1. Kapitel

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„Seine tiefblauen Augen bohren sich in meine. Man hat das Gefühl, als könnte er nur durch einen Blick all meine geheimsten Gedanken und Gefühle offenlegen, obwohl ich selbst noch nicht einmal alles verstehe. Vorsichtig legt er seine Hand um meine Taille und zieht mich an sich. Gefühlvoll legt er seine Lippen auf meine und ich schließe automatisch meine Augen."

Wie gerne würde ich auch so jemanden kennenlernen, der alles für mich tun würde und er mich so liebt, wie ich bin. Doch leider interessiert sich kein einziger Junge für mich. Keiner kennt mich richtig und wird mich auch nie richtig kennenlernen, denn dafür bin ich viel zu schüchtern. Jedes Mal, wenn ich mit einem Jungen reden will, versagt meine Stimme und es kommt nur wirres Gebrabbel aus meinem Mund. Allein sitze ich auf einer Bank im Park und starre gedankenverloren in die Luft. Nur wenige Leute kommen in diesen Teil des Parks, sodass ich bis auf einen alten Mann, der gerade mit seinem Hund Gassi geht, ganz alleine bin. Jedoch ist mir das auch lieber, als wenn viele Menschen hier wären und mich doch alle ignorieren würden. Letzten Endes bin ich immer allein. Ich finde es nur besser, wenn ich mich dabei nicht so fühlen muss. Am Liebsten setze ich mich in Park mit meinem Lieblingsbuch und lasse meine Gedanken kreisen. Wenn ich ein Buch dabeihabe, finde ich meine Freunde und Wegbegleiter dort. Sie helfen mir durch schwere Tage und in Zeiten, in denen ich am liebsten einfach alles hinschmeißen würde. Doch dann raffe ich mich wider auf und versuche einfach mein Leben zu genießen.

Ich bin so vertieft in mein Buch, dass ich es zunächst gar nicht bemerke, als plötzlich dunkle Wolken aufziehen. Erst als einzelne Regentropfen auf die Seiten meines Buches fallen, blicke ich von dem fesselnden Text auf und blicke in einen menschenleeren Park. Sogar der alte Mann mit seinem Hund ist verschwunden. Da ich keine Lust habe im Regen nach Hause zu laufen, klappe ich das Buch zu und mache mich in der Hoffnung, noch vor Beginn des Regens zuhause anzukommen, auf den Heimweg. Doch leider ist das Glück, wie gewöhnlich immer, nicht auf meiner Seite und im selben Moment beginnt es so stark zu regnen, dass ich meine eigene Hand vor Augen nicht mehr sehen kann. So schnell ich kann, renne ich los und versuche gleichzeitig nicht gegen einen Baum oder eine Bank zu rennen. Bei meinem Glück würde ich nachdem ich gegen einen Baum geprallt wäre direkt mit dem Gesicht auf den Boden geklatscht.

Wäre der Regen nicht so laut, könnte ich mein Herz in kurzen Abschnitten laut schlagen hören. Mein Atem geht schnell und meine Schritte werden zu meinem Bedauern immer langsamer. Vielleicht wäre es doch besser ich würde öfters joggen gehen oder wenigstens Sport machen, denn das würde sich genau in solchen Momenten auszahlen. Umso mehr freue ich mich, als ich pritschnass meine Straße erreiche. Nur noch fünf Häuser, dann bin ich da und kann mich in die heiße Wanne legen und eine heiße Schokolade trinken. Diesen Satz wiederhole ich immer und immer wieder, damit ich noch schneller renne. Ich laufe gerade auf die Straße, damit meine Schuhe wenigstens nicht ganz durchnässt werden, was eigentlich sowieso nichts mehr bringt, als ich plötzlich das Reifenquietschen eines Motorrads hinter mir höre, das mich so lange in meine Träume verfolgt hat und sofort fühle ich mich wider in jene Nacht zurückversetzt. Jene Nacht, als meine Mutter meinetwegen starb.

Der Motorradfahrer versucht zu bremsen, als er erkennt, dass ich mitten auf der Straße stehe. Meine Glieder sind stocksteif, mein Atem flach und schnell. So sehr ich es auch will, ich kann mich keinen Millimeter bewegen, geschweige denn von der Straße runter. So sehr mein Kopf auch schreit, ich solle losrennen und mich in Sicherheit bringen, bleibe ich stocksteif stehen. Meine Augen füllen sich mit Tränen, die einzeln über meine Wange laufen und sich mit dem eiskalten Regen vermischen, der immer noch in Tonnen auf die Erde niederprasselt. Mein Leben war viel zu kurz, ich kann jetzt nicht sterben. Ich habe noch nicht einmal richtig gelebt, hatte noch nie einen festen Freund, geschweige denn meinen ersten Kuss. Und das soll es gewesen sein? All meine Entscheidungen, die ich getroffen habe, gute und schlechte, von Entscheidungen in welchem Sandkasten ich spiele bis hin zu Entscheidungen auf welcher Uni ich mich bewerbe, ziehen an meinem inneren Auge vorbei. Das ist also der Moment vor dem Tod, an dem das ganze Leben noch einmal an einem vorbeizieht. Der Moment, über den ich mich in den Büchern, die ich gelesen habe, immer lustig gemacht habe. Fehlt nur noch der kleine Teufel der auf vor mir schwebt und mich auslacht und mir sagt, wie sehr ich doch mein Leben vergeudet habe. Denn das habe ich.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 03, 2021 ⏰

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