Irgendwo, Irgendwann, auf jedenfall ist es noch dunkel

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"Was zum...", der erschrockene Ausruf des größeren Mannes, als er die Plane von der Lagefläche zog hätte jeden Streichespieler neidisch gemacht.
"Ähm... hi?", Jess hob ihre Hand. Irgendwie beschlich sie das Gefühl, dass diese Situation noch unangenehm werden konnte.
"Ist da noch einer?", die Stimme der Frau schallte alamiert von der anderen Seite des Wagens.
"Nein", rief der Mann zurück, "es ist... das Mädchen... glaube ich..."
"Was?!", der zweite, kleinere Mann riss die Fahrertür auf, "Wie kann das...?", er umrundete den Wagen und sprach Jess dann direkt an, "wie hast du...?!"
"Ich ähm... bin einen kürzeren Weg durch den Wald gelaufen? Und habe mich in eurem Wagen versteckt"
"Aber wieso?!", der größere Mann wirkte immer noch fassungslos. Und um einiges weniger bedrohlich als gerade im Wald.
Jess hatte ihn überraschen und aus der Bahn werfen können. Gut.
Aber die Frage war trotzdem berechtigt.
Wieso eigentlich?
"Äh... einfach so?"
"Einfach so", der Mann warf die Hände in die Luft, "klettert das Mädchen einfach so zu Fremden in den Wagen, einfach so. Aus Langeweile, weil man Samstagnachts ja nichts besseres zu tun hat. Ein Wunder, dass du noch nicht verscharrt in irgendeinem Wald liegst!"
"Ich habe Fragen!", schoss Jess zurück, "ihr seid Vampirjäger? Wie seit ihr dazu gekommen? Und Wie viele Vampire gibt es? Greifen die öfter Leute wie mich an? Ist euer Job gefährlich? Kann man sich irgendwo bewerben?"
Die letzte Frage war ihr einfach so herausgerutscht. Als Vampirjäger bewerben, was für eine schräge Vorstellung. Aber auf jedenfall spannender als ein BWL-Studium. Jess stellte sich sich selber mit einem Bogen über der Schulter in einem eigenem, coolem schwarzen Mantel vor, wie sie lässig aus den Handgelenk Vampire erledigte. Der Gedanke gefiel ihr. Sie hatte nie ein Leben wie alle anderen gewollt - und das hier klang wie die perfekte Gelegenheit.
"Genau, wo kann man sich bewerben?", wiederholte sie die Frage.
"Überhaupt nicht", der Mann rümpfte die Nase, "und du solltest besser..."
"Was ist hier los?", aus einem Gebäude neben ihnen, dass aussah wie ein alter Stallkomplex, war ein älterer Mann mit kariertem Hemd herausgetreten.
"Wir haben einen blinden Passagier", die Frau trat zur Seite.
"Sie hat Interesse an einem Ausbildungsplatz", fügte der kleinere Mann spöttisch hinzu.
"Und da ist sie einfach auf euren Wagen geklettert und bis hier hin mitgefahren?", der ältere Mann klang beinahe schon entsetzt.
"Ja", antwortete Jess pampig.
So wie er es sagte, klang es unheimlich dumm.
Wahrscheinlich war es das auch, jetzt, wo sie genauer darüber nachdachte.
Sie mochte das Gefühl nicht, dass diese Überlegung auslöste.
Aus einem albernen Wunsch heraus, ein Abenteuer zu erleben war sie in den Wagen geklettert.
Wie kindisch.
Nein! Jess ballte ihre Hand zu einer Faust, ich bin kein kleines Kind mehr. Ich kann tun, was ich möchte, und wenn ich verdammt nochmal Vanpire jagen will, dann habe ich ein Recht dazu!
"Jetzt hört mal zu", zischte sie, "Ich habe keine Angst oder sonst was. Und ich glaube, dass ihr es euch nicht leisten könnt, mich einfach so wegzuschicken", sie reckte ihr Kinn in die Höhe, "Ich glaube nicht, dass "Vampirjäger" ein beliebter Ausbildungsberuf ist. Ich denke, ihr könnt jeden Anwärter brauchen!"
Für ein paar Sekunden starrten die Jäger sie sprachlos an, dann brachen sie kollektiv in Gelächter aus.
"Wenn... wenn ihr mich nicht mitmachen lasst, mache ich öffentlich bekannt, was ihr hier tut. Dann ist es vorbei mit eurem Geheimnis!", spielte Jess ihre letzte Karte aus.
"Mädchen", der kleinere der Männer lente sich lässig an das Auto, "Wer sagt dass wir Geheimnisse haben?"
"Ähm, ich...", stammelte Jess.
"Reingefallen!", der Mann lachte schallend auf, "Natürlich sind wir Geheimniskrämer. Aber glaubst du ernsthaft, irgendjemand glaubt dir, wenn du Geschichten von Vampirjägern erzählst?"
"Shht!", die Frau boxte ihm gegen die Schulter, "hör doch wenigstens auf, dich über sie lustig zu machen. Hör mal", sie drehte sich zu Jess um, "Du hast wirklich Mumm, aber ich glaube nicht, dass das hier etwas für dich ist. Dahinten an der großen Straße fährt ein Bus zurück zum Ort. Wir geben dir Geld und du fährst zurück nach Hause. Glaub mir, es ist besser für dich."
Und damit war das Gespräch beendet.

"Ich muss schon sagen, dass das Mädchen mich irgendwie beeindruckt hat", der alte Van Helsing kratzte sich am Kopf.
"Du willst doch wohl nicht etwa sagen, wir hätten sie da behalten sollen?!", rief Duke entsetzt.
"Onkel, das kann nicht dein ernst sein", auch Kate schüttelte ihren Kopf.
"Ich meine ja nur", er zuckte mit den Schultern, "was spricht dagegen?"
"Ähm... dass sie ein Kind ist, das sich langweilt und sich deswegen in Dinge hereinstürzt deren Konsequenzen sie nicht absehen kann?", warf Rat ein.
"Und was ist der Unterschied zu euch dreien, als ihr mit dieser Geschichte angefangen habt?", van Helsing lachte.
"Wir haben das getan, was getan werden musste", ereiferte Duke sich, "Der Graf war auf dem Vormarsch, es hätte echt übel ausgehen können. Jemand musste etwas tun, also haben wir etwas getan. Aber dieses Mädchen muss gar nichts. Es gibt keine akute Bedrohung mehr, und selbst wenn, wir sind doch hier! Wir haben die Vampire einmal zurückgeschlagen und wir könnten es ein zweites Mal tun wenn es nötig wäre!"
"Dasselbe hätte ich damals auch sagen könne...", wiedersprach Van Helsing, "Ich hatte mich seit Jahren mit den Vampiren beschäftigt, nach ihnen geforscht und..."
"Nichts für ungut Onkel", Kate verdrehte die Augen, "Aber du bist ein Wissenschaftler. Alleine im Kampf wärst du heillos verloren gewesen."
"Aber dennoch siehst du, worauf ich hinaus will, oder? Ihr drei werdet such irgendwann rostig werden. Die Vampire nicht. Also, wenn schon jemand darum bittet, warum zeigen wir ihr es dann nicht wenigstens Mal? Aufhören kann sie immer noch."
"Du hattest ja noch nie Probleme damit, Kinder in diesen Konflikt mit hineinzuziehen", seufzte Kate und ließ sich auf das Polster eines alten Sessels fallen.
"Ich habe keinen von euch gebeten, mich zu unterstützen. Ihr wart sechzehn Jahre alt und alt genug, um eigene Entscheidungen treffen zu können und ich habe sie euch treffen lassen. Findet ihr nicht, ihr solltet einem anderen dieselbe Chance geben?"
Stille kehrte ein.
"Vielleicht beim nächsten Mal", Duke verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf, "Diese hier ist schon längst an der Straße, und ich stehe bestimmt nicht auf, um..."
In diesem Moment ertönte ein lautes Krachen vom Dach, begleitet mit einem panischen Schrei.
Eine der dursichtigen Kunststoffdachziegeln fiel Kate beinahe auf den Schoß.
Rat und Duke sprangen auf, griffen nach ihren Waffen und zielten nach oben, aber unter der Decke, am Holzgebälk festgeklammert, hing nut das Mädchen von vorhin.
"Ähh", stammelte sie, käsebleich in die Tiefe starrend, "Ich habe meinen Hausschlüssel hier liegen lassen."
Duke senkte seinen Bogen und warf Van Helsing einen entnervten Blick zu.
Der alte Mann zuckte nur mit den Schultern und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

BatsongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt