2. Kapitel- Wächter der Fieberträume

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Ich erwachte mit schmerzendem Kopf. Mühsam schlug ich die Augen auf und starrte auf scharlachroten Leinenstoff, der als Zeltdecke diente.
Die Luft war warm und schmeckte seltsam rauchig, da bemerkte ich das Feuer, das neben mir brannte.
In weiter Ferne konnte ich Stimmen hören, übertönt vom lauten Knistern der Flammen.
Ich lag auf einem weichen Fell, welches sich warm an meine Haut schmiegte.
Mein Körper schmerzte unerträglich und wehrte sich mit aller Kraft gegen das Leben, dass sich langsam in mein Bewusstsein drängte. Meine Schulter pochte, meine Seite pulsierte und mein Körper fühlte sich heiß an- fiebrig.
Ich atmete tief ein, saugte die warme Luft in meine Lungen und verzog das Gesicht, als es schmerzhaft brannte.
"Du bist aufgewacht!", stellte eine Stimme neben mir fest. Es kostete mich unglaublich viel Energie den Kopf in diese Richtung zu drehen.
Im ersten Augenblick erkannte ich nur den braunen, glänzenden Unterleib eines Pferdes. Erst dann erkannte ich den Oberkörper einer jungen Frau.
Ich schluckte. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er eine Huntertachtziggraddrehung vollführen.
Die Frau war eine Zentaurin. Aber Zentauren gab es in den SeaLands nicht.
"Wo bin ich?", krächzte ich und jedes einzelne Wort schmerzte beim Sprechen.
Die Zentaurin verzog mitfühlend das Gesicht, kniete sich neben mich und fühlte meine Stirn.
Sie hatte dunkelbraunes Haar, das sie zu einem festen Zopf geflochten hatte, welcher ihr über die Schulter hing und bis zur Hüfte reichte. Ich erkannte einzelne Strähnen, in die Lederbänder und Holzperlen geflochten waren.
Sie hatte ein schönes Gesicht, von der Farbe frischen Lehms. Ihre Züge waren sowohl fein geschnitten, wie willkürlich. So als hätte der Wind ihr Gesicht feingeschliffen, wie er einen Felsen mit der Zeit verformt. Ihre Augen waren groß und dunkel. Trotz der Sanftmut, die ihre Züge umspielte, strahlte sie eine ungezähmte Natürlichkeit aus, wie der reißende Fluss oder die tiefen Täler in der Erde.
Sie musterte mich.
"Du bist in Eralor.", sagte sie schlicht. Ihre Stimme war sanft und melodisch.
"Wie geht es dir?", fragte sie, "Du hast fünf Tage lang geschlafen."
Ich öffnete erstaunt den Mund und schloss ihn augenblicklich wieder, als mir ein stechender Schmerz durch den Kiefer ging.
Die Zentaurin bedachte mich mit einem mitfühlenden Lächeln.
"Ich bin Leyla!", stellte sie sich vor.
"K-Kaylen!", erwiderte ich.
Plötzlich schlug die angenehme Wärme in schmerzende Kälte um. Mein Körper begann zu zittern, stärker, als ich je gezittert hatte. Meine Zähne klapperten heftig aufeinander, den Takt zu einer Melodie, die nur mein Körper kannte. Das scharlachrote Zelt verwandelte sich in die düstere Wasseroberfläsche von unten. Ich spürte Druck auf meinen Lungen und war wieder unter Wasser.
"Kaylen?!", drängte sich eine Stimme in mein Bewusstsein, weit entfernt, wie das Brechen der Wellen am Strand, "Kaylen, beruhige dich!"
Zwei warme Hände legten sich auf meine Oberarme, ich spürte das Gewicht einer wärmenden Decke, die über mir ausgebreitet wurde. Ich erkannte Umrisse in den dunklen Wellen.
"Schlaf jetzt!", sagte Leyla.
Gehorsam schloss ich die Augen und schlief augenblicklich ein.

Es dauerte eine Woche, bis das Fieber verschwand und meine Wunden zu heilen begannen. Ich bat Leyla, mir beim Aufstehen zu helfen und sie stützte mich, als ich meine ersten Schritte in Eralor machte.
"Kaylen?!", fragte sie, nachdem sie mich wieder auf dem Feldbett abgesetzt hatte. "Du kommst nicht aus Eralor, oder?"
Mühsam schwang ich meine Beine über die Kante des Bettes und schlug die Augen nieder.
"Nein, das bin ich nicht!", murmelte ich. Leyla hatte mir das Leben gerettet, ich wollte sie nicht mehr anlügen, als nötig.
"Ich bin SeaLanderin!"
Leyla warf mir einen, von unterdrückter Neugier getränkten, Blick zu.
"Das hatte ich mir schon gedacht!", murmelte sie.
Ich verspürte das dringende Bedürfniss, ihr zu erzählen, was mir geschehen war.
"Ich war im Palast, als Prinz Octavian König Julian ermordete. Danach ging er auf mich los und ich rettete mich, indem ich in den Fluss sprang. Den Rest kennst du ja!", erzählte ich. Es war genau genommen nicht mal eine Lüge. Aber die Wahrheit war es auch nicht.
Leyla riss die Augen bestürzt auf. "Der König ist tot?!" Ich nickte.
"Kaylen, die SeaLander haben uns vor einer Woche den Krieg erklärt!", sagte sie.
"Was?!", fragte ich heftig, "Das kann nicht sein!"
Oktavius konnte doch nicht so dumm sein! Er konnte doch nicht ernsthaft annehmen, in einem Krieg gegen Eralor zu gewinnen. Die SeaLands und Eralor waren seit Jahrzehnten verfeindet. Allerdings waren sich beide Länder absolut ebenbürtig, weswegen sie vor Jahren einen Vertrag ausarbeiteten, der den Frieden waren sollte. Der Vertrag war die erste Amtshandlung meines Vaters gewesen. Oktavius hatte nicht nur meinen Vater getötet, sondern sein gesamtes Lebenswerk innerhalb weniger Tage zerstört.
"Die SeaLander rücken gegen uns vor, in drei Tagen stehen wir ihnen auf dem Schlachtfeld gegenüber.", sagte sie,"Kaylen, ich würde dir das nicht erzählen, wenn ich nicht der Meinung wäre, du müsstest es wissen. Wir wissen nicht, wie stark die SeaLands sind. Wir kennen weder ihre Angriffsstrategie, noch ihre genauen Ziele. Wir Eralorer sind unserem König bis zum letzten Blutstropfen untergeben, aber du bist keine von uns. Du bist SeaLanderin. Wenn du fliehen willst solltest du das jetzt tun!"
Ich brauchte einen Moment Zeit, um das Gesagte zu verarbeiten.
"Nein", antwortete ich, "Ich weiß nicht mehr wer ich bin oder zu wem ich gehöre, aber ich weiß wer ich nicht sein will; ich will kein Feigling sein! Wenn ihr also gegen die SeaLander kämpft, kämpfe ich mit euch gegen Oktavius!"

Die Chroniken von Eralor- Kaylens Lied   Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt