Sprung ins kalte Wasser

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Die Morgensonne schien mir sanft ins Gesicht, als ich aus dem kühlen Schatten des Hausflures, auf die belebte Straße hinaus trat. Ich nahm einen tiefen Zug der morgendlichen Stadtluft, während ich meine Schritte Richtung U-Bahn lenkte. Im Kopf ging ich bereits den Tagesplan durch. Arbeiten bis um drei. Dann nachhause. Duschen und wenns geht noch was Essen. Dann ins Fitnessstudio um den 18 Uhr Kurs zu übernehmen. Dann Pause mit meinem Kumpel Piet. Dann der 20 Uhr Kurs. Danach versuchen möglichst schnell nachhause zu kommen. Ein wenig Fernsehen, dann ins Bett. Morgen wieder um sechs aufstehen.

Der Nebenjob im Fitnessstudio kostete mich Kraft. Aber wenn ich als Trainer Fuß fassen wollte, musste ich es irgendwie schaffen beide Jobs unter einen Hut zu bringen. Denn den Job als Physiotherapeut lag mir leider gar nicht. Die Ausbildung hatte ich eigentlich ziemlich gut abgeschlossen, aber noch währenddessen war mir klar geworden, dass ich diesen Beruf nur solange ausüben wollte, wie ich unbedingt musste. Nun war ich in der Probezeit einer Praxis, die sich auf Haus- und Klinikbesuche spezialisiert hatte. Das bedeutete für mich einen Tagesablauf bei dem ich ständig für Behandlungen quer durch die Stadt fahren musste.

‚Nur solange es sein muss', schwor ich mir bereits jetzt, da ich erst seit vier Wochen hier arbeitete. ‚Bald schreibst du deine Kündigung'.

Ich würde gehen, sobald ich Vollzeit als Trainer arbeiten könnte. Doch dafür musste ich erst lange genug als Teilzeitkraft gearbeitet haben.

Als ich im Büro ankam, grüßte ich freundlich die Kollegen, zog meine Jacke aus und setzte mich an den Tisch. Heute war Montag. Terminbesprechung.

„Wir brachen zwei Kollegen die kommende Woche in der Marrenklinik behandeln. Massagen und Gelenkübungen. Nichts Schwieriges", verkündete die Chefin, kaum dass ich mich gesetzt hatte.

„Kostas, Enrico, machen sie das?", ich sah meinen Kollegen an. Es war nicht so, dass ich Enrico nicht mochte. Doch seine schüchterne und sehr zurückhaltende Art machte es schwierig mit ihm neue Behandlungsorte aufzusuchen. Zumindest vermutete ich das.

„Ja, können wir machen.", stimmte ich wiederwillig zu.

„Gut", sagte sie, nun mit einem unheilverkündenden Lächeln auf den Lippen.

„Enrico, sie weisen unseren Neuling ein, ja.", sagte sie, dem schmächtigen Brillenträger zugewandt.

„Ich hoffe sie wissen, was das für eine Klinik ist? Eine Nervenanstalt. Gute Klinik, aber etwas gewöhnungsbedürftige Patienten. Aber das ist doch genau die Herausforderung, die ein junger Berufsanfänger braucht.", sagte sie fröhlich. Ich vermutete dass ihre Fröhlichkeit nur daher rührte, dass sie diese Aufgabe gerade geschickt auf uns abgewälzt hatte.

‚Marrenklinik', gab ich am Abend in meine Suchmaschine ein, und wartete was mir das Internet unter dem Begriff so anzubieten hatte. Ich wurde schnell fündig und stöberte auf der Homepage besagter Klinik. Ich war etwas nervös, wegen meines Auftrages dort, immerhin hatte ich keine Ahnung was mich erwarten würde. Die Seite war seriös aufgebaut. Es gab eine Übersicht mit den Krankheitsbildern die üblicherweise therapiert wurden sowie ein Beispiel Behandlungsplan. Es wurde damit geworben, dass die Klinik ein sehr offenes System hatte, und die Behandlungen und Therapien für jeden Patienten individuell ausgewählt wurden.

Bald war mir klar, dass diese eine Privatklinik für schwierige Fälle war. Hier saßen also nur Patienten, deren Angehörige monatlich einen Haufen Geld bezahlten, weil sie noch Hoffnung hatten, diese Leute würden ihre Leiden eines Tages überwinden. Ich seufzte. Natürlich fand ich auf dieser Seite nichts über den Zustand der momentanen Patienten oder deren Störungen, doch ich ahnte bereits, dass dieser Job eine Zumutung werden würde.

My beloved Madman - KostoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt