6. Dezember 2018

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[Kapitel 6 # Donnerstag]

Schlecht gelaunt werfe ich die Tür meines Spinds zu und schließe zu Melissa auf. Obwohl der Unterricht für alle Schüler bereits beendet ist, habe ich immer noch keine Liedzeile erhalten. Ich kann nicht genau sagen, weshalb es so ist. Aber in einer gewissen Weise bin ich enttäuscht, dass ich heute auf einen Zettel verzichten muss.

Möglicherweise habe ich mich mit dem Gedanken, dass mich jemand – dass mich Carter - gut findet, schon zu stark angefreundet. "Wollen wir morgen nach der Schule etwas zusammen unternehmen?", hält mich Melissa davon ab, weiter im Selbstmitleid zu versinken.

"Ich kann nicht", sehe ich meine Freundin entschuldigend an, "Shawn hat gefragt, ob wir zusammen weggehen." Die Worte haben kaum meinen Mund verlassen, da krallt die Braunhaarige ihre Finger in meinen Oberarm. "Weggehen, wie auf ein Date?"

"Nein weggehen, wie auf Carters Party", lache ich kurz auf, nachdem ich mich aus ihrem Griff befreit habe. Während Mel mich nickend betrachtet, scheint sie in ihrem Kopf etwas auszuarbeiten. "Warum hat er mir heute keinen Zettel in den Spind gelegt?", frage ich, bevor sie mir eine ihrer Theorien unterbreiten kann.

"Vielleicht hat Carter bemerkt, dass wir ihn gestern beobachtet haben", schlägt das Mädchen neben mir vor, während sie mit ihren Schultern zuckt. "Wahrscheinlich", murmele ich, "wir haben es auch nicht wirklich drauf, unauffällig zu sein."

Lachend schubst mich Melissa um die nächste Ecke, bevor sie wie angewurzelt stehen bleibt. Ihr abrupter Halt führt dazu, dass ich in sie hineinlaufe. "Mel", grummle ich, als ich einen schmutzigen Streifen auf der Spitze meines weißen Schuhs entdecke. "Sei still", fordert sie mich zischend auf.

"Tut mir leid, Mann. Aber ich habe es heute einfach nicht geschafft", dringt Carters Stimme leise an mein Ohr. Stumm bedeutet mir meine Freundin, dass ich dem Hockeyspieler zuhören soll. "Gib ihr den Zettel doch einfach selbst", stöhnt der Blondhaarige, während er die Kapuze seines dunkelblauen Pullovers aufsetzt.

Perplex starre ich den nun verdeckten Hinterkopf von Carter an. "Ja, ich habe zugestimmt", gibt er seinem Gesprächspartner am anderen Ende des Telefons Recht, "aber ich wollte doch nicht dein persönlicher Laufbursche werden." Automatisch greift meine Hand nach Melissas Arm.

"Junge! Ich dachte, ich soll ihr einen Zettel in den Spind legen. Einen!", wird der Junge lauter und haut mit seiner Faust gegen einen beliebigen Spind. "Paige?", zieht meine Freundin das 'i' alarmiert in die Länge. "Nein du Penner, sag mir einfach, was es nettes über Paige zu sagen gibt und dann beenden wir die ganze Sache."

Nach Luft schnappend gehe ich einige Schritte rückwärts und ziehe Mel mit. Aber sie denkt gar nicht daran den Rest der Konversation zu verpassen. Während die Braunhaarige auf ihre Ohren zeigt, nähert sie sich Carter wieder. Da ich auch nicht gerade uninteressiert bin, folge ich ihr.

"Du hast doch gar keine Ahnung, was du damit ins Rollen gebracht hast. Sie guckt mich seit gestern so komisch an. Als wäre ich derjenige, der auf sie steht." Meine Wangen aufblasend raufe ich mir die Haare. Wenn ich nur in Erfahrung bringen könnte, mit wem der Sportler telefoniert.

"Ja, das hättest du dir vorher überlegen müssen", schüttelt Carter verständnislos seinen Kopf. "Wie auch immer, ich muss jetzt Schluss machen. Wir sehen uns", verabschiedet er sich, ohne ein einziges Mal den Namen seines Gesprächspartners zu nennen.

Am liebsten würde ich auf ihn zustürmen und ihn so lange ausquetschen, bis er mir verrät, wer mit ihm geredet hat. Doch Melissa hat andere Pläne. Flink hakt sie sich bei mir unter und zieht mich durch den Flur.

"Jedenfalls habe ich ihr dann gesagt, dass sie das ganz schnell wieder vergessen soll", erhebt sie ihre Stimme, als wir an Carter vorbeilaufen. Irritiert blicke ich auf das Mädchen hinab. Dann stammele ich etwas, das wie 'ist wohl besser so' klingt.

Kurz bevor wir den Ausgang erreichen, hallt mein Name durch den Flur. Natürlich bleibt Mel nicht stehen, sondern beschleunigt ihren Schritt. "Scheiße, Paige", ruft Carter erneut nach mir.

"Dreh dich nicht um", befiehlt mir meine Freundin und wie so oft, gehorche ich ihr. Während ich die schwere Tür aufstoße, dringt die Stimme des Blondhaarigen ein letztes Mal an meine Ohren. "Wie viel hast du gehört?"

***

"Und du willst wirklich auf die Party?", erkundige ich mich noch einmal bei Shawn. "Klar", fällt seine Antwort anders aus, als erhofft. "Weshalb willst du nicht gehen?", fragt mich der Junge und ich weiß genau, dass er gerade seine Augenbraue in die Höhe zieht.

Frustriert drücke ich meine Faust in mein Daunenkissen, bevor ich mich wieder dem Telefonat widme. "Ich habe das Gefühl, dass ich mich bei Carter blamiert habe", seufze ich leise. "Das kann ich mir bei dir gar nicht vorstellen", lacht Shawn ausgelassen.

Meine Augen verdrehend stehe ich von meinem Bett auf. "Shawn, er denkt, dass ich auf ihn stehe", jammere ich, während ich mich in meinem Spiegel betrachte. "Ich weiß. Aber er wird morgen Abend so dicht sein, dass es ihm sicherlich nichts mehr ausmachen wird."

"Du weißt es?", rufe ich aufgebracht. Einen Moment ist es am anderen Ende der Leitung still. "Ich weiß was?", fragt Shawn nach. "Wovon haben wir gerade geredet? Der scheiß Affe hat mir einfach die Vorfahrt geschnitten", ertönt ein Hupen im Hintergrund.

"Shawn Peter Raul Mendes", schreie ich ihn regelrecht an, "du telefonierst während des Autofahrens mit mir? Leg sofort auf!" Ich weiß nicht, wie oft ich ihm schon gesagt habe, dass er das lassen soll. "Ist gut", stöhnt der Sänger genervt auf, "ich komme Morgen um sieben Uhr vorbei."

Gerade lege ich mein Handy beiseite, als ein gefaltetes Blatt Papier durch den Türschlitz geschoben wird. Wütend überbrücke ich die wenigen Meter und hebe den Zettel auf. Dabei weiß ich nicht einmal, weshalb mein Blut am Kochen ist.

"Von wem kommt der Zettel?", frage ich mit zusammengepressten Zähnen, nachdem ich meine Zimmertür aufgerissen habe. Doch ich blicke nur in das grinsende Gesicht meiner Mom, die angeblich ahnungslos mit ihren Schultern zuckt und dann in der Küche verschwindet.

Don't you know that I'm the only
one for ya?

Aus einem Impuls heraus zerknülle ich das Blatt und schleudere es in meinen Papierkorb. Diese Nachricht ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er mir zeigen will, dass ich mit Carter falsch lag. Ein Zeichen dafür, dass er angepisst ist, dass ich an einen anderen Jungen gedacht habe. Aber wie soll ich an den Richtigen denken, wenn ich nicht weiß, wer der Hauptakteur dieses ganzen Zirkus ist?

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Hat der Nikolaus heute Nacht ein kleines Geschenk in euren geputzten Stiefeln hinterlassen?😏🎅🏼

Nur ein Stück Papier •Shawn Mendes•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt