Jungkooks Augen waren noch immer fest verschlossen, als er es hörte. Ein sanftes, kaum vernehmbares Schnauben, das den Hauch eines Lachens ankündigte – und ehe er seine Lider wieder öffnete, blickte er ins Gesicht eines lächelnden Kim Taehyung. Es war jedoch kein erfreutes Lächeln gewesen. Nicht die leiseste Spur von Heiterkeit konnte er in den Zügen des Älteren ausmachen; viel zu traurig war der Ausdruck in seinen Augen gewesen, erschuf zusammen mit seinen leicht gehobenen Mundwinkeln eine sonderbare Art der Melancholie, harmonierte zu einem deutlichen Abbild von Wehmut und unterdrücktem Leid.
Prompt versiegten Jungkooks Tränen, als er feststellte, in welch einer ungewohnten Art und Weise Taehyungs Augen im spärlichen Sparlampenlicht des Badezimmers glänzten. Der Ältere beobachtete seinen ehemaligen Partner stillschweigend mit dunklen Iriden, die in ihrer Position bebten. Und erst als die feuchte Schicht in seinen Augen als Tränen zu resultieren drohte, blinzelte er mehrfach rasch hintereinander, hob den Kopf leicht an. „Deine Ausdrucksweise...", begann er daraufhin heiser zu flüstern, „ist noch genau so schlecht wie damals."
Und gegen Ende dieses Satzes brach seine Stimme.
Er schnappte gierig nach Luft, als die früheren Zeiten an ihm vorbeizogen – als er sich ins Gedächtnis rief, wie er Jungkook kennengelernt hatte. Als er sich an Bruchteile aus dem damaligen Telefonat wieder zu entsinnen begann, als er daran dachte, wie unbeschwert und wundervoll die Zeit davor vergleichsweise gewesen war. Sein Adamsapfel hob und senkte sich, als er schwer schluckte, den Kloss in seinem Hals damit jedoch nicht loswurde. Wann war ihr Leben so unbeschreiblich... qualvoll und komplex geworden? Wie war das geschehen und wieso hatte er es nicht verhindern können?
„Du hast ihn nicht umgebracht", versicherte er daraufhin Jungkook leise und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, bevor er kurz und knapp die Nase hochzog. „Das will ich nie wieder hören, Jungkook – ich weiß... in etwa... was geschehen ist, und dafür bist nicht du verantwortlich." Eine einzelne, vorerst letzte Träne lief die Wange des Jüngeren herunter, während er Taehyung mit aufgerissenen, nahezu schockierten Augen betrachtete – und kurz darauf fast schon den Verstand verlor.
„Wieso bist du so?!", fragte er eine Spur lauter als gewohnt. In seiner Tonlage zeichneten sich Verwirrung und Verzweiflung aus, sowie die unverkennbare Wut auf sich selbst, die er nun Taehyung entgegenbrachte. „Wie kannst hier vor mir sitzen – wie kannst du im selben Raum mit mir sein, wenn du das weißt?!" Immer vorwurfsvoller wurde seine Stimme, doch dieser Vorwurf galt sich selbst. In ihm herrschte solch ein gewaltiger Hass gegen sich, dass er daran zu ersticken drohte. Und in diesem Moment gab es nichts sehnlicheres, dass er sich wünschen konnte, statt tatsächlich einfach in seinem Leid zu ersticken. Einfach zu verschwinden, kläglich, schmerzlich. Ein langsamer Tod, wie er Jimin zuteil geworden sein musste, denn nichts anderes hätte er verdient. „Wie... konntest du mir in dem Wissen das leckere Essen kochen?", fragte er, während sich erneut Tränen in seinen Augen hochkämpften. Er widersetzte sich ihnen im Glauben, er hätte kein Recht zu weinen. Doch es klappte nicht. „Wie konntest du mich verarzten... und hier schlafen lassen... wenn du doch wusstest, die ganze Zeit über, dass alles..." Er schluchzte auf. „Dass alles meine Schuld ist, von Anfang an."
So fasste er sich erneut an die Brust. Er griff nach dem Stoff seines Shirts, schloss es krampfhaft in seine zitternde Faust, während er mit de Nägeln seiner anderen Hand permanent über die Fliesen des Badezimmers kratzte. Ein Gefühl so schwer wie Blei und Gold lebte in ihm, ließ ihn fühlen, als würde er in einem schwarzen See ertrinken.
„Jimin hatte mein Handy", begann er weiterzusprechen. „Er hatte verdammt nochmal mein Handy bei sich und ist ermordet worden... weil ich es ihm nicht abgenommen habe. Er ist gestorben, weil ich meinen Mund nicht halten konnte und als Polizist zu dumm war, um auf mein gottverdammtes Mobiltelefon auszupassen!" Er biss sich auf die Lippe, schüttelte hastig den Kopf und schlug mit der Faust seiner freien Hand gegen die Fliesen unter ihm. „Er meinte, wir sollten dich informieren, doch ich war dagegen. Ich habe es so vermasselt, Taehyung, ich hab so unglaublich Mist gebaut und ich werde nie wieder da herauskommen. Ich hätte ihn abhalten können, ich hätte es besser verbergen können, ich hätte irgendetwas machen können, ich bin Polizist, ich-"
„Du bist ein Mensch, Jungkook", unterbrach ihn Taehyung, noch immer mit seinen eigenen Tränen kämpfend. „Du... konntest nicht wissen, dass das passiert. Du hast dein Bestes gegeben und-"
„Jimin ist tot!", schrie Jungkook mit zusammengezogenen Augenbrauen und schlug plötzlich mit solch einer Kraft gegen die Fliesen, dass selbst Taehyung die Vibration auf dem Boden durch seine nackten Füße zu spüren bekam. Ebenso vernahmen seine Ohren das leise Knacksen von Jungkooks Hand. „Er ist ermordet worden, verbrannt, verkohlt; er muss so unfassbar gelitten haben und du willst mir weismachen, es sei in Ordnung, so lange ich mein Bestes gegeben habe?!"
Taehyung verstummte.
„Was, wenn das nicht mal mein Bestes war?! Ich hätte mehr tun können, das... kann unmöglich mein Bestes gewesen sein. Ein Mensch ist gestorben, weil ich als Polizist und Freund zu Inkompetent war, weil ich versagt habe, weil ich... weil ich nicht mal auf mich selbst aufpassen kann." Es hatte nicht lange gedauert, bis die Wut wieder der puren Trauer und Reue gewichen war. Taehyung versuchte nach Jungkooks Hand zu greifen, doch Jungkook entriss sie ihm. „Du warst eine Art Mentor für mich, nicht wahr?", fragte Jungkook nun. „Solltest du mich zurechtweisen? Solltest du mich nicht vom Dienst verweisen, rausschmeissen, mich windelweich prügeln, weil dein Freund wegen mir gestorben ist?! Solltest du mich nicht verachten?! Jimin war nicht derjenige, der sterben sollte, sondern ich. Solltest du mich nicht fragen, was mir denn einfällt, am Leben zu sein?! Solltest du mir nicht sagen, wie unglaublich dreist es von mir ist, lebendig zu sein, während er tot ist?!"
Doch anstatt ihm zu antworten, griff Taehyung hastig nach dem Handgelenk des Jüngeren und zog ihn grob in eine feste Umarmung. Ohne jegliches Erbarmen schlossen sich die Arme des Älteren um den Körper des Jüngeren, hielten diesen eisern fest, während dieser sich pausenlos der Umarmung zu entreißen versuchte. Doch wie mehr sich Jungkook wehrte, desto enger schloss ihn Taehyung in seine Arme; bis zu dem Augenblick, an dem der Jüngere seine Kraft vollends verlor – an dem sein Körper sich Taehyung einfach hingab, als würde es sich bei ihm um eine willenlose Puppe handeln.
„Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst oder nicht", begann Taehyung mit seiner tiefen, flüsternden Stimme zu erzählen. Sie hatte etwas Beruhigendes an sich, schien um einiges effektiver als warmer Tee mit Honig oder langsame, taktvolle Klavierstücke des 20. Jahrhunderts. „Aber... wir haben mal in der Verwaltung gestritten. Du warst so wütend, dass du den Feuerteufel nicht aufhalten konntest, dass ich dich in den Polizeigriff nahm und... ich habe seither immer bereut, dich stattdessen nicht einfach umarmt zu haben. Erinnerst du dich daran?"
Jungkook schüttelte stumm den Kopf.
„Verstehe", entgegnete Taehyung bedauernd. „Du hast noch nicht alles zurück. Aber lass dir Zeit, Kleiner... ich bin einfach so erleichtert, dass ich dich umarmen kann."
Der Jüngere atmete tief durch, während er den Lauten des Älteren lauschte.
„Danke, dass du am Leben bist, Jungkook."
Und da begannen seine Tränen wieder zu fließen.
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Remember me ♛ VKook「50% Texting」
FanfictionKim Taehyung Ich vertraue dir nicht. Kim Taehyung Aber deswegen bist du noch lange kein schlechter Mensch. Unbekannter Bist du dir da wirklich so sicher? Kim Taehyung ? Wenn zwischen Mord und Totschlag Freundschaften entstehen, die eigentlich als Fe...