89|Traumdeutungen

6.5K 304 82
                                    

Ich sah wieder zu Seren und dann zum Bett.
Sie würde mich wirklich umbringen. Einfach nie wieder mehr helfen!
Niemals wieder!

~

Seren

Langsam öffnete ich meine Augen und streckte mich. Ich fühlte mich verloren. Mein Blick schweifte an mir hinunter. Eine Trainingsjacke. Seine Trainingsjacke. Ganz vorsichtig zog ich seine Jacke hoch und hoffte so sehr, meine Shorts noch zu sehen. Anwesend.
Ich sah durch den Raum. Vorsichtig setzte ich mich auf. Emin gemütlich in einer Decke auf dem Sofa während Kenan auf dem Boden saß, sich am Sofa anlehnte und mit verschränkten Armen schlief. Ich sah mich herum. Ich schlief auf dem Bett. Alleine.
Gut so.

Ohne die beiden aufzuwecken stand ich auf, zog seine Jacke aus und griff nach meinen Sandalen. Seine Jacke legte ich zurecht auf das Bett. Ohne einen Laut von mir zu geben ging ich auf die Kommoden zu, zog eine Decke hinaus und deckte Kenan zu. Dieser Idiot. Er schlief die ganze Nacht lang auf dem kalten und harten Fliesenboden.
Sein Kopf fiel nach links und sein Kiefer zuckte kurz auf. Schnell verließ ich das Zimmer und eilte hinunter in meins. Ich klopfte wie eine Verrückte gegen die Tür und hoffte, dass Alina schon wach war. Ich hatte weder die Zimmerkarte noch mein Telefon bei mir.
Zum Glück öffnete sie die Tür und zog mich sofort ins Zimmer.

„Wo zur Hölle warst du?", fragte sie mich sofort aus. Ich streckte mich nochmal und ging auf meinen Koffer zu um mir frische Unterwäsche zu nehmen. War ich die ganze Nacht lang bei Kenan und Emin?
Ich war echt überrascht, dass Kenan mich nicht am Strand gelassen hatte.
Was war eigentlich passiert? Ich wollte ihm sagen, dass ich mit ihm abschließen wollte. Und dann? Er gab mir seine Jacke und ich schloss meine Augen. An mehr konnte ich mich nicht erinnern.
Hatte er nicht etwas gesagt?

Kenan

*
Ich drehte mich im Kreis und war kurz davor zu verzweifeln. Wo zur Hölle war ich?
Eine Gasse. Nein. Ein Untergrund. Steinmauern und klares Licht, welches von oben hineinleuchtete, doch sobald ich hochsah erkannte ich nichts außer weiß. Die riesigen Kreise in der Decke waren mit Gitterstäben verzehrt, dass es keinen Ausweg nach oben gab. Hinter und vor mir waren unendlich lange Gänge, doch ich hatte keine Ahnung wohin.
Was sollte diese Scheiße?

„Kenan.", flüsterte eine weibliche Stimme. Ich sah sofort hinter mich, doch niemand stand dort. War das ein Traum? War ich überhaupt wach? Ich wollte ein Schritt vorgehen, doch ein warmer und engelsgleicher Schrei ertönte leise hinter mir. Ich drehte mich wieder, doch auch hier war nichts.

„Du musst unser Familiengeschäft weiterführen.", ertönte die strenge Stimme meiner Mutter. Mein Kopf schellte nach links. Sie stand dort mit einem herablassenden Blick auf mich.

„Du musst ein angsteinflössender Mann sein. Jeder muss Respekt vor dir haben.", rief die Stimme meines Vaters von der rechten Seite. Er stand im Anzug dort und sah mich genauso herablassend an. Als hätte ich alles falsch gemacht.

„Du musst gut sein. Du bist schließlich mein großer Bruder. Mein Vorbild musst du sein und mir zeigen wo es lang geht.", rief Koray und ich sah links hinter mich. Scheiße was war hier los?

„Du führst dich auf wie der König.", sagte Lara. Ich sah hinter mich. Sie, Emin, Serdar und Alissa.

„Dein Name muss uns Spaß ermögliche . Danke für diese Freundschaft.", sagte Emin, doch wirkte kein Stück glücklich darüber. Serdar und Alissa sahen mich genauso monoton und gefühllos an wie alle anderen.

„Du musst dein Studium bestehen.", ertönte Meghans Stimme. Mein Blick glitt nach rechts hinten. Ihre grünen Augen blickten direkt in meine Seele. Eine Zornesfalte zwischen ihren Augenbrauen.

„Du musst schlau sein."

„Du musst der Beste sein."

„Du musst uns ein guter Freund sein."

„Du musst uns Teil an deinem Geld haben lassen."

„Du musst unseren Namen aufrecht halten."

„Du musst kalt bleiben."

„Du darfst keine Schwächen haben."

„Du darfst nur an das Geschäft denken."

„Du darfst keine Kindheit haben."

„Du musst Erwachsen werden."

„Du darfst keine Zeit für Freunde oder Liebe haben."

„Du musst kaltherzig sein."

Sie alle sprachen durcheinander. Ich hielt mir meine Ohren zu und kniff meine Augen zusammen. Was war das? Wieso? Wieso musste ich? Wieso durfte ich nicht? Das war nur ein Traum! Ein Alptraum! Das war nicht echt! Das war nicht real! Ich fiel auf die Knie und lehnte mich etwas nach vorne.
Ihre Stimmen wurden immer lauter und ihre Rufe nach mir immer aufdringlicher.

„Du musst niemandem etwas beweisen.", brach eine Stimme alles zum Schweigen. Es war leise. Nichts war mehr zu hören. Ich lockerte meine Muskeln und öffnete meine Augen. Mein Blick auf den Boden gerichtet. Eine Träne verließ mein Auge. Meine Hände ließ ich sinken.
Diese Stimme.
Langsam hob ich meinen Blick. Alle waren weg. Am Ende des Ganges stand sie. In einem weißen langen Kleid, welches bis kurz vor den Boden reichte. Ihre hellbraunen Haare glatt vor ihrer Brust entlang. Ihre dunklen, schon fast schwarzen, Augen leblos auf mich gerichtet.
Seren?
*

Verschwitzt zuckte ich zusammen.
Was war das? Müde fuhr ich mir über mein Gesicht. Nur ein Traum. Ich sah an mir hinunter. Eine Decke? Mein Blick schweifte hoch zum Bett, welches leer war. Sie war weg. Ich rappelte mich langsam auf. Emin schlief noch. Verdammter Bastard. Ließ mich tatsächlich auf dem Boden schlafen.
Ich ging auf das Bett zu und hob meine Jacke auf. Dabei fiel etwas rotes aus dem Ärmel.
Sofort hafteten meine Augen daran und ich nahm es in die Hand.
Ein Armband. Serens Armband.
Es war aus Stoff und geflochten.
Wieso war sie in meinem Traum? Vielleicht, weil sie mir schon einmal einige Ratschläge gab? Unsere Feindseligkeit beiseite packte und mir half? Wie schaffte dieses Mädchen es auch noch jetzt in meinen Träumen aufzutauchen? Wie konnte sie es wagen?

Ich sah weiterhin auf ihr Armband und atmete tief ein. Ob sie sich daran erinnern konnte was ich gestern Abend sagte? Ob sie mir verzeihen würde? Ich wollte sie doch einfach nur loswerden.

Dieses Kapitel ist jetzt im Vergleich zu den letzten Kapiteln etwas kürzer.
Kenan sieht Seren schon in seinen Träumen.
Aber ob er das versteht und es sein Verhalten verändern wird?
Kommentare und Votes würden mich freuen. 🖤🖤

ALL I HATEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt