Was würdest du tun, wenn du nur noch eine Nacht zum Leben hättest? Wenn du wüsstest, dass danach alles enden wird? Wenn du, anstatt im Bett zu liegen alles tust was du immer wolltest?
Das monotone Piepen von verschiedensten Geräten durchbrach die Stille des abgedunkelten Raumes. Ein normales Krankenzimmer, weiße Wände, weiße Möbel und ein hässlicher, hellblauer Fußboden. In der Mitte des kleinen Raumes stand ein Krankenbett, aus dem der gelangweilte Blick eines jugendlichen Mädchens durch das Zimmer wanderte. Ihre kurzen braunen Haare standen ihr wild vom Kopf ab und ihre früher so strahlenden Augen verloren ihren Glanz. Sie war schon viel zu lange hier, kannte diesen langweiligen Raum viel zu gut und konnte das Piepen schon lange nicht mehr hören. In wenigen Minuten würde ein Arzt sie besuchen und ihr die Ergebnisse der letzten Untersuchung mitteilen.
Sie hoffte so sehr auf eine Verbesserung, sie wollte hier nicht mehr sein. Sie wollte die frische Luft in ihren Lungen fühlen und den kalten Wind auf ihrer Haut.
Es gab jedoch leider viel zu viele Gründe, die ihr das verboten. Sie hasste es, war schon ihr ganzes Leben lang anders. Warum konnte sie nicht einfach so sein wie alle anderen? Sie kannte nicht viel von der Außenwelt, lernte das meiste durch das Internet kennen. Durch das Internet hatte sie viele Freundschaften, jedoch war sie in Realität nur eine Leiche, die nichts weiter konnte als liegen und sitzen."Josefine? Es tut mir leid. Du hättest besseres verdient."
Der Arzt, welchen sie besser kannte als ihren eigenen Bruder, kam niedergeschlagen durch die Tür. In seinem Blick lag bedauern.
"Sagen sie nichts, ich will nicht wissen welcher Teil meines Körpers jetzt schon wieder aufgibt. Ich tue es selbst bereits."
Sein Blick fühlte sich für sie an wie ein Schlag ins Gesicht, sie fühlte sich unfähig, als wäre sie nicht einmal im Stande dazu zu atmen.
"Du hast wahrscheinlich noch bis morgen früh, de- es breitet sich schneller aus als wir dachten. Es tut mir leid, ich wünschte ich käme mit besseren Nachrichten."
Er setzte sich an das Fußende ihres Bettes und nahm vorsichtig ihre Hand. Sein Blick sollte ihr wahrscheinlich Mut geben, jedoch war sie mit ihren Gedanken schon ganz woanders.
"Und sie sind sich ganz sicher? Es kann sich an der Zeit nichts mehr ändern?"
"Natürlich kann sich immer etwas ändern aber mach dir keine zu großen Hoffnungen, die Wahrscheinlichkeit ist leider ziemlich hoch, dass die Rechnungen richtig sind."
"Ok... Könnten sie mich vielleicht alleine lassen? Ach, und bitte informieren sie heute nicht mehr meine Eltern, da hat sogar dieses doofe Piepen etwas beruhigenderes..."
Ihre Stimme wurde kälter als sie von ihrer Familie sprach, sie hatten nie ein gutes Verhältnis. Aber wer will auch schon eine Tochter haben, dessen Leben mehr einem alten Wrack ähnelte als alles andere?
"Aber natürlich, sag bitte Bescheid wenn etwas ist. Ich werde da sein."
Er lächelte ihr zu und verschwand so schnell wie er gekommen war.
Um 10 Uhr würden ihre Eltern kommen, länger könnte ihr Arzt es nicht herauszögern. Also hatte sie noch ungefähr 15 Stunden Zeit, aus ihrem Leben wenigstens kein verschwendetes zu machen. Sie wollte nie sterben ohne vorher glücklich gewesen zu sein, sie hatte immer irgendwo in ihr drin Hoffnung gehabt.
Langsam richtete sie sich auf, in ihrem viel zu dünnen Körper befand sich viel zu wenig Kraft. Und trotzdem würde sie es schaffen, sie hatte vor ihre Pläne durchzusetzen.
Ruckartig löste sie sich von den Geräten und versuchte mit wackeligen Beinen aufrecht zu stehen. Ihr wurde immer gesagt, dass es sie überfordern würde, was es zugegebenermaßen auch tat, jedoch schaffte sie es nach ein paar Versuchen. Mit unsicheren Schritten ging sie zur Tür, nahm sich noch einen Pulli, der auf einem Stuhl lag, und öffnete sie. Der lange Gang, der sich vor ihr erstreckte, jagte ihr ein wenig Angst ein. Nicht, dass sie sich hier nicht auskennen würde, ganz im Gegenteil, jedoch wusste sie nicht, wie lange ihr Körper das mitmachen würde. Vorsichtig bewegte sie sich, bis ihre Schritte sicherer wurden und sie fast anfing zu rennen. Es fühlte sich gut an, sie war für einen kurzen Moment frei. Dadurch, dass im Eingangsbereich ziemlich viel los war, kam sie unbemerkt aus dem hellen Gebäude und verschwand so schnell wie möglich aus der Reichweite.
