Kapitel 9

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Lorelei

„Eure Hoheit!“ rief Barl empört, während er mit dem Finger auf mich zeigte, „das ist vollkommen absurd!“

Ich stand kerzengerade und zwang mich meinen Kopf weiterhin hochzuhalten. Mein Vater musterte mich misstrauisch. Er schien sich nicht sicher zu sein, ob er mir Glauben schenken sollte oder nicht. Je länger er mich ansah, desto ernster wurde sein Gesichtsausdruck.

„Wenn ihr an meinen Worten zweifelt, dann schickt jemanden nach Aphillia. Die Menschen dort werden das bestätigen“, erwiderte ich stur.

Barl schnalzte mit der Zunge. Ihm gefiel mein Vorschlag anscheinend überhaupt nicht, denn er sprach direkt nach mir weiter.
„Eure Hoheit, das ist Zeitverschwendung. Es gibt keine Dämonen und-“

Er hörte abrupt auf zu sprechen, als mein Vater seine Hand hob. Er sah mich noch kurz an und wandte sich dann an Tressa.
„Gehen Sie nach Aphillia und beurteilen Sie die Lage. Ich möchte alle Informationen über die Geschehnisse.“

„Jawohl, Eure Majestät“, antwortete sie und verbeugte sich mit einer Faust vor ihrer Brust. Auf dem Weg zur Tür gab sie mir ein strammes Lächeln. Ich wusste nicht, ob sie mir glaubte, aber sie schien willig zu sein, die Sache zu untersuchen. Um ehrlich zu sein lief all das viel besser, als ich gedacht hatte.

Kurz nachdem Tressa gegangen war beendete mein Vater die Versammlung. Barl war zornig. Er sagte nichts mehr, aber es war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Blick, den er mir gab, als er aus dem Raum stürmte war teuflisch. Wenn Blicke töten könnten…

Ich bemerkte, dass Reno die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte. Er schien tief in Gedanken zu sein. Manchmal hatte er dieses Funkeln in den Augen, wenn ihm etwas Wichtiges einfiel. Diesen Gesichtsausdruck sah ich nun auch, aber ich wusste, dass ich ihn dabei nicht stören sollte. Die Gelegenheit hätte ich auch überhaupt nicht bekommen, denn auch er verließ den Raum in schnellen Schritten und ich konnte hören, wie er irgendwas vor sich hinmurmelte. Tatsächlich, es hatte sich rein gar nichts geändert. Ich seufzte.

„Lorelei“, sprach mein Vater während er den Tisch umrundete und auf mich zu ging, „mein Liebes, ich bin froh dich unversehrt hier zu sehen. Dennoch tut es mir leid, dass du deine Reise abbrechen musstest.“

„Das ist schon in Ordnung Vater. Ich habe meine Reise sehr genossen, aber ich bin auch glücklich wieder hier zu sein.“

Er legte seine Hände auf meine Schultern und betrachtete mich. „Du wirst mal eine wundervolle Königin sein. Das kann ich ganz klar sehen.“

Seine dunkelblauen Augen strahlten voller Stolz. Ich wusste nicht, was er in mir sah, aber ich wollte, dass er mich weiterhin so ansah.

„Vater, darf ich dir eine Frage stellen?“ Darauf hob er eine Augenbraue, verlor aber nicht das Lächeln auf seinen Lippen.

„Selbstverständlich.“

„Glaubst du das, was ich vorhin erzählt habe? Über die Dämonen?“

Er sah mich an, während er überlegte. „Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher. Es… fällt mir schwer zu glauben, dass es diese Kreaturen tatsächlich geben soll. Besonders wenn ich sie selbst nie gesehen habe. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht real sein können.“
Er setzte sich auf einen der Stühle am Tisch. „Erinnerst du dich an die Märchen, die ich dir früher vorgelesen habe?“

Ich nickte. „Es fühlt sich so an, als wären wir Teil einer solchen Geschichte.“

Ich unterdrückte ein Gähnen und mir wurde bewusst wie spät es mittlerweile doch war. Meinem Vater fiel das natürlich auf und er schmunzelte.

„Es war ein langer Tag. Du solltest dich in deine Gemächer zurückziehen und dich ausschlafen. Wir können morgen weitersprechen.“

Ich nickte. „Ja, du hast Recht.“ Dann drehte ich mich um und ging zur Tür. Während ich sie aufmachte, schaute ich über meine Schulter.

„Gute Nacht, Vater.“
„Gute Nacht, Lorelei.“

Auf dem Weg zu meinen Gemächern im östlichen Teil des Schlosses, flogen meine Gedanken kreuz und quer. All diese Menschen, die heute ihr Leben verloren hatten. So viele Unschuldige, die nun nichts mehr als Asche waren. All die, die ihre Geliebten verloren haben, oder deren Zuhause zerstört wurde. Ich konnte mir nicht vorstellen, was diese Menschen durchstehen mussten. Selbst jetzt konnte ich noch ihre verzweifelten Schreie hören. Sie hörten einfach nicht auf zu schreien.

Und dann war da dieser mysteriöse Fremde, der mich gerettet hatte. Ein Schmunzeln verirrte sich auf meine Lippen, als meine Gedanken zu ihm schweiften. Ich wunderte mich, ob er Dämonen zuvor schonmal begegnet war. Würde es dann aber nicht Neuigkeiten, oder wenigstens Gerüchte darüber geben? Nein, ich las da viel zu viel hinein. Ich entschied, dass das die Folge meines Schlafentzugs war. Dennoch war ich neugierig. Ich erinnerte mich an Renos Gesichtsausdruck und kam erneut ins Grübeln. Er musste etwas wissen, da war ich mir sicher. Also machte ich es mir zum Ziel herauszufinden was.

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Hmmm... was mag Reno wohl eingefallen sein? ;)

Der Strom des Lebens I [Gespaltene Welten]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt