Kapitel 2️⃣7️⃣

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PoV Lou

Die Jungs gingen in den Wald und ich konnte mich mit Clary unterhalten, ohne von ihren Streitereien mit Takuya abgelenkt zu werden. »Was machen wir denn jetzt?« Clary zuckte mit den Schultern. »Wir trainieren für den nächsten Kampf mit den schwarzen Kämpfern!« Sie sprang auf und verprügelte zum Spaß einen Baumstamm. Ich begann zu lachen. Dann setzte ich eine besserwisserische Miene auf. »Ich finde, wir sollten erst Pläne machen! Erst die Theorie, dann die Praxis!«, äffte ich meinen ehemaligen Sportlehrer nach. Sofort setzte Clary sich, mit geradem Rücken, wieder neben mich. »Verzeihen Sie, Miss.« Sie senkte den Kopf. Ich brach in schallendes Gelächter aus. Noch nie hatte ich Clary mit braver Miene gesehen.
Nach etwa zwanzig Minuten kamen Takuya und Draco zurück. »Was heckt ihr aus?«, fragte Clary misstrauisch. Die Jungs ignorierten sie, was Clary natürlich nur noch wütender machte. »Ey! Ignoriert mich nicht, ihr-« Sie wollte auf Draco losgehen, aber ich hielt sie fest. »Clary, lass es!«, befahl ich ihr. Verwirrt schaute sie mich an und versuchte, sich aus meinem festen Griff zu befreien, schaffte es aber nicht. »Seit wann bist du denn stark?«, neckte mich Takuya. Ich streckte ihm nur die Zunge raus. Leider wusste ich selber nicht, warum ich mich auf einmal selbstbewusster benahm und mich insgesamt stärker fühlte. Seitdem ich den Stromschlag von Takuya bekommen hatte, fühlte ich mich viel besser als sonst. Eigentlich war das ganz okay! Ich grinste seit langem wieder.
»Lou? Geht es dir gut? Warum ist dein Mund so verzerrt?«, fragte Draco. »Das ist ein Grinsen, du Depp!« Clary riss sich von mir los und gab Draco einen energischen Kinnhaken.
Nachdem er zu Boden gefallen war, weigerte Clary sich auch noch, ihn zu heilen.

Takuya ging mit festen Schritten auf mich zu. Grob packte er meinen Arm. »Da sind ja Muckis drin!«, gab er von sich. Clary machte einen Satz auf ihn zu, doch ich gab ihr mit einem Handzeichen zu verstehen, dass alles gut sei. »Was dachtest du denn?«, fragte ich herausfordernd und legte neckend den Kopf schief. In meinem Körper breitete sich ein angenehmes Gefühl von Wärme aus. »Dachtest du, ich wäre schwach?« Ich stieß seine Hand weg. Das warme Gefühl wurde unangenehm heiß. Takuya grinste verunsichert. »Du machst mir Angst, Lou...« Er wich langsam zurück.
Die brennende Hitze war überall in meinem Körper. Ich verbrannte von innen. Der Stromschlag! Er war schuld an der Hitze. Und wer hatte ihn ausgelöst? Takuya! Er war Schuld an den höllischen Schmerzen, die mich nun zum Schwanken brachten.
»D-du... ICH BRING DICH UM!«, presste ich mit schmerzverzerrtem Blick hinaus.
Plötzlich war der Schmerz wie erloschen. Doch da war noch was. Ein Gefühl der Trauer. »Lou? Geht's dir gut? Ich mache mir langsam echt Sorgen.« Clary's stimme erinnerte mich an den Auslöser des Gefühls. Mitleid. Ich wollte kein Mitleid. Es half mir nicht, es drückte mich nur hinunter. Immer war ich die kleine Hilflose. Mit festen Schritten nährte ich mich Takuya. Ich fühlte mich größer. Stärker.
Der verängstigte Junge drückte seinen Rücken gegen einen Baumstamm. »Lou... leg das Messer weg«, stammelte er. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich ein Messer in der Hand hielt. Es schien mir passend. Eine kleine Hilfe, um all dem Leid zu entkommen.
Langsam hob ich die Hand mit dem Messer an. Die Spitze der Klinge wanderte von Takuya's Hals bis zu seinen Lippen. Sie hinterließ kleine Schnitte, welche sofort zu bluten begannen. Nun berührte das Messer Takuya's Wange. Helle, weiche und doch so schöne Haut. Nicht mehr ganz so schön mit der hineingebohrten Klinge. Diese steckte nun in dem Loch der Wange.
Das Blut lief unaufhaltsam auf sein T-Shirt. Rot, rot, rot. Langsam zog ich die Klinge aus dem Fleisch und säuberte sie fürsorglich an meinem Pulli. Niemand sagte etwas.
Clary schaute mich an, als wäre ich eine verrückte Serienmörderin. Noch nicht, dachte ich.
Mit festen Schritten lief ich auf sie zu. Unsicher zog Clary ihr Schwert. »Lou, ich will dir nicht wehtun!«, warnte sie mich. »Oh, dafür werde ich schon selbst sorgen«, erwiderte ich mit einem kalten Grinsen im Gesicht. Clary stieß mit ihrem Schwert zu, doch ich wich aus. Grob stieß ich sie zu Boden und drückte sie weiter nach unten.
»Lass mich los!«, brüllte Clary. »Draco! Hilfe!« Verzweifelt sah sie den stocksteifen Jungen an. Dieser zitterte, ging aber auf mich zu und riss mich zurück. Abwehrend stieß ich ihm mit meinem Dolch in den Fuß und er schrie auf. Draco stolperte rückwärts und fiel auf den am Boden liegenden Takuya.
Da verschwamm die Sicht vor meinen Augen und ich griff mir an die Stirn. Ich kniff meine Augen zusammen, in der Hoffnung, mich konzentrieren zu können, doch als ich sie wieder öffnete, sah ich nur Blut. Den blutenden Takuya, den zitternden Draco und die panische Clary.
Und ich war Schuld!

Lost In RealityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt