Kapitel 6

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Uns überfällts. Wir ordnens.
Es zerfällt.
Wir ordnens wieder und
zerfallen selbst.

- RILKE

"Heaven, du bist so groß geworden, so schön und eine richtige Frau", rief meine Tante und umarmte mich fest, sodass ich ihr süßliches Parfum förmlich inhalierte.
"Es ist auch schön dich wiederzusehen, Allison", murmelte ich leise und wurde dann auch direkt wieder los gelassen. Als sie in die Küche kam, hörte man lautes Gelächter meiner Mom und ihr. Ich erschrak, als mir jemand auf die Schulter tippte und drehte mich um.

Cillian strahlte mich an und zog mich in seine Arme. Er war mein 19-jähriger Cousin und hatte mir früher an meinen Zöpfen gezogen, als wir noch kleinere Kinder waren. Trotzdem war er immer tief in meinem Herzen. Breit lächelnd erwiderte ich die Umarmung und brummte gespielt empört: "Hättest dich nicht mal früher blicken lassen können?"

Er lachte nur und löste sich wieder von mir. Schmunzelnd fuhr er sich durchs blonde Haar und musterte mich.
"Ich wollte, aber mein Studium hat gerade angefangen und wollte mich erstmal auf dem Campus einfinden, du weißt schon. Den Shit, den du in einpaar Jahren ebenfalls bekommen wirst", erzählte Cillian und steckte seine Hände in seine Hosentaschen.

Ich schüttelte nur lachend meinen Kopf. "Immer noch der Alte", erwiderte ich daraufhin nur und sah meinen Dad und meinen Onkel kurz an, die die ganzen Taschen reintrugen.
"Wie lange werdet ihr bleiben?", fragte ich neugierig und lehnte mich gegen die Wand neben der Küchentür.

"Mom meinte, dass wir einige Wochen bis zu dem Tag hier bleiben. Wir waren das letzte Mal da, als wir hier halt waren und das ist auch schon einbisschen her", erwiderte Cillian und warf mir einen mitfühlenden Blick zu. Meine Kehle schnürte sich zu, während ich ihn einfach anstarrte. Ich konnte immer noch nicht drüber reden und das erste Mal, als ich da war, war mein letztes Mal. Danach wollte ich nie wieder. Mein Herz bröckelte leicht weiter, während Cillian wieder zu reden begann.

"Du solltest dich dem stellen, Heav. Ich meine, es ist doch nur zu deinem Besten und du kannst nicht alles in dich reinfressen. Wie läuft es hier so?", forschte er nach und schaute mich sanft an. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Es lief schrecklich, nur versteckten dies meine Eltern einfach perfekt. Meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen, wobei ich mir auf die Unterlippe biss.

"Es könnte besser laufen", hauchte ich getriggert und rannte fast zu meiner Mom, als sie uns rief, dass wir ihr helfen sollten. Ich wollte nicht darüber reden. Nicht mit der Schulpsychologin, nicht mit meinen Eltern, meiner Tante oder meinem Onkel. Und schon gar nicht mit Cillian. Ich schaffte es einfach nicht.

Nachdem wir aufgedeckt hatten, saßen wir alle am Tisch und aßen. Man hörte das Klirren des Besteckes und die Kaugeräusche. Doch gesprochen wurde kaum. Wahrscheinlich wussten wir alle nicht worüber oder wussten ganz genau, worüber gesprochen werden sollte. Ich seufzte innerlich, da ich wusste, dass dies wieder für Streit sorgen würde, sodass meine Mom und Allison erneut über Wochen nicht miteinander sprechen würden. Ich stocherte in meinem Essen herum und sah leicht missmutig nach unten. Irgendwann fiel ich dann wohl meiner Mom auf, die mich prüfend ansah.

"Schmeckt's dir nicht, Häschen?", fragte sie mich und nahm einen Schluck von dem teuren Wein, den sie eh schon jeden Abend trank. Ich schaute hoch und sah sie lange an.
"Doch, ich denke schon. Ich habe nur nicht so Hunger", meinte ich und ließ dabei Gabel sinken, wobei meine Mutter nur ihre Augenbrauen hochzog und dann zu Dad sah. Meine Tante beobachtete das alles und lächelte mich dann breit an.

"Und, Heaven, wie läuft's in der Schule?", erkundigte sie sich und stütze ihr Kinn auf ihrer Hand mit der sie auch die Gabel hielt. Kurze Zeit überlegte ich, ob ich ehrlich sein sollte.
"Nun ja, ich muss in ein, zwei Fächern Nachhilfe nehmen, aber sonst läuft alles ganz okay", antwortete ich und klang dabei monton, beinahe schon gleichgültig, als wäre es mir egal. Sie nickte langsam und sah zu ihrem Mann, George, der erst lächelte und dann ernster wurde.

"Wie kommt ihr jetzt damit zu recht?", fragte er einfach in den Raum, wobei ich meine Hände zu Fäusten ballte, meine Mom sich an ihrem gefühlt sechstem Glas Wein verschluckte und mein Dad ihn einfach nur emotionslos anschaute. Im Raum war es absolut still. Nur den Atem von allen konnte man hören und das Bellen des Hundes unserer Nachbarn. Meine Mutter zierte sich, stellte ihr Glas Wein ab.

"Wie stellst du dir das denn vor, George? Das wir einfach weiter machen?", fragte sie zimperlich und schaute ihn dabei mit bebender Unterlippe an. Dad schürzte seine Lippen und aß auf.
"Naja, es ist schon einige Zeit her, Lilien", erwiderte Allison vorsichtig und legte die Serviette auf den Tisch. Oh nein, ich wusste schon, wie das hier enden würde.
"Wart ihr jedenfalls ein paar Mal da und habt euch gekümmert?", hakte nun George nach und sah Dad dabei direkt in die Augen. Ich bemerkte wie die Hände meiner Mom verkrampften und sie starr gegen die Wand sah.

"Aber natürlich. Glaubst du, wir würden ihn aus unserem Leben verbannen, Herr Gott. Wir lieben ihn doch!", fuhr ihn mein Vater an und ließ das Besteck laut auf den Teller fallen, dabei sah er George gereizt an. Allison presste kurz ihre Lippen aufeinander.

"Ihr könnt nicht so weiter machen. Schaut euch doch mal eure Tochter an. Sie hat Augenringe und sieht einfach nur erschöpft und müde aus", begann sie nun und sah mich dabei kurz an. "Ich denke, es wird das beste sein, sie wirklich mit zu nehmen!"
Erschrocken sah ich auf und sah meine Eltern schockiert an. Wollten sie mich etwa nicht mehr? Eine Welle von Schmerz überflutete mich. Wie konnte dies nur immer passieren? Hatte ich nicht schon genug Leid erlebt?

Meine Mutter fuhr hoch und schmiss dabei das teure Weinglas um, welches auf den Fußboden schmetterte.
"Was willst du damit sagen, Allison?!", fing Mom an sie anzugiften, "Heaven hat es gut bei uns. Wir passen auf sie auf und sorgen uns um sie. Willst du uns etwa als schlechte Eltern darstellen?"

Allison sah sie an und schwieg. Dafür erhob George wieder das Wort.
"Matthew sah ebenfalls so aus wie Heaven bevor es geschah. Wir wollen nur das beste für uns alle", donnerte er zurück und klang dabei eisig. Ich zuckte zusammen und warf einen kleinen Blick in die Runde. Cillian schaute schuldbewusst weg und mein Dad raufte sich die Haare, während Tränen in die Augen meiner Mom stiegen.

"Tot ist er. Ihr könnt es ruhig sagen!", schrie meine Mutter die zwei an und fing an zu schluchzen. Mein Kopf rauchte. Es wurde mir alles zu hoch. Erst, dass ich zu meiner Tante soll und dann, dass meine Mom seinen Namen nach Monaten endlich wieder aussprach. Tausende Erinnerungen schossen mir in den Kopf. Es war wie eine Kurzschlussreaktion. Ich sprang auf, sah sie alle an und sagte nun endlich auch mal was:

"Das ist alles eure Schuld. Ihr alle! Glaubt ihr, es wäre je passiert, wenn er besser aufgewachsen wäre?! Ich hasse euch so sehr dafür!", platzte es aus mir heraus. Alle starrten mich an und wagten es nicht etwas zu sagen.

Und ich? Ich drehte mich weg, fegte die Treppe hoch, schnappte mir meine Sachen und verließ dieses momentane Irrenhaus so schnell ich konnte. Natürlich würde ich wieder kommen, sowie ich es immer tat, doch ich konnte dies gerade alles nicht ertragen. Schluchzend und voller Emotionen steckte ich mir Kopfhörer ein und begann auch schon zu rennen. Ich wusste nicht, wohin ich rannte und wie weit ich rennen sollte, aber hauptsache weg. Hinter mir hatte ich noch die Haustür aufspringen sehen, ehe ich hinter der nächsten Ecke verschwunden war und die Dunkelheit mich in sich aufnahm.

Als ich mit brennender Lunge zum Stehen kam, wusste ich nicht wo ich war und wie ich hier gelangt war. Meine Augen waren ganz verheult und es wollte einfach nicht mehr aufhören. Es war schon viertel vor zwölf. Beth hatte ich kurzfristig doch abgesagt. Weinend fiel ich auf die Knie und bekam verschwommen mit wie mein Handy auf den harten Boden aufkam und wie meine Knie weh taten. Meine Augen brannten und ich fühlte mich einfach alleine, hilflos und wertlos. Keiner konnte mir helfen. Ich war ganz alleine auf dieser Welt und so unbedeutend wie mein Leben nunmal war, würde das wohl immer so bleiben. Immer wiede raufte ich mir durch die Haare und ballte meine Hände zu Fäusten. Durch den ganzen Krampf, der sich durch das ganze Weinen gebildet hatte, bekam ich eine Schnappatmung und machte jämmerliche, schwache Geräusche, als würde auch das letzte bisschen in mir sterben.

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So, mal ein etwas heftigeres Kapitel! Ich hoffe, es hat euch gefallen! Was glaubt ihr, wer Matthew ist und was passiert ist? - silntdreamr

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 14, 2018 ⏰

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