73. It's Showtime

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Die nächste Zeit verging wie im Flug. Ich war nur noch jeden zweiten oder dritten Tag in der Arena, kümmerte mich aber auch mehr um die Schule, Eliza und ließ meine Kontakte im Globe noch ein bisschen aufleben. Da Marion jetzt Vito mittrainierte, wurde ich im eigenen Training mit dem Pferd viel entspannter, da ich nicht mehr dem Druck mit dem Einreiten ausgesetzt. Stattdessen gewöhnte ich den Hengst auch immer mehr an das Reiten nur mit Halsring, den ich mir behelfsmäßig aus einem Strick gebastelt hatte.

Marion und Chris kamen sich selbst immer näher und schließlich gestanden sich beide ihre Liebe. Auch über ihren Schmerz, über den Verlust von Thorgal, kam Marion immer mehr hinweg. Natürlich fehlte er ihr immer noch, doch sie gewann ihre Lebensfreude schnell zurück. In dem Punkt war sie so viel anders als ich. Wenn Vito gehen müsste, wäre ich wahrscheinlich einige Monate in Trauer versunken, bevor ich wieder allmählich zu Leben anfing. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie die Wintermonate wurden. Denn mir war klar, dass er ein Teil meiner Seele war und ich nicht einfach so ohne ihn leben könnte. Vielleicht mochte das etwas übertrieben klingen, doch ich war eben kein normaler Mensch. Moondancer-Sein hatte eben Vor- und Nachteile. Ob ich die Sache mit dem Seelenpferd als Vorteil oder Nachteil sehen sollte, wusste ich noch nicht. Jedes Mondkind hatte dieses eine Pferd. Sein Gegenstück, der Pate für sein inneres Pferd. Diese beiden Pferde waren miteinander verbunden. Starb das eine, starb auch das andere. Das hatte Sylvia mir erklärt. Und Vito war wohl mein Seelenpferd. Genau gesagt wurde das nie, doch man spürte es.

Ende September hielt auch der Herbst im Park Einzug. Da Herbst im Park auch als Halloween bekannt war, wurde das Traumland, wie es in der Werbung gerne genannt wurde, zu einem Albtraum. Innerhalb einer Nacht stellten einige Mitarbeiter alle 160000 Kürbisse auf. Dafür wurden Freiwillige gesucht und Eliza, James und ich ließen uns das nicht zweimal sagen. Obwohl es eigentlich ein Schultag war, blieben wir den ganzen Abend wach und halfen mit. Zum Glück wurden wir in die gleiche Gruppe eingeteilt und so hatten wir verdammt viel Spaß. Wahrscheinlich waren wir das Team, das hinterher am besten drauf war, denn mit unserer guten Laune hatten wir die ganze Gruppe angesteckt.

Auch die bekannten Horror Nights begannen, die ich mit Chris und Marion besuchte. Der Herbst war eindeutig die beste Zeit des Jahres. Überall hingen nun künstliche Spinnweben, die Kürbisse lagen in jeder Ecke herum und an sämtlichen Stellen fand man einige Gruseleffekte. Doch die Horror Nights waren das Beste. Fünf Häuser in denen man von vielen Live-Erschreckern verängstigt wurde, die Eisshow, die allerdings, wie jedes Jahr, sehr, sehr freizügig von den Darstellern präsentiert wurde, und viele Gruselfiguren, die dich einfach mal so antanzten. Leider durfte ich noch nicht in den Vampire's Club, wofür mich Eliza gewaltig auslachte. Die war nämlich vor kurzem 18 geworden und durfte in die Disco des Jahres hinein. Ich dagegen musste mit meinen jungen 17 Jahren draußen bleiben.

Stattdessen genoss ich meine unbeschwerte Zeit mit Vito jetzt im Herbst. Marion und ich hatten uns darauf geeinigt, dass Vito mit dem Gleichgewicht einfach noch nicht so weit war, dass wir das effektiv trainieren konnten. Also beließen wir es darauf beruhen und entschieden, dass Mario dafür bessere Methoden hatte. Vito und ich genossen unsere Zeit mit vielen Ausritten im Herbst und selbst Regen konnte uns nicht davon abhalten. Nur bei Gewitter blieben wir im Stall. Und das kam selten. Nebenbei übte ich noch verstärkt für einen Auftritt in der Arena. Entweder als Leibgarde des bösen Kardinals oder als Milady selber. Jedenfalls hatte ich immer eine böse Rolle und das gefiel mir. Der brave Typ war ich nie, wenn ich die Wahl hatte.

Ich fieberte den Herbstferien nun immer mehr entgegen, denn dann konnte ich auch endlich mehr in der Show mitspielen und meine Zeit wieder völlig mit Vito verbringen. Zwischendurch war sogar noch einmal Vollmond, doch es regnete und so blieben wir in der Arena und machten kleine Spaßaufnahmen mit meiner Kamera. Zum Beispiel redete ich als Pferd und Marion tat so, als wäre sie die Bauchrednerin. Doch schon nach zwei Stunden mussten wir so sehr lachen, dass Aufnehmen unmöglich wurde. Und so genoss ich das letzte Mal Moondancer gemeinsam mit Marion. Den nächsten Vollmond war ich nämlich allein, da nach den Herbstferien alle zurück nach Frankreich kehrten. Abgesehen von Ludo und den Reitern, die in der Umgebung wohnten. Doch daran wollte ich noch nicht denken. Ich war ein Pferd, ich lebte im Augenblick.

Tja, und dann waren die Herbstferien da. Gerade bereitete ich meinen ersten offiziellen Auftritt als Leibgarde vor und richtete dafür meinen Falben. Das "Kostüm" hatte ich schon an. Da die meisten Kostüme maßgeschneidert wurden, war mir das von Louisa ein bisschen zu klein, doch es ging.

Damien, Guillaume und Arnaud, die mit mir die Leibgarde spielten, waren bereits auf das Dach geklettert und so beeilte ich mich, mein Pferd nach dem Aufwärmen wieder in die Box zu bringen. Anschließend kletterte ich zu ihnen hoch und durch das kleine Fenster gelangen wir sofort auf den oberen Umlauf der Arena. "Wohin willst du?", wollte Damien wissen und blickte sich um. "Mir egal, aber am liebsten wäre mir die rechte Seite.", erklärte ich und sah die zwei Treppen an, die dort hinunterführten. "Ich übernehme die Hintere.", erklärte ich dann und machte mich auf den Weg.

Kurz darauf stand ich vor der Treppe und blickte böse auf die Menschen unter mir. Ich sah zu, wie Stéphane den Sandplatz betrat und die Anfangsszene begann. Nur einige Augenblicke später gab Damien ein Zeichen und wir machten uns bemerkbar. Anschließen provozierten wir die Musketiere und kämpften ein wenig. Es ging mir leicht von der Hand, da ich oft genug dafür geübt hatte.

Als Vito in die Arena musste, war er zwar etwas nervös, aber nicht ganz so panisch wie früher. Ich schaffte es, ihn einigermaßen zu beruhigen und die Show ordentlich durchzureiten. Denn dafür hatten wir ebenfalls trainiert. Am Ende, als wir zum Schlussapplaus noch einmal auftreten mussten, erschrak sich mein Falbe ziemlich heftig und ich hatte alle Hände voll zu tun, um ihn ruhig zu halten. Doch sobald er hinter Latoso die Abschlussrunde galoppieren konnte, wurde er wieder ruhig.

Anschließend versorgte ich den Hengst und lief zur Parade. Diese lag genau zwischen zwei Shows von der Arena und so hatte ich genug Zeit, sie mir in Ruhe anzusehen. Da heute nicht wirklich viel los war, experimentierte ich aus Langeweile, die ich hatte, während ich auf die Parade wartete, mit den blauen Strömen. Ich bemerkte, dass ich auch Energie aus ihnen nehmen und diese dann beliebig verformen konnte. Aus Lust und Laune heraus, formte ich einen kleinen Schmetterling, der dann langsam um mich herumflog. Es erforderte eine Menge an Konzentration, doch ich schaffte es, die Energie in der Luft zu halten. Wenn ich ihn nicht mehr wollte, würde er einfach zu der Energie zerfallen, aus der er geschaffen war. Wenn er flog, hinterließ er eine kleine blaue Glitzerspur hinter sich, die langsam zerfiel. Es sah gut aus.

Ich ließ den Falter in meine Hand fliegen und legte die Handflächen über ihn, sodass die Besucher nicht allzu neugierig darauf reagierten. Nebenbei schloss ich die Augen, sodass man meine leuchtenden Augen nicht sehen konnte. Ich achtete auf die Musik, damit ich die Halloweenparade kommen hörte.

Pünktlich um zwei Uhr begann diese. "This is Halloween, this is halloween!", tönte es aus den Lautsprechern. Ich öffnete die Augen und ließ den blauen Schmetterling wieder frei. Er setzte sich auf meine Schulter und ich versorgte ihn mit ein bisschen Energie aus meinem Körper. Dadurch sah er schöner und kräftiger aus.

Zuerst durfte er zu Jonathan, einer der besten Iceskater, fliegen, der ihn schief ansah, dann den Kopf schüttelte und sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Der Eisshowartist fuhr im Wagen mit dem Hexenkessel, indem er es sich gerade gemütlich machte.

Als Ornella, Gabi, Réka, Ferenc und Juan als Waterlooensemble in Geisteroutfit vorbeifuhren, ließ ich ihn um ihre Köpfe fliegen. Wie ein kleiner übermütiger Engel. Ornella streckte die Hand aus, und der Falter landete in ihrer Hand. Sie gab ihn Gabi weiter, die ihn fasziniert ansah. Er erhob sich aus ihrer Hand und flog um Juans Kopf, der nach ihm schlug, wie eine lästige Fliege. Der Schmetterling wich geschickt aus, schlug einen Salto und verkrümelte sich zu Thiquino, der ja auch hin und wieder Planchette bei uns in der Arena spielte. Dort setzte er sich auf die Schulter von ihm und blieb sitzen. Der Mann sah auf und erblickte mich. Er grinste mich an und der Schmetterling krabbelte über seinen Arm. Er flog zurück zu mir und ich ließ ihn um meine Finger herum fliegen.

Meine blau leuchtenden Augen hatte er entweder nicht bemerkt oder ignoriert. Ich war ganz froh darüber und ließ das magische Tier wieder verschwinden. Zufriedenheit breitete sich in mir aus. Mit meinen magischen Fähigkeiten war ich eben auch ziemlich weit gekommen.

Moondancer - PferdemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt