II

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Jeno liebte Spaziergänge, besonders die an einem späten Abend, wenn seine Eltern schon schlafen und die Dienstmädchen mit ihrer Schicht fertig sind. Zu dieser Zeit hatte Jeno seine kurze Freiheit, die er natürlich genoss, ganz besonders im Sommer, da das Leuchten der Glühwürmchen ein starker Kontrast zur Dunkelheit war und die Zikaden und Grillen die stillen Straßen mit ihrem Gesang füllten.

Auch heute beschloss Jeno das Haus zu verlassen, um die viel zu bekannte Nachbarschaft zu sehen, aber das war tausend mal besser als noch weiter in der Villa eingesperrt zu sein, ganz besonders nach einem anstrengenden Fechttraining, das ihm langsam kein Spaß mehr machte.

Manchmal traf der Junge sich mit seiner "fast Verlobten" und beste Freundin Yeeun, aber seit diese mit ihrer besseren Hälfte beschäftigt war und diese ganze Hochzeits- und Erbegeschichte zu weit ging, hatten die beiden immer weniger Zeit zum Treffen, natürlich abgesehen von besonderen Events, an denen die beiden Familien eingeladen wurden, sodass sie nur am Telefon sprachen.

Aber es war für den Jungen nicht allzu schlimm, denn im Laufe der Jahre hat er gelernt, dass alleine sein auch was Gutes hatte.

Mit den Kopfhörer in den Ohren spazierte Jeno aus dem Haus und begann seine kleine Wanderung durch den Viertel. Er ging an jedes Haus vorbei, bis er an einem zu dieser Uhrzeit verlassenen Spielplatz ankam. Dort setzte er sich auf eine Schaukel und legte den Kopf in den Nacken, damit er den Sternenhimmel betrachten konnte.

"Könnte ich nur Astrologie...", seufzte Jeno und staunte, als eine Sternschnuppe vorbei zog.

Normalerweise wünschen sich die meisten etwas, aber Jeno wurde beigebracht, dass es sinnlos ist, sich als reicher Junge was von einem Stern zu wünschen. Als diese Erinnerung aufgerufen wurde, änderte sich die Stimmung des Jungen wieder, weshalb er von der Schaukel aufstand und weitergehen wollte.

Gerade als er den Spielplatz verlassen wollte, wurde er plötzlich von jemanden angetippt. Jeno dachte, er sei allein hier gewesen, weshalb er sich erschrocken undrehte.

"Tut mir Leid! Es war keine Absicht!", entschuldigte sich die Person, die Jeno angetippt hatte und verbeugte sich schnell.

Jeno zog seine Kopfhörer aus und sah die fremde Person an, die ihm den größten Schrecken des Abends jagte. Vor ihm stand ein Junge, wahrscheinlich seinem Alter entsprechend, mit ausgefallenen pinkfarbenen Haaren und einem Fahrrad an seiner Seite.

"Schon okay, ich sollte besser aufpassen und nicht so schreckhaft sein.", antwortete er und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

"Ehm, eigentlich wollte ich dir das geben. Du hattest es aus Versehen fallen gelassen und du kannst dich echt glücklich schätzen, dass ich es gefunden habe.", sagte der Fremde und lächelte, als er seine Hand ausstreckte und Jeno sein Geldbeutel zeigte.

"Ach du..Vielen Dank! Meine Eltern hätten mich geköpft!"
Es war nicht das erste Mal, dass Jeno sein Geldbeutel mitsamt seinen Dokumenten verlor. Beim vierten Mal hatte er zwei Wochen Videospielverbot bekommen, damit er lernt, wie man richtig mit Wertsachen umging. Sehr disziplinarisch.

"Als ob deine Eltern dich deswegen köpfen würden.", meinte der Pinkhaarige unglaubwürdig.

"Du kennst meine Eltern nicht, glaub mir, die sind echt zu allem fähig.", versicherte Jeno den Jungen und packte seinen Geldbeutel sorgfältig weg.

"Natürlich kenne ich sie, zumindest nur von den Medien. Und dich kenne ich auch!", sagte der Fremde und präsentierte ein Lächeln, das zum dahin schmelzen war.

Verwundert, dass jemand ihn ungeschminkt, in gemütlicher Kleidung und ohne Begleitung erkannte, weitete Jeno seine Augen und fragte unsicher nochmal nach. "Du weißt, wer ich bin?"

"Ja klar, Lee Jeno, besser bekannt als das super gutaussehende Teenie Model, Sieger sämtlicher Fecht-Turniere und Sohn des CEO der Lee Company."

"Ich wusste gar nicht, dass ich so bekannt bin. Normalerweise kennt man nur meine Eltern. Ich bin nur der nächste Erbe.", murmelte er verlegen. Diesmal weiteten sich die Augen seines Gegenüber.

"Machst du Witze? Natürlich bist du viel mehr als nur der Erbe! Ich bin Na Jaemin, nett dich kennenzulernen.", stellte sich der Junge endlich vor, nun bekannt als Jaemin, und streckte Jeno seine Hand aus, die er auch annahm und schüttelte.

"Bist du neu hier?", fragte er Jaemin, da er den Pinkhaarigen nie zuvor gesehen hatte.

"Ja, meine Mutter und ich sind vor paar Wochen zurück nach Seoul gezogen, nachdem wir elf Jahre in Incheon gelebt hatten. Und da sich in diesen Jahren vieles geändert hatte, wollte ich mich hier umsehen.", erzählte Jaemin.

"Echt? Ich wurde in Incheon geboren und hab bis zu meinem siebten Lebensjahr dort gelebt!"

"Was für ein krasser Zufall!
Diese Gegend sieht aber sehr viel reicher aus als damals...das ist definitiv kein Ort für mich.", scherzte Jaemin über seinen Wohlstand und verpasste Jeno einen kleinen Stich ins Herz. Er fühlte sich immer extrem mies, wenn jemand, der nicht reich ist, schlecht über sich selbst redet wegen paar Zahlen und Marken.

"Quatsch, dieser Ort ist für alle! Du kannst immer wieder hier vorbei kommen und tun, was du willst, solange du niemanden oder dich selbst schadest."

Erstaunt schaute Jaemin den Schwarzhaarigen an und zeigte mal wieder sein schönes Lächeln.
"Du bist echt besonders. Jeder andere Reiche hätte mich schon längst weggeschickt, während du dich mit mir abgibst."

"Das sind nur Idioten oder wurden einfach nur scheiße erzogen. Geld spielt bei einer Freundschaft und in der Liebe keine Rolle. Zumindest ist das mein eigenes Mantra.", sagte Jeno und lächelte den Jungen an. Er hatte schon seit langem nicht mehr so viel gelächelt.

"Das ist echt schön. Ich würde sehr gern mit dir weiterreden, aber leider muss ich jetzt los. Man sieht sich bestimmt wieder, Jeno!", verabschiedete sich Jaemin plötzlich und führ mit seinen Fahrrad los, ehe Jeno antworten konnte.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in den Jungen breit und sein Bauch kribbelte stark, als würden Schmetterlinge eine Party in seinem Bauch veranstalten.

"Also ist das das Gefühl, das man hat, wenn man einen Freund fand?", sprach Jeno zu sich selbst und machte sich mit einem Lächeln im Gesicht auf dem Weg nachhause.

Meine Welt || l.jn x n.jmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt