner und verschwand schließlich hinter der nächsten Biegung.
Jess leckte sich nervös über die Lippen. Was hoffte sie zu finden? Was hielt sie davon ab, einfach zurück zu gehen, in den ordentlichen Garten, in die Garage, zu den tanzenden Lichtern?
Im Kopf ging sie die Möglichkeiten durch, die es für die Ursache des Geräusches gab. Am wahrscheinlichsten war ein Tier - ein  Eichörnchen vielleicht, allerhöchstens ein Fuchs. In diesem Fall wäre der Ruhestörer mit Sicherheit längst über alle Berge.
Vielleicht hatte sich auch einer ihrer Klassenkameraden in das Gebüsch verirrt, war besoffen über den Gartenzaun gekippt oder so etwas in der Art. Man konnte ja nie wissen.
Aber möglicherweiße, ganz eventuell, war auch jemand hier, der nicht hier sein sollte.
Jess lief ein Schauder über den Rücken bei der Vorstellung. Nicht unangenehm, unbedingt. Eher Aufregung.
Vielleicht sollte sie sich mit irgendwetwas bewaffnen?
Eines war sicher, wenn entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch etwas gefährliches hinter den Bäumen lauern sollte, dann wollte Jess unter gar keinen Umständen diese eine kreischende Person sein, die in den Horrorfilmen immer als erstes starb. Wenn schon, dann würde sie die toughe Heldin sein.
Entschlossen griff sie nach einem Ast auf dem Boden und umfasste ihn so fest sie konnte.
Sie wollte es zwar nicht zugeben, abet ihr eigenes Gegrübel über Einbrecher und potenzielle Mörder machte ihr doch ein wenig Angst.
Feigling! Schimpfte sie sich.
Es war wieder still geworden. Der Lärm der Party drang nur noch gedämpft durchs Geäst - Jess musste sich bereits weiter davon entfernt haben, als sie gedacht hatte.
Wie groß war das Wäldchen eigentlich? Sie hatte sich noch nie Gedanken darpber gemacht. Das lauteste Geräusch schien ihr Herzschlag zu sein, der stärker pochte als gewöhnlich.
Das liegt nicht an der Angst - das liegt am Adrenalin!, redete sie sich selbst ein, es gibt nichts hier drin, mit dem du nicht fertig werden könntest. Lauf gefälligst nicht so krumm. Stell dich grade hin. Du bist groß, du bist selbstbewusst, du...
Und genau in diesem Augenblick explodierte der Busch neben ihr.
Kreischend stolperte Jess zurück und rutschte aus. Sie prallte gegen einen Baum und landete mit dem Hintern auf dem feuchten Waldboden.
Nein Nein Nein! ärgerte sie sich, du musst ruhig bleiben und kämpfen!
Mit Fingern, die sehr zu ihrem Leidwesen zitterten riss sie ihren Stock nach oben.
Die Kreatur, die aus dem Schatten hervor gebrochen war, stürzte sich auf sie. Wie ein Zähnefletschendes Ungeheuer stieß es auf sie zu, der Speichel, der aus den Maulwinklen tropfte, spritzte ihr kalt ins Gesicht und die Augen leuchteten rötlich.
Kreischend trat Jess nach dem Wesen und rammte ihm den Stock zwischen die Kiefer.
Mit einem unmenschlichen Knurren stemmte die Kreatur  sich gegen den Widerstand, der wie eine Querstange in ihrem Maul steckte und von Jess mit aller Macht von sich gedrückt wurde. Ungeschickt trat sie nach dem Angreifer, in der Hoffnung, eine Schwachstelle zu treffen.
Das Wesen jaulte auf, und Jess gratulierte sich im Kopf bereits zu einem erfolgreichen Kampf. Was auch immer das hier war, eins erledigt zu haben war, jetzt im Nachhinein, vielleicht doch mehr als sie sich zugetraut hatte. Klar, in ihrer Vorstellung war sie immer die unbesiegbare Killerqueen, aber der realistische Teil ihres Verstandes hatte immer noch Zweifel gehabt.
Zu Unrecht, wie sich jetzt zeigte. Sie hatte diese Kreatur erledigt. Sie konnte es. Sie würde nie mehr...
Der Druck auf den Stock ließ nach, als die Roten Augen sich schmerzhaft verdrehten und der schwere Körper zur Seite kippte.
Im Rücken des Wesens steckte ein Pfeil.

BatsongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt