S i e b e n

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Zitternd hockte ich auf dem kalten Laubboden im Wald und versuchte, kein Geräusch zu machen.

,,Sucht sie!", ertönte die tiefe Stimme von Phillip Howard. Ich erkannte sie wieder, es war dieselbe wie die auf dem Marktplatz. 

Ich kniff die Lippen zusammen und duckte mich tiefer in das Gebüsch, in dem ich mich gerade versteckte. Es raschelte, als ich einen Schritt nach hinten machte. Vor Schreck hielt ich die Luft an. Was, wenn mich jemand gehört hatte? Schritte kamen näher und durch die dichten Zweige konnte ich einen jungen Mann erkennen, der sich suchend umsah. Seine braunen Augen wirkten in der Dunkelheit fast schwarz und als er sich umdrehte, leuchtete sein dunkelblondes Haar, das durch das Mondlicht, das spärlich durch die Blätter fiel, hell auf.

Der Sohn von Phillip Howard betrachtete seine Umgebung aufmerksam und versuchte, etwas zwischen dem Gebrüll der herumlaufenden Männer herauszuhören, was mich verriet. Er trug keine Fackel bei sich wie die anderen der Gruppe, die durch den Wald streiften, doch trotzdem schien er genau zu wissen, wo er hintrat.

Fast schien es, als würde er meinen Blick spüren, denn er wandte seinen Kopf in die Richtung, in der mein Versteck lag und starrte misstrauisch in die Dunkelheit.

,,James, steh da nicht so nutzlos rum, sondern komm lieber und hilf uns suchen!", ertönte die tiefe Stimme eines Mannes zwischen den Bäumen.  Er stand einige Meter entfernt, die Fackel erhellte sein Gesicht, sodass ich den grimmigen Ausdruck darauf entdecken konnte. Er war zu allem entschlossen. ,,Ich komme ja schon!", seine Stimme war genauso tief wie die des Mannes, doch hatte einen weichen, beruhigenden Unterton. Er warf noch einen letzten Blick in meine Richtung, dann folgte er dem Mann und entfernte sich immer weiter von mir.

Erleichtert atmete ich die Luft, welche ich bis eben angehalten hatte, aus und dankte den Göttern dafür, dass ich unentdeckt geblieben war.

Nachdem die Stimmen sich noch weiter von mir entfernt hatten und aus den tiefen des Waldes zu hören waren, sank ich fassungslos auf die Knie. An diesem einzigen Tag hatte sich mein komplettes Leben geändert. Ich hatte entdeckt, dass meine Tante eine Hexe war und mich mein ganzes Leben lang angelogen hatte. Warum hatte sie mir nie etwas gesagt? Ich schüttelte den Kopf. Die Kälte drang in meine Knochen ein und ich musste an Tante Lyra denken, wie sie mich aus dem Haus gestoßen hatte und wie verzweifelt sie ausgesehen hatte. Anstatt ihr zu helfen, war ich feige geflüchtet! Ein erstickter Schluchzer entkam meiner Kehle. Was sollte ich jetzt nur tun? Außer Tante Lyra hatte ich niemanden mehr, ich wusste nicht, zu wem ich sonst gehen sollte.

Ich verbarg meine vor Kälte zitternden Hände unter dem Mantel und versuchte so, mich zu wärmen, als ich etwas metallenes unter den Fingerspitzen spürte. Verwundert blickte ich an mir herunter und entdeckte die Brosche, die in meiner Hand winzig wirkte. Das Metall leuchtete im Mondlicht auf und die lilafarbenen Steine schimmerten mysteriös.

Langsam stand ich auf und trocknete meine Tränen. Ich wusste, wo ich hingehen konnte. Zumindest war es einen Versuch wert.

Den Weg zurück wählte ich mit bedacht. Durch meine Streifzüge durch den Wald, wenn ich wieder einmal Kräuter sammeln musste, kannte ich die Umgebung ziemlich gut. Ich vermied es, auf dem Weg zu laufen und achtete darauf, mich leise und ungesehen zu bewegen.  Wenn ich Stimmen hörte, versteckte ich mich hinter einem Baum oder einem Busch und hoffte, dass mich niemand entdeckte.

Von weitem konnte ich sehen, dass das Dorf von einigen Fackeln erhellt wurde und vereinzelt Menschen umher liefen. Um diese Uhrzeit befanden sich die meisten schon in ihren Betten, doch das Gerücht, dass eine Hexe gefasst worden war, schien sie aus eben diesen vertrieben und hinaus auf die Straße gebracht zu haben. Immer mehr Menschen stolperten aus ihren Häusern und begannen, sich flüsternd zu unterhalten. Ich musste mich beeilen, wenn ich unerkannt zu meinem Ziel kommen wollte.

Misstrauisch sah ich mich noch einmal um, ob auch niemand in  meine Richtung sah, dann hastete ich im Schatten des Lichts von Haus zu Haus. In einer dunklen Gasse blieb ich stehen und sah mich schweratmend um.

,,Hab gehört, dass sie die kleine noch suchen." Erschrocken duckte ich mich in einen Hauseingang und versuchte, mich so klein zu machen, wie es nur ging. Ein Mann und eine Frau mittleren Alters gingen zusammen durch die Gasse und hielten nur ein paar Meter neben mir an, um sich zu unterhalten. ,,Na, aber dass die eine Hexe ist, war jetzt ja keine große Überraschung.", flüsterte die Frau. ,,Das hat man ja schon drei Meilen gegen den Wind gerochen, so wie die sich verhalten hat.", der Mann nickte zustimmend. ,,Ich hoffe, sie finden die andere bald." Die Stimmen der beiden entfernten sich und ich atmete erleichtert auf. Dann wartete ich noch einige Augenblicke, bis ich sicher war, dass sich niemand mehr in meiner Nähe befand und setzte mich wieder in Bewegung.

Ich atmete tief durch und versuchte, mir Mut zuzusprechen, bevor ich an die Tür klopfte. Hoffentlich ging das hier nicht schief.

Nach einigen Sekunden ertönten gedämpfte Schritte hinter der Tür und ich verkrampfte mich, als sie von innen geöffnet wurde.

,,Samara?" Samuel, der Besitzer des alten Kräuterladens sah mich erstaunt an. Laute Stimmen ertönten aus der Ferne. Ich biss mir auf die Lippen und sah ihn aufgewühlt an. Vielleicht war das Ganze hier doch ein Fehler gewesen. Schließlich wusste ich nicht, ob ich dem alten Mann vertrauen konnte, oder nicht. Vielleicht verriet er mich? Mein Herz raste und eine Schweißperle löste sich aus meinem Haaransatz und lief mir den Nacken hinunter. Die Stimmen waren inzwischen gefährlich nah. ,,Komm rein." Er trat zur Seite, sodass ich in das Haus huschen konnte, und schloss die Tür, als die Geräusche fast bei uns waren.

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