Für Sekunden, oder waren es Stunden, verharrten wir so. Wills Hand waren rau, warm und irgendwie zärtlich. Wills wunderschöne, mondgraue Augen waren maximal geweitet, sodass ich mein Spiegelbild darin erkennen konnte. So standen wir da, blickten einander in die Augen, ohne das einer sich rührte.
Ein merkwürdiges Gefühl ergriff von mir Besitz. Es fühlte sich so an, als ob mein ganzer Körper taub und leblos wäre. Nur die Stelle wo unsere Hände sich berührten, kribbelte vor Lebendigkeit. Ich trat näher an ihn heran und musste meinen Kopf jetzt ziemlich den Nacken legen, um ihm weiter in die Augen sehen zu können. Will beugte sich näher zu mir herunter. Ich blickte auf seine vollen Lippen und sehnte mich danach, sie auf meinen zu spüren. Ich legte meine Hände um seinen Nacken und meine Atmung beschleunigte sich, während er sanft die seinen an meine Rippen legte und sie hinunter bis an meine Taille wandern ließ. Er war mir so nah, dass ich die Hitze spüren konnte, die er ausstrahlte. Ich schnappte inzwischen schon fast nach Luft und mein Herz schlug so schnell, dass ich beinahe glaubte, es würde meine Rippen sprengen. Wills Gesicht war mir immer näher gekommen und schwebte nun wenige Zentimeter vor meinem eigenen. Er kam mir immer näher und ich wusste, dass sich gleich mein sehnlichster Wunsch erfüllen würde...
,,Was zur Hölle..." Ich zuckte bei Lils Fluch zusammen und erinnerte mich daran, wo und wer ich war und vor allem, wer vor mir stand. Um nicht in Wills wahrscheinlich total selbstgefälliges und arrogantes Gesichts schauen zu müssen, sah ich stattdessen in Lils. Sie wirkte ziemlich überrascht, aber es breitete sich schon ein triumphierendes Grinsen auf ihrem Gesicht aus. Mir wurde auf einmal bewusst, dass ich immer noch meine Hände in seinem Nacken liegen hatte. Ich nahm sie herunter, dabei streifte mein Blick sein Gesicht. Er wirkte ebenfalls unangenehm überrascht und sah irgendwie ein bisschen enttäuscht aus? Vielleicht, weil nun sein Handy doch nicht wiederbekam? Der Gedanke schürfte tief an meinem Inneren und lies mich schmerzerfüllt keuchen. War das möglich? War dieser besondere Moment wirklich nur gespielt von ihm gewesen? Ich traute es ihm durchaus zu. Hatte er sich also nur an mich herangetastet, damit er mich endgültig brechen konnte? War das vielleicht sogar irgendeine kranke Wette gewesen? Das er mich für 10 Dollar mich küssen oder vielleicht auch flachlegen sollte? Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen und wollte nur noch weg von hier. Rasch wand ich mich aus seinem Griff heraus, der mich nicht gehen lassen wollte. Ich senkte den Kopf und rannte zutiefst gedemütigt und verletzt hinaus.
Spitze Steinchen bohrten sich in meine Fußsohle, doch ich bemerkte den Schmerz kaum. Stattdessen rannte ich weiter, so schnell ich konnte. Ich atmete flüssiges Feuer, meine Beine brannten und Tränen liefen mir die Wangen hinunter, aber ich hielt nicht an. Als ich schließlich auf der kleinen, friedlichen Lichtung im Wald angekommen war, bremste ich und fiel auf die Knie. Diese Lichtung war schon oft mein Zufluchtsort gewesen.
Irgendjemand in der Ferne schrie immer wieder: ,,Warum!? WARUM!? Warum immer ICH!?" Die Schreie waren schrecklich und schüchterten mich ein, bis ich begriff, dass ich diejenige sein musste, die da schrie. Ich rollte mich auf dem weichen Waldboden zu einer Kugel zusammen und weinte nun stumm.
Ich lernte auch nicht aus meinen Fehlern! Ich war selbst Schuld, jemanden so nah an mich heranzulassen, den ich praktisch überhaupt nicht kannte! Mein Gott war ich schwach geworden! Ich heulte hier rum, nur, weil meine alberne kleine Verliebtheit nicht erwidert wurde! So langsam setzte es wohl wirklich aus bei mir!
Ich gab mir selbst einen Tritt in den Arsch und erhob mich. Ich wischte meine Tränen weg und ging aufrecht nach Hause. Ich habe mich noch nie so der Bahn werfen lassen und habe nicht vor, das zu wiederholen.
Zum Glück war keiner Zuhause, als ich ankam. In der Küche lag ein Zettel von Gran:
,,Hey. Ich bringe gerade deine Mutter zum Flughafen. Ich werde den ganzen Tag drüben bleiben und erst spät zurück kommen. Wenn du heute Abend nach Hause gekommen bist, kannst du dir noch was von dem Nudelauflauf warm machen, wenn du magst.
Hab dich lieb Katy. Gran xxx."
Bei Grans Nachricht schossen mir wieder Tränen in die Augen, die ich mit aller Macht zurückhielt. Nachdem ich mich wieder eingekriegt hatte, beschloss ich erst einmal im Bad zu verschwinden und zu duschen.Zehn Minuten später trat ich frisch und von neuen Kräften erfüllt aus der Dusche. Das warme Wasser hatte mir wirklich gut getan und ich fühlte mich schon etwas besser. Ich ging auf mein Zimmer und stellte mich vor den Spiegel. Ich hasste den Spiegel, weil er mir immer wieder das gleiche, viel zu dünne Mädchen zeigte. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel sah, erschrak ich mich vor mir selbst. Dennoch konnte nun einmal nicht aus meiner Haut und egal, wie sehr es auch versuchte, ich konnte einfach nicht essen, wenn Leute mich beobachteten.
Ich glaube nicht, dass ich magersüchtig war, schließlich war es nicht das Problem, das ich ein extrem verzerrtes Köperbild hatte; ich wusste ja, dass ich zu dünn war. Ich hatte nur das Gefühl wie ein Scheunendrescher zu futtern, wenn mich jemand beobachtete. Auch, wenn derjenige komplett teilnahmslos durch mich hindurch sah, konnte ich einfach nicht weiteressen, egal wie sehr mein Magen auch knurrte und wusste, wie albern ich war.
Ich seufzte, wandte mich vom Spiegel ab und meinem Schrank zu. Ich suchte mir eine schwarze Jeans und einen schwarzen Pullover heraus und ließ mich auf mein Bett fallen. Ich sprang jedoch sofort wieder auf, als ich etwas unter der Decke spürte und riss diese zurück. Oh man, das konnte doch nicht wahr sein! Unter der Decke lagen (Trommelwirbel): Unsere Handys. Ha! Jetzt musste ich doch nichts mehr mit Will unternehmen! Dann jedoch fiel mir ein, dass ich ihm wohl oder übel sein Handy zumindest zurück geben musste. Vielleicht konnte ich es auch Leanne morgen geben, damit sie es ihm gab? Mir gefiel dieser Gedanke, weshalb ich beschloss, das so zu machen. Ich legte Wills Handy auf meinen Nachttisch und schaltete mein Eigenes ein. Nachdem ich mir den Mist angeguckte hatte, der in der Stufen-Gruppe geschrieben wurde, legte ich mein Handy beiseite und starrte an die weiße Decke. Dann fiel mein Blick wieder auf Wills Handy. Sollte ich...? Nein, das wäre unhöflich... Naja, andererseits, wenn er nicht meine Gefühle respektierte, warum sollte ich das tun...? Außerdem hätte er das Gleiche getan, wenn mein Handy bei ihm gewesen wäre... Aber ich wollte nicht für mein Leben verstört werden... Aber es interessiert mich brennend. Außerdem wollte ich es ihm Heimzahlen! Ich schnappte sein Handy und schaltete es ein.
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Euphoria (Abgeschlossen)
FantasyEskada, von allen nur Katy genannt, ist eine Euphoria, also jemand, der dafür sorgt, dass die Menschen die Hoffnung nicht aufgeben, egal wie auswegslos die Lage ist. Sie ist dafür verantwortlich, dass es immer einen Ausweg gibt und sie ist nie gesch...