Der König langweilte sich.
Seine Mutter hatte ihn genötigt, an einer der endlosen Sitzungen seines kleinen Rates teilzunehmen. Dabei wusste sie sehr genau, dass er es hasste, sich mit den Einzelheiten des Regierens herumzuschlagen.
Er war ein Mann des Wortes, der großen Fragen und Zusammenhänge; nicht der genauen Menge der Körner in den Getreidespeichern oder der Zahl aller Zitzen der Kühe im Land.
Sein Reich war das der Schönheit und der Erhabenheit. Hier, in dem düsteren Raum mit den niedrigen Decken und den alten Männern, die sich gegenseitig belauerten, war beides nicht zu finden.
Die Stimme seiner Mutter durchbrach das monotone Gemurmel der anderen Ratsmitglieder, wie der scharfe Schrei eines Vogels das sanfte Rauschen des Windes zerriss und einen aufschrecken ließ.
„Nun, meine Herren, welche von diesen hochgeborenen Töchtern wollen wir zur nächsten Königin machen?"
Ihre prosaische Krämerhaftigkeit stieß ihn ab. Er war ihr jedoch dankbar, dass sie sich an seiner statt mit all diesen lästigen Angelegenheiten abgab.
Vor ihr lagen einige Blätter, auf denen die Verwandtschaftsverhältnisse und die Besitzungen der Kandidatinnen mit flüchtigen Strichen festgehalten waren.
Nach seinem Geburtstag im letzten Tall* hatte eine hastige Suche nach geeigneten Jungfern eingesetzt und nur wenige waren in der engeren Wahl verblieben.
Er mochte es sich nicht eingestehen, aber er wußte wohl, dass keiner, nicht einmal seine eigene Mutter, geglaubt hatte, dass er das heiratsfähige Alter erreichen würde. Deshalb hatten sie es bewußt versäumt, früh einen geeigneten Bund für ihn zu schließen.
Nun war es Iner* geworden und die Zeit drängte. Sie wollten ihn unbedingt noch in diesem Jahr verheiraten, damit er baldmöglichst einen Erben zeugen konnte, aber der Achtmonat* rückte näher. War dieser erst einmal angebrochen, durften keine Feste mehr gefeiert und keine Ehen mehr geschlossen werden. Der letzte Monat des Jahres gehörte den Toten, der Ruhe und der Besinnung.
Ihm war es gleich. Er wollte gern tun, was von ihm verlangt wurde, auch die Thronfolge sichern, wenn sie ihn dann in Ruhe ließen und er sich ungestört seinem Werk und seinen Naturforschungen widmen konnte.Der Oberste Bruder, ein grauhaariger, grobschlächtiger Mann, der den Befehl über das gesamte königliche Heer, sowie die Stadt-, Burg- und Leibwachen innehatte, bemühte sich, die älteste Tochter eines entfernten Cousins anzupreisen. Seine Mutter lauschte den Ausführungen mit zusammengekniffenen Lippen.
Diesen Ausdruck in ihrem Gesicht kannte Novalis gut und er verhieß, dass das Mädchen höchstens dann ihren Gefallen finden würde, wenn es eine Möglichkeit kannte, dem Reich das Land der Fae** einzuverleiben.
„Der Graf von Brückfelding und Starkfels weist darauf hin, dass die Krone die Erz- und Kornlieferungen seiner Grafschaft sicher einer besseren Verwendung zuführen könne, als er selbst", warf der erste Kämmerer ein und rieb sich mit kurzen Fingern über eine Nase, die wie eine runzelige Kartoffel in seinem Gesicht saß.
Novalis konnte die blasierte Miene, die der Mann stets zur Schau trug, nicht ausstehen. Er war kleinlich und beschränkt und hatte keinen Sinn für Schönheit.
Trotzdem war der König froh, ihn zu sehen, denn der Alte trug eine Unzahl von funkelnden Ringen und Schmuckstücken in allen Farben. Sie brachen das Licht auf das Schönste und warfen, wenn man Glück hatte, die herrlichsten Farben an die Wände oder auf das Holz des Ratstisches.
Die Betrachtung dieser Reflexionen hatte ihn die wenigen Sitzungen durchstehen lassen, an denen man ihn genötigt hatte, teilzunehmen.
Er besaß selbst eine Sammlung solcher fein geschliffener Kleinode. Manchmal vergaß er über ihrem Farbenspiel die Zeit und erwachte erst aus seiner Träumerei, wenn das Licht des Tages schwand und das Feuer, das in der Tiefe der Steine zu wohnen schien, verlosch.Novalis seufzte leidend, aber niemand beachtete ihn und der Kämmerer fuhr fort, ohne von der Missbilligung seines Königs Notiz zu nehmen: „Der Graf wäre geehrt, wenn er in diesem Jahr mehr als gefordert in die Hauptstadt schicken dürfe - vielleicht begleitet von einer weiteren Truhe mit zusätzlichen Steuergeldern, wie er es ausdrückt", er überflog den Brief, den er in den Händen hielt, „und seiner Tochter, einer Jungfer von siebzehn Jahren..."
„Siebzehn?", unterbrach die Königinmutter geringschätzig. „So alt? Ist sie häßlich?"
„Im Gegenteil, Majestät. Aber ihr Verlobter ist kurz vor der Hochzeit im letzten Mannig* gestorben und sie hat eine angemessene Trauerzeit eingehalten."
„Nun ja." Wieder presste sie die Lippen aufeinander. „Der Graf meint, wir hätten eine bessere Verwendung für sein Korn. Das ist gewiss." Sie musterte die vor ihr liegenden Papiere ungnädig. „Man sagt, die Mädchen vom Land haben eine robuste Gesundheit und kommen schnell in andere Umstände", überlegte sie laut und lehnte sich in ihrem thronartigen Stuhl zurück.
„Die Ernten der letzten Jahre waren miserabel. Vollkommen ungenügend. Der Graf möchte nun also die Hand seiner Tochter gegen ein paar Säcke Weizen und einige Karren Erz tauschen." Verärgert kniff sie die Augen zusammen, wodurch sich die inzwischen ständig abzeichnenden Falten in ihrem Gesicht vertieften.
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Wenn der Schnee fällt
Fiksi SejarahIntrigen, Verrat und enttäuschte Hoffnungen mit einem Hauch Romantik. Eine mittelalterlich-fantastische Geschichte über das Ringen um einen Platz in der Welt. Adhara soll überraschend den König heiraten. Nie hätte sie geglaubt, so weit aufzusteigen...