Der Bann der Kette...

13 2 0
                                    



"Louisa zieh doch bitte nicht so ein Gesicht!", flehend stand meine Mutter im Türrahmen und bat mich nun endlich ins Auto zu steigen. Melancholisch angehaucht ließ ich meinen Blick noch ein letztes Mal durch unser, nun leeres, Wohnzimmer schweifen, trat dann mit einem tiefen Seufzer hinaus in die Diele und schloss schließlich ein für alle Mal unsere Haustüre hinter mir. Geschwind strich ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Allein der Gedanke das Haus nie wieder zu sehen in dem ich aufgewachsen war, wo sich an der Tür lauter Striche befanden, die anzeigten wieviel ich gewachsen war, wo ich meinen ersten Zahn verloren hatte (der, weil ich ihn so ruckartig herauszog, in der Kaffeetasse meiner Tante Maddison gelandet war) und auch das Haus in dessen Vorgarten ich mit drei Jahren meinen besten Freund und Nachbarn Leonard kennengelernt hatte. Obwohl der Ausdruck "bester Freund" aus meiner Sichtweise ganz falsch war. Im Kindergarten, ja vielleicht, in der Grundschule auch noch und möglicherweise auch noch in der Unterstufe im Gymnasium, aber seit Jungs wirklich interessant geworden waren (was bei mir erst mit 14 richtig anfing, nicht schon mit zehn wie es heutzutage modern geworden ist) hatte ich bemerkt, dass da von meiner Seite schon mehr war. Nicht so viel, dass ich je jemandem davon erzählt hätte, aber doch ein so großer Teil, dass des manchmal schon echt schwer wurde nicht vor Eifersucht oder Kopfkinos (die sich leider nie erfüllten), nicht halb durchzudrehen.

Der Grund warum wir eigentlich wegzogen war, dass die Firma, in der mein Vater arbeitete, eine Zweitstelle eröffnete, in Hamburg. Also zogen wir von einem kleinen Ort in Österreich in die Großstadt und damit weg von allen und allem was mir vertraut war. Das einzig Gute an der Sache war, dass Leos Vater ein Kollege meines Dads war und sie daher auch in Hamburg unsere Nachbarn sein würden. Zumindest um diese eine Sache die sich nicht änderte, war ich unglaublich froh.

"Luisa entweder du schwingst jetzt deinen Arsch ins Auto oder du fährst auf der Ladefläche des Möbeltransporters mit!", formulierte mein Vater die Aufforderung weit weniger freundlich als kurz zuvor meine Mutter. "Jaha!", erwiderte ich patzig und setzte mich neben Leo auf die Rückbank. Sah wohl so aus als würde er bei uns mitfahren und damit die nächsten acht Stunden  meine Nerven bis zur Zerreißprobe strapazieren.

"Hey Lou!", jener wuschelte mir kurz durch meine blonden Locken und warf mir sofort einen Ohrhörer seiner Kopfhörer zu und drehte unseren Lieblingssänger auf volle Lautstärke. Manchmal war es schon gruselig wie genau er wusste was ich wann brauchte.

Die nächsten sieben Stunden verschlief ich größtenteils und wurde erst wieder wach als wir vor einem riesigen Wohnblock, irgendwo mitten in Hamburg standen. Ächzend setzte ich mich auf und bemerkte erst jetzt, dass ich die ganze Zeit mit meinem Kopf auf Leos Schoß geschlafen hatte. Peinlich berührt strich ich mir eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und nahm dankend wahr, dass jener gerade mehr mit der Umgebung als mit mir beschäftigt war.

"Wir sind in Hamburg Lou, in Hamburg! Stell dir vor wir können Essen bestellen, dass uns auch wirklich geliefert wird und wo wir nicht einen Haufen Lieferkosten bezahlen müssen. Es gibt Busse und Straßenbahnen die alle fünf Minuten fahren und nicht alle zwei Stunden und Läden sind zu Fuß zu erreichen und nicht eine halbe Stunde bergauf mit dem Fahrrad weg, es wird einfach toll hier!", schwärmte Leo, was ich , wegen seiner Übertreibungen, mit einem Grinsen quittierte und neugierig aus dem Auto stieg. Das große Wohngebäude sah von außen eher grau und trist aus, was jetzt nicht gerade zu meiner Erheiterung beitrug, aber da ich jetzt ja ohnehin nur mehr wenig ändern konnte, zuckte ich nur mit den Schultern und hievte meinem Koffer aus dem Auto.

Die Wohnung die Leo mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester Mona bewohnte lag wirklich im selben Stock als die unsere, die meine dreijährigen Zwillingsbrüder Josef und Anton, sobald unsere Mutter die Tür aufgeschlossen hatte, höchst motiviert erkundeten. Ich sah mich erstmal skeptisch um, bevor ich meinen Koffer in das, aus meiner Sicht, schönste Zimmer stellte und mich mit Oversize Kapuzenpulli und Chucks auf den Weg in Leos Wohnung machte. Eine Tür weiter trat ich also in die Wohnung und stieg die drei Stufen hinauf in den Gang mit den Zimmern.

Chain of the past *Oneshot*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt