Ohne Titel Teil 1

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~Nicht mehr lange~

Direkt nach dem Gong zur Pause ging ich aus dem Klassenraum in Richtung Treppe zum Dach. Zu der Zeit war nie jemand dort. In der Hand hielt ich den kleinen Zettel voller tod wünsche meiner mobber.

'Ich kann einfach nicht mehr..' murmelte ich immer wieder vor mich hin während ich die Treppen hochstieg. 'Keiner versteht mich, keiner kennt meinen Schmerz..' Es tat inzwischen so stark weh, dass ich nichtmal mehr deswegen weinen konnte. Endlich erreichte ich die letzte Stufe und stieß dann mit einem mal die Tür zum Dach auf.

Ich war gerade dabei meinen ersten Schuh auszuziehen, dann sah ich das dort schon ein Paar Schuhe stand. Ein klein wenig weiter nach oben blickend sah ich sie dann.

Ein junges Mädchen, wahrscheinlich nur eine Stufe unter mir. Sie hatte zwei zu Zöpfen geflochtenen braune Zöpfe. Sie stand schon hinterm Geländer.

"Hey tu das nicht!!", rief ich bevor ich überhaupt wusste, was ich da gerade eigentlich gesagt hatte. Eigentlich konnte es mir ja egal sein. Vielleicht.. war ich auch nur wütend, weil sie vor mir hier war.

Aber nun war es eh zu spät, das Mädchen hatte mich schon gehört und drehte überrascht zu mir um. Ihre Saphir-grünen Augen sahen mich direkt an. Mit einem leichten lächeln fing sie dann an zu reden. "Ich will doch nur den Schmerz loswerden.. Dieser Junge. Er war meine Liebe.. heute hat er mir gesagt, dass er keine Lust auf mich hat."

"Ist das dein scheiß ernst?! Das alles wirklich nur deswegen?!" Mit wenigen großen Schritten ging ich auf sie zu und packte sie am Kragen. "Nur wegen sowas willst du springen?! Sei doch froh.. sei froh das es nur das ist!!"

Geschockt starrte mich das Mädchen an. Sie wusste nicht, was sie nun sagen sollte. Aber letztendlich lachte sie nur. "Stimmt du hast recht, danke, dass du mir zugehört hast." Sie stieg sofort wieder über das Geländer und zog die Schuhe an. Ob sie danach noch was tat, konnte ich nicht sehen. Ich konnte nurnoch die Tür zufallen hören. Warum hatte ich das getan? Naja, jetzt hab ich auch keine Lust mehr.. Also zog ich meinen Schuh wieder an und ging nachhause.

Am nächsten Tag ging ich noch vor Schulbeginn wieder die Treppen nach oben. Dieses mal sah ich mich oben vorher um, bevor ich meine Schuhe auszog. Ich konnte wirklich niemanden sehen, also zog ich meine Schuhe aus und ging zum Geländer. Doch dann sah ich sie, ein ganz kleines Mädchen zusammengekauert genau auf der Schwelle. Leise wimmernd.

"Sag mal bist du bescheuert?"

Wieder redete ich bevor ich nachdachte. Wieder hätte es mir doch eigentlich egal sein können. Wieder drehte sich das Mädchen zu mir um. Nur dieses mal weinte es auch. Aber wieder mit einem leichten lächeln fing sie an zu reden.

"Jeder ignoriert mich, jeder stielt meine Sachen. Ich habe hier niemanden, ich passe einfach nicht dazu.."

"Ist das dein scheiß ernst?!" Ich griff über das Geländer rüber und zog sie am Kragen nach oben. "Nur deswegen willst du hier springen?! Schonmal dran gedacht, dass deine Eltern zuhause auf dich warten?! Schonmal an deine Freunde außerhalb dieser Schule nachgedacht?!"

Wie beim ersten Mädchen, wusste dieses hier nicht, was sie nun sagen sollte. Dann sah sie aber nach unten und fing wieder leise an zu weinen. Langsam nahm sie auch noch ihre Hände vors Gesicht und wimmerte. "Du.. du hast Recht. Das war wirklich dumm von mir." Langsam kletterte sie wieder übers Gelände und zog ihre Schuhe an. Wieder blieb ich einfach nur stehen und hörte die Tür hinter mir zufallen. Wieder ging ich einfach wieder nach unten.

So lief das nun jeden Tag. Jeden Tag ging ich nach oben. Jeden Tag zu einer anderen Zeit. Trotzdem stand jedes mal ein anderes Mädchen dort. Und wie jedes andere mal hörte ich ihren Problemen zu. Wie jedesmal, hielt ich sie davon ab, zu springen. Und das, obwohl mir wahrscheinlich nie jemand zuhören würde. Eines Tagen jedoch, stand dort ein Mädchen, das war anders als alle andere. Ihre Arme waren verbunden, überall sonst waren blaue flecke. Über meine Verbände streichend starrte ich sie an und kurz bevor sie ihren Fuß von der Dachschwelle setzte, rief ich wieder. Aber leiser.

"Hey, bitte.. bitte tu das nicht..!"

Mit einem eiskalten Blick drehte sie sich zu mir um. Sie sah aus, als hätte sie keinerlei Emotion mehr.

~Sie ist wie ich.~

"Ich möchte einfach nur, dass diese Narben aufhören zu wachsen. Jedesmal aufs neue. Meine Arme sehen schon aus wie ein schlachtfeld. Vom Rest meines Körpers nicht zu denken."

Beim zuhören konnte ich nicht anders, ich fing an zu weinen. Das klang genause wie bei mir. Diesmal konnte ich nicht schreien und sie aufhalten. Ich konnte nichts anderes als auf die Knie zu gehen und zu weinen. Leise konnte ich nur ein seufzen vernehmen. "Jetzt hab ich keine Lust mehr.."

Ich hörte nurnoch wie die Schritte mich verließen. Ich weiß auch nicht, wie lange ich noch so dort saß. Jedenfalls war wirklich niemand mehr da, als ich mich umsah. Langsam stand ich auf und ging zum Geländer.

"Nie hat mich wer beachtet. Immer wurde ich misshandelt. Sogar meine Eltern haben mich geschlagen. Niemand wollte mich. Sogar der eine Junge verließ mich. Dabei dachte ich, er wäre der Richtige gewesen."

Langsam stieg ich übers Geländer und sprach das zu mir selber. Eine Weile starrte ich einfach nur gerade aus. Ließ den Wind durch meine Haare gleiten. Nochmal dran denkend wievielen Mädchen ich geholfen hatte. Nein.. das stimmte nicht.. Es war jedesmal dasselbe Mädchen. Es war jedesmal dasselbe, das ich davon abgehalten habe zu springen.

"Ich war jedes einzelne von diesen Mädchen. Jedes verdammte einzelne."

Aber jetzt konnte ich mich nichtmehr retten.

Und dann sprang ich. Und fiel. Und schlug auf.

~Jetzt bin ich frei~

A suicide StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt