1. | Der Kaffeetyp

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Der Wecker riss mich aus meinen Träumen. Verschlafen sah ich auf die Uhr und war schlagartig hellwach.

7:45

,,Verdammt!", fluchend sprang ich aus dem Bett und stolperte zum Schrank, um mir ein Outfit zum anziehen rauszusuchen. Ich durfte nicht schon wieder zu spät kommen.

In der Küche drückte ich einige Knöpfe an der Kaffeemaschine und ließ meinen Blick aus dem Fenster schweifen. Von meiner kleinen Wohnung am Rande der Innenstadt aus, konnte ich den dichten Verkehr der Stadt genau erkennen. ,,Na, mein Schatz. Wieder verschlafen?" Josh, mein Verlobter kam in die Küche gelaufen und gab mir einen Kuss auf die Wange. Seine schwarzen Locken fielen ihm ins Gesicht und umrahmte seine gebräunte Haut. ,,Jap. Und deshalb muss ich jetzt auch los."

Ich hob den dampfenden Becher aus der Maschine und hastete aus der Tür. Für Frühstück war keine Zeit mehr, dann musste ich mir halt in der Mittagspause wieder etwas aus dem Café holen.

,,Bis heute Abend!", rief ich Josh noch zu, dann schloss ich die Wohnungstür hinter mir.

Unten auf der Straße hielt ich nach einem Taxi Ausschau, das an der Straßenseite stand. Der Morgenverkehr in London war der bloße Horror. Bis vor wenigen Jahren hatte ich sogar ein Auto besessen, aber weil man damit sowieso nur im Stau stand und zudem noch immense Steuerkosten bezahlen musste - Mal ganz davon abgesehen, dass ich von meiner Wohnung aus sowieso fast alles erreichen konnte, was ich brauchte - hatte ich es an einen Schrottplatzhändler für einen angemessenen Preis verkauft.

Nach etlichen Minuten, die mir wie Stunden vorgekommen waren und in denen ich überlegt hatte, zu laufen, weil ich sonst wirklich viel zu spät kommen würde, hielt plötzlich eines der schwarzen kleinen Fahrzeuge mit dem gelben Schild auf dem Dach neben mir.

,,Oh Gott, Dankeschön! Ich muss wirklich dringend zur Arbeit!" Erleichtert riss ich die Tür auf und ließ mich auf die Rückbank fallen.
Der Fahrer - ein Mann mitleren Alters mit leicht ergrauten Schläfen - sah mich stumm durch den Rückspiegel an und hob eine Augenbraue.
,,Miss, ich brauche schon die Adresse.", brummte er und sah mich missmutig an. Anscheinend war heute nicht sein bester Tag.

,,Ach so, ja. Stimmt." Ich nannte ihm kurz die Adresse und blickte dann aus dem kleinen Fenster. Der Himmel war grau und mit kleinen Wolken bedeckt.
Als der Fahrer anfuhr, schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel, dass es keinen Stau geben würde.

,,Vielen Dank!" Ich lehnte mich nach vorne und überreichte dem Mann das geforderte Geld, dann machte ich, dass ich aus dem Auto kam. So ein Griesgram.
Ich zog meine Tasche zurecht, deren Träger auf meiner Schulter saßen und nahm noch einen Schluck aus der Kaffeetasse, die ich immer noch in der Hand hielt.

Ah, tat das gut. Schon etwas wacher warf ich einen Blick auf die Uhr und seufzte erleichtert auf. Ich musste erst in wenigen Minuten im Büro sein, aber ich wollte dennoch nicht zu spät kommen, also machte ich mich auf die Weg.
Das Gebäude, in dem ich arbeitete, war ein etwas kleineres Hochhaus zwischen vielen anderen.
Hauptsächlich bestand mein Beruf eigentlich daraus, am Schreibtisch zu hocken und Papierkram zu bearbeiten. Manchmal war es ziemlich langweiligen - was sagte ich da? Eigentlich war es fast immer ziemlich langweilig. Aber ich mochte die Kollegen dort. Vor allem Emily war sehr nett zu mir. Sie war ungefähr in meinem Alter, vielleicht sogar etwas älter und hatte - im Gegensatz zu mir - unglaublichen Spaß an ihrem Job. Sie hatte mir schon mehrmals aus der Patsche geholfen, wenn ich wieder einmal zu spät dran war.

In meiner Hektik übersah ich einen Mann, der gerade aus einem der anderen Bürogebäude herauskam und lief direkt in ihn herein.
Der Kaffee in meiner Hand flog durch die Luft und landete direkt auf seinem weißen Hemd.

,,Verdammt, pass doch auf!" Fluchend sah er an sich herab und besah sich den Schaden, den ich angerichtet hatte. Geschockt betrachtete ich den braunen Fleck, der sich nur noch zu vergrößern schien. Durch das nasse Hemd konnte ich den Ansatz eines Sixpacks erkennen, was mich schlucken ließ.

,,Wie kann man bloß so unfähig sein?!" Meine Aufmerksamkeit wurde von seinem Bauch wieder zu seinem Gesicht gelenkt. Wütend funkelte ich ihn an. ,,Hallo? Sie hätten ja wohl genauso gut aufpassen können, wohin sie laufen!" Der Mann schnaubte. Er hatte rotblondes Haar, das perfekt gegelt auf seinem Kopf saß, gerade so, dass man denken konnte, die Haare würden auf natürliche Weise genau auf die Art von seinem Kopf abstehen.  Woher ich das wusste? Nun, leider versuchte Josh ebenfalls jeden Morgen, sein Haar in eine gewollte, ungewollte Form zu bringen. Mit eher kläglichen Erfolg.

Bestimmt war der Typ vor mir die Art von Mann, dem die Frauen zu  Füßen lagen und  der das genau wusste. Aber trotzdem sah er unverschämht heiß aus, doch das machte nichts, denn er war unglaublich unverschämt - und außerdem war ich verlobt!

,,Weißt du eigentlich, wer ich bin?!" Der Kaffeetyp - so hatte ich ihn im stillen genannt - sah mich wütend an.
,,Anscheinend jemand, der nicht weiß, wie man sich benimmt. Sonst würden sie mich nicht dutzen." Mit Genugtuung sah ich eine Ader an seinem Hals pochen. Mit dieser Antwort hatte er anscheinend nicht gerechnet.

,,Und jetzt entschuldigen sie mich. Ich komme wegen ihnen noch zu spät zur Arbeit." Ich rauschte an ihm vorbei und stellte mit Genugtuung fest, dass er zu geschockt war, um noch ein Wort herauszubringen.

Schnell drängte ich mich durch die Menschenmasse, die zur Arbeit strebte und durch die große Drehtür, die ins Foyer führte.

Die Halle hier unten war ziemlich groß, wir waren ein eher kleines Unternehmen, deshalb betrachteten andere sie vielleicht nicht unbedenklich als groß, aber für mich war sie das.
Der Boden war jeden Tag, seit ich hier arbeitete, so sauber geschrubbt, dass sich das Licht darin spiegelte. Die Gemälde, die zwischen ein paar Säulen an der Wand hingen, sollten der eher grauen Einrichtung einen farbenfrohen Touch geben, was nicht unbedingt gelungen war, denn ich fühlte mich oftmals so, als wären Kinderzimmer und Arztpraxis zusammengemischt worden. Keine Ahnung, was sich der Innenarchitekt dabei gedacht hatte.

Schnell machte ich einen großen Schritt in den Fahrstuhl, der gerade dabei war, sich zu schließen und lehnte mich mit dem Rücken an eine der Glaswände. Fast schon traurig starrte ich auf meine leere Hand, in der eigentlich mein Kaffee sein sollte.

Der Tag hatte ja schon Mal gut begonnen.

Plötzlich reichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt