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2018-10-31
23:34 p.m.

Ich verdrehte die Augen, als der alte, staubige Wälzer, den ich schon seit beinahe einem Jahrhundert mit mir rumschleppte, sich meldete und mir meinen nächsten Klienten ankündigte.
Das Buch, welches ich immerzu unter meinem Arm mit mir herumtrug, bewegte sich heftigt und geierte nach meiner Aufmerksamkeit.
"Ist ja gut, du Jahrtausende alte Baumleiche. Ich komme deinem Blutdurst schon noch nach, keine Sorge.", zischte ich und trank den ekelhaften, bereits kalten Tankstellenkaffe leer, den ich unbeobachtet hatte mitgehen lassen.
Die Menschen konnten mich immerhin nicht sehen, also konnte mich auch niemand als Dieb beschuldigen.

Umweltbewusst warf ich den nachhaltigen Plastikbecher (hah, das ich nicht lachte, das war eindeutig richtiges, schädliches Plastik und keines aus Mais oder Rüben) in den Stahlmülleimer am Rande dieses dunklen Parks, von dem sich die verkleideten Nervensägen glücklicherweise ferngehalten hatten, bevor sie ohnehin nach Hause getrudelt waren und zog das unhandliche Buch hervor, welches sich sogleich auf einer der hinteren Seiten öffnete.

"Nummer sechshundertsechsundsechzigmillionensechshundertsechsundsechzigtausendsechshundertsechsundsechzig.", las ich die Nummer des Glücklichen, der mein sechshundersechsundsechzig (und so weiter) millionster Kunde war laut vor und klappte das Buch wieder zu. Name und Alter interessierten mich mittlerweile nicht mehr. "Eine schöne Zahl, muss ich sagen."

Herauszufinden, wo sich besagte Person befand, war auch nicht unbedingt schwer. Heute war wirklich mein Glückstag, denn der Gesuchte stand bereits telefonierend neben mir. Vielleicht zwanzig Schritte entfernt.
Er war mir sowieso nervig geworden mit dem Zigarettenrauch, den er ausstieß und der ganz zufällig in meine Richtung wehte.

Ein letztes Mal atmete ich den Rauch ein, ehe ich mich der Zielperson näherte. Der Mann im mittleren Alter bemerkte mich erst gar nicht.
Ich hielt mich weiter vor ihm verdeckt und als ich vor ihm stand, machte ich mich sichtbar für ihn, was ihn höllisch ängstlich aufschreien ließ.
So machte meine Arbeit wirklich Spaß.

"Guten Abend, Nummer sechshundertsechsundsechzigmillionensechshundertsechsundsechzigtausendsechshundersechsundsechzig.
Das war wohl zu viel Nikotin für dein kurzes Menschenleben.", sagte ich und schlug in aller seelenruhe das Buch auf und blätterte betont langsam zur ersten Seite zurück.

Eigentlich kannte ich meinen Text auswendig, nach beinahe hundert Jahren, aber so war es dramatischer und der Betroffene hatte noch genug Zeit um zu überlegen, was hier gerade abging.
Wirklich zu lustig.

Vor allem, wie er mich erst verdutzt ansah und dann seine halb aufgerauchte Zigarette fallen ließ. Allerdings blieb er nicht lange fassungslos, sondern wurde hitzig.
"Bist du nicht etwas zu alt für Halloween? Ich wusste übrigens gar nicht, dass das hier jetzt auch zur Tradition wird. Wenn du Leute erschrecken willst, mach das mit jemandem, der dafür geeignet ist."

"Nur weil ich hundertdreizehn Jahre alt bin, heißt das nicht, dass ich zu alt dafür bin. Man ist so jung wie man sich fühlt und ich bin neunzehn geblieben. Wie man sieht.
Vielleicht hättest du das auch mal probieren sollen. Ich habe mal gelesen, dass positives Denken die Gesundheit enorm fördern kann.", sagte ich und hatte endlich besagte Seite aufgeschlagen und räusperte mich.

"Aber das ist jetzt vermutlich sowieso zu spät für dich. Naja, vielleicht klappt es ja in einem anderen Leben, wenn du ein weiteres mal auf diese Erde losgelassen wirst. Was ich nicht hoffen will, das wäre zu schade für die Menschheit. Du ziehst den Schnitt total runter. Aktuelle Statistiken zeigen, dass die Kriminellenrate immer stärker ansteigt und du bist unter vielen anderen ein doch recht häufiger Faktor bei der Vorantreibung dieses miesen Ergebnisses. Auch das habe ich vor kurzem gelesen."

Nun brach bei dem Typen der Schweiß aus und ich grinste gewinnend. Nun bekam er doch Bammel, endlich.
"Bist du von der Polizei oder sowas wie ein Junior Agent von der NIS? Sind eure Statistiken wirklich so genau?"
Oh, er staunte sicherlich, wenn er sah, von wem ich wirklich geschickt wurde.

"Weder noch. Es ist eine viel höhere Institution, für die ich arbeite."
Ich räusperte mich ein weiteres Mal und wollte anfangen zu lesen, als der Typ mich kurzerhand aufhielt, indem er übertrieben oft 'Halt' rief und seine Hand so hektisch ausstreckte, dass er mir damit beinahe ins Gesicht schlug.

So viel zu Glückstag. Ich hatte zwar viele nervige Kunden, aber er hatte ja noch nicht einmal wirklich erfahren, worum es hier eigentlich ging und fing jetzt bereits an Stress zu schieben.
Das waren mir die liebsten Klienten.

"Du bist sicher von der Mafia. Lass uns einen Deal eingehen."
Stumm sah ich ihn an, räusperte mich ein weiteres Mal und beugte mich über das Buch.
"Sterblicher-", begann ich, wurde aber ein weiteres Mal unterbrochen.
So machte das wirklich keinen Spaß mehr.

"Ich gebe dir Geld. Eine meiner Nieren. Wenn deine Leute wollen, könnt ihr sogar meine Tochter haben. Sie lässt sich sicherlich gut als Sklavin halten.", bot er verzweifelt an und ich verdrehte abermals die Augen.
Schrecklicher Kerl.
"Also erstens: Ich bin nicht von irgendeiner Mafia und gehe irgendwelche Geschäfte ein. Mit mir lässt sich nicht verhandeln. Zweitens: Du hast es verdient in die Hölle zu kommen. Also los, halt jetzt die Klappe und lass mich meinen Job machen."

Angsterfüllt sah mich der Typ an, als würde er gerade wirklich um sein Leben bangen. So falsch wäre das zumindest nicht. Vielleicht war er ja doch nicht ganz dumm und merkte nun, wo er da wirklich drinsteckte.
Es hatte ja lange genug gedauert.
"Bitte.", flehte er. Und dann fing er auch noch an zu heulen.

Genervt begann ich meinen Text vorzulesen und ignorierte den nasalen Walgesang, der von dieser vor Rotz triefenden Sirene ausging.
Ich konnte den faulen Geruch seiner schwarzen Seele wahrnehmen, die langsam aus seinem überschweren Körper trat und rümpfte die Nase, blieb aber weiter professionell und beendete meinen Job so sauber und ordentlich wie immer.

Auch wenn der Kerl definitiv in die Hölle kam, war es meine Aufgabe ihn in dieses Schicksal hineinzugeleiten und ihm in den Tod zu helfen. Sterben war eben nicht so einfach, wie die Menschen immer dachten.
Man starb nicht einfach so und landete in irgendeinem Todesreich.
Die ganze Sache war viel komplexer.

Zufrieden mit der geleisteten Arbeit knallte ich das Buch erneut zu und klemmte es wieder unter meinen Arm.
"Arschloch.", murmelte ich und wollte mich gerade abwenden.

Doch da kam mir ein dumpfer Schlag auf meinen Hinterkopf und ein plötzlicher Aufprall auf den dreckigen Boden total in die Quere und raubte mir langsam meine Sicht und das Gefühl in meinem eigentlich gefühllosen Körper.

Graveyard Whisper || jeon jungkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt