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Aquilea gehörte zu den vier großen Städten Norscas und war außerdem der Wohnsitz der Königsfamlie.

Früher war das Schloss, das auf einem großen Berg über der Stadt thronte, für alle Bürger offen gewesen und es wurden oft Feste gefeiert, an denen alle teilnahmen. Das Königspaar hatte nur ein Kind, eine Tochter mit dem namen Siobhan, die einmal das Land regieren sollte.

Seit ihre Eltern gestorben waren, hatte sich vieles verändert. Die Feste, die zuvor noch für alle offen gewesen waren, wurden nun nur noch für den Adel veranstaltet. Die Steuern wurden erhöht und die Bürger begannen zu hungern. Das Essen wurde immer knapper und einige der Menschen protestierten, doch Siobhan schickte ihre Schergen aus und erstickte die Wut im Keim. Entweder wurden die Leute im geheimen fortgebracht, oder sie wurden in aller Öffentlichkeit ihren Familien, oder Freunden entrissen und fortgebracht. Die meisten von ihnen sah man nie wieder.

Siobhan setzte alles daran, die Hexen zu vernichten und jegliche Magie aus ihrem Königreich zu verbannen und dafür war ihr jedes Mittel recht. Von ihren Untertanen wurde sie auch die verrückte Königin genannt. Ich war froh, dass ich ihr noch nie begegnet war, denn man erzählte sich, dass ihr Blick so kalt wie Eis war.

Eines Tages war einmal ein Reisender in unser Dorf gekommen, der von fremden Ländern und weiten Steppen erzählte. Ich hatte ihm gespannt gelauscht, ebenso wie alle anderen in dem Wirtshaus. Als er von der Königin sprach, hörte ihm jeder zu. Er hatte gesagt, dass ihr Haar unglaublich golden war und im Mondlicht fast schin weiß zu leuchten schien. Sie sollte von unglaublicher Schönheit sein, aber tief im Inneren war sie verdorben, denn sie  schien Freude daran zu haben, Menschen Schmerzen zuzufügen.

Manche Menschen munkelten sogar, dass sie den Vorsitzenden des Militärrates unter Druck gesetzt hatte, denn er war es gewesen, der das Verbot von Magie bekannt gab. Kurz darauf entstand eine regelrechte Jagd auf die Hexen und niemand, der auch nur ein bisschen Magie im Blut besaß, war mehr sicher.

Ich selber war damals noch nicht besonders alt gewesen, vielleicht gerade einmal fünf Jahre alt, und konnte mich deshalb an diese Zeit nicht mehr erinnern. Tante Lyra hatte mir erzählt, was damals passiert war. Die Frauen wurden aus ihren Häusern gezerrt und mit ihnen wurde kurzer Prozess gemacht, in dem sie bei lebendigem Leibe verbannt wurden.


Auf meinem Weg sprach ich nicht mit fremden Leuten, mied jeglichen Kontakt und falls mich doch jemand ansprach, antwortete ich in kurzen, abgehackten Sätzen.

Ab und zu vermisste ich Lydiã, vor allem die Gespräche mit ihr. Wie sie fast schon schwärmerisch über die Südlande sprach, die Tümpel dort und die vielen Moore, die sich dort befanden. Ja, sogar Leirout fehlte mir etwas. Seine mürrische Art und seine wortkagen Antworten hatte ich zwar nicht besonders gemocht, aber selbst das wäre besser, als alleine umherzuwandern.

Müde und kaputt schlich ich durch einen kleinen Wald, in dem es nach frischem Moos und Tannenzapfen roch.
Der Morgen hatte gerade erst begonnen und obwohl ich besonders früh mein Lager abgebrochen hatte und weitergezogen war, war ich schon einigen Kaufmännern und anderen Menschen begegnet.

Nach der Aussage einer alten Frau zufolge, musste ich nur dem Königsweg folgen und dann würde ich mein Ziel schon erreichen.
Die Bäume rechts und links von mir ragten weit über meinen Kopf empor und warfen ihre langen Schatten auf den Weg vor mir, sodass es aussah, als würden alte knochige Hände nach mir greifen. Ich konnte ihre Kronen gerade einmal erahnen, so groß waren sie. Der Boden war noch immer gefroren von der vergangenen Nacht und knirschte bei jedem Schritt unter meinen Füßen. Zu meinem Glück hatte es noch nicht angefangen, zu schneien. Die Winter in Norscas waren immer besonders hart und kalt und jetzt, wo ich nicht einmal ein Haus besaß, wäre ich wahrscheinlich einfach erfroren.

Ich unterdrückte ein Gähnen und sah mich verstohlen um. Momentan sah ich fast überall einen Spion, einen Feind, der mir auflauerte und nur auf die Moment wartete, um mich zu verraten. Ich wusste, was die Königin mit Hexen anstellte und auf keinen Fall wollte ich so enden.
Ich gähnte ein weiteres Mal. Inzwischen hatte ich reichlich Zeit gehabt, um über Samuels Worte nachzudenken.

Du bist eine Hexe, Samara.
Das war es, was er gesagt hatte. Aber wenn ich doch eine war, wieso hatte ich nie davon etwas bemerkt? Müsste ich nicht eigentlich Feuer herbeizaubern können und unverwundbar sein? Früher wurde mir erzählt, dass eine Hexe das pure Böse sei und nichts als Unglück brachte.
Und nun sollte ich so eine sein.
Warum hatte Tante Lyra mir nie etwas davon erzählt, wenn doch auch sie eine Hexe war? Ich biss mir auf die Lippen. Wahrscheinlich war sie ja nicht einmal mehr meine Tante.
Aber bei wem hatte ich dann all die Jahre gelebt?

Ich seufzte und umgriff die Träger meiner Tasche fester. Genug nachgedacht. Jetzt zählte erstmal nur eines: Meine Ankunft in Aquilea.

Der Wald lichtete sich etwas und der Weg wurde noch breiter, als er es sowieso schon war.
Ich atmete tief durch und ließ die dunklen Bäume hinter mir.

Die Stadt war ein dunkler Fleck in der Ferne, der langsam größer werden zu schien. Ich konnte die dunklen Dächer der Häuser erkennen und den Rauch, der aus den großen Schornsteigen emporstieg und die Stadt wie einen Mantel umhüllte.

Es gibt immernoch ein paar Hexen, die gut versteckt unter uns leben und ihr Geheimnis hüten. Vielleicht kann dir eine von ihnen weiterhelfen. Das hatte Samuel gesagt. Ich selber wusste ebenfalls, dass es ein paar Hexen gab, die es schafften, im Gewusel und im Menschengedränge der großen Städte unterzutauchen und unerkannt zu bleiben. Vielleicht konnte ich eine von ihnen finden und etwas mehr über das, was ich wissen wollte, erfahren.

Mit neuem Tatendrang bewegte ich mich vorwärts, auf die Stadt zu.
Es gab so viele Fragen, die in meinem Kopf umherschwirrten. Vielleicht konnte ich hier die Antworten darauf finden.


Laute Stimmen und Geräusche drangen an meine Ohren, je näher ich der Stadt kam und meine Hände fingen an zu schwitzen. Ich schluckte und betete im Kopf, das ich nicht erwischt wurde.

Kurz vor dem Eingang zu Stadt entdeckte ich drei Hügel, die einsam und verlassen vor der Stadt lagen und mich hämisch anzusehen schienen. Die Hexenhügel.

Mein Herz begann, schneller zu schlagen. Hier wurden die Hexen verbrannt, die gefasst und der schwarzen Magie bezichtigt worden waren. Der Wind pfiff laut und zerrte an meinen Haaren, die sowieso schon ganz wirr waren. Ich wusste nicht, wann ich mich das letzte Mal gewaschen hatte.


Zum Glück kam ich ungesehen durch das Tor, denn niemand schien mich zu beachten und zum ersten mal seit langem war ich froh, dass mein Umhang so dreckig aussah. Für meine Mitmenschen musste ich wie eine junge Bettlerin aussehen.

Eine junge Bettlerin, die wahrscheinlich eine Hexe war.

Ich holte tief Luft und bewegte mich vorwärts, immer tiefer in das Innere der Stadt hinein.


***

Nach einiger Zeit kommt wieder einmal ein Kapitel.

HEXENJAGDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt