Kapitel 1

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Langsam trat Sprotte in die Pedale, so oft war sie diesen Weg gefahren, ihre Stadt war ja nicht groß, aber so unangenehm war er ihr noch nie gewesen. Aber sie musste das jetzt endlich mal erledigen, schließlich htte sie ihn wirklich gern gehabt und war sehr traurig, dass er nicht mehr bei ihr war. Trotz all dem Ärger, den sie seit der Klassenfahrt mit Fred hatte, vereinte die beiden die Trauer über den Tod seines Großvaters. Irgendwie war es schon eine Ironie des Schicksals, dass der Mann der sich immer wieder für ihre Beziehung eingesetzt hatte und wahrscheinlich stärker daran geglaubt hatte, als sie selber, am selben Tag gestorben war wie ihre Beziehung. Sprotte hatte es bis jetzt bewusst vermieden, sein Grab zu besuchen, zum einen wollte sie Fred endlich aus ihrem Kopf bekommen, auch wenn sie immer mehr einsah, dass das wohl eine unüberwindbare Aufgabe werden dürfte und zum anderen weil sie Fred nicht begegnen wollte. Nicht weil sie fürchtete, dass ihre Gefühle sie übermannen würden. Die ganze Geschichte war jetzt einen Monat her und seitdem ist der Schmerz immer weniger geworden. Sie wollte nur der peinlichen Situation aus dem Weg gehen. Langsam näherte sie sich dem Friedhof und schloss dann ihr Fahrrad an. Es dämmerte schon leicht, die Tage waren immer noch merklich kurz, so hatte sie gehofft der Friedhof wäre möglichst menschenleer. Angst hatte sie nicht, sie war noch nie besonders schreckhaft gewesen, doch trotzdem erfüllte sie dieser Anblick mit Ehrfurcht. Seinen Grabstein zu sehen, war so unwirklich. Er hatte immer so fest im Leben gewirkt, so unerschütterlich, wie eine Eiche. Aber der Sturm Herzinfarkt war für ihn zu viel gewesen. Die Ärzte konnten nichts mehr tun. Seine Beerdigung hatte sie verpasst, obwohl sie gerne hingegangen wäre.
'Ob ich da sonst mit Fred hingegangen wäre?' Schnell verdrängte sie den Gedanken wieder und setzte sich vor das Grab. Es war ein schlichter Grabstein, aber die Familie Baldewin gab sich große Mühe, das Grab gepflegt zu halten, so wie Großvater seinen Garten auch immer.
'Das hätte ihm gefallen' dachte Sprotte nur.

"Hallo Großvater, wow nie hätte ich gedacht, dass unser Treffen vor der Klassenfahrt unser Letztes sein würde. Weißt du noch, du hast mir vom Verhalten von Fischen beim Blitzeinschlag erzählt. Ich bin so traurig, dass du weg bist, für mich warst du immer wie ein eigener Großvater. Und Fred und ich könnten dich grade auch gebrauchen". Den letzten Satz hatte sie nur geflüstert. 'Ob er wohl noch von Freds Betrug gehört hatte?'

"Was du wohl zu unserer Trennung sagen würdest?" Ihr lief eine Träne die Wange herunter, sie verfluchte sich selbst, dass sie wieder mit dem Thema anfing. Und gleich hasste sie sich noch mehr, denn ihre Unterhaltung mit Großvater war nicht unbemerkt geblieben.

"Vermutlich würde er nur entsetzt den Kopf schütteln und mich fragen, wer mir ins Gehirn geschissen hat". Kam eine Stimme von hinten. Sprotte erschreckte sich fast zu Tode, sie war so vertieft gewesen, dass sie gar nicht gemerkt hatte, dass er gekommen war.
"Meine Güte Fred was machst du denn hier? Wie lange stehst du schon da?", fragte sie mit leicht vorwurfsvollem Ton. Doch der Junge blieb seelenruhig und lächelte sein typisches Fred Lächeln. Doch zum ersten mal seit einer Ewigkeit, überschlugen sich ihre Schmetterlinge im Bauch dabei nicht, zumindest nicht mehr so stark.
"Das könnte ich dich auch fragen mitten in der Nacht? Ich komme immer her, wenn ich über etwas nachdenken muss, ist fast angenehmer als früher, da musste ich dabei dann immer seinen Garten umgraben." Versuchte er die Stimmung aufzulockern, doch das Mädchen blieb still.
"Darf ich mich zu dir setzen, ich verstehe es aber auch, wenn du das nicht willst?", fragte er nun vorsichtiger. Aber ihr Wutanfall blieb aus.
"Klar, der Platz gehört mir ja nicht", entgegnete sie nur kurz.
Nachdem er sich gesetzt hatte, sagten beide lange nichts, sie saßen nur da und starrten in die Dunkelheit. Den Grabstein konnte man schon fast nicht mehr sehen. Doch zu seiner Überraschung durchbrach sie plötzlich die Stille.

"Seit wann ist eigentlich alles so kompliziert Fred?".

"Ich weiß es nicht, vermutlich werden wir einfach erwachsen", entgegnete der Junge mit einem Schulzerzucken.

"Du erwachsen? Niemals!", sie zwickte ihm dabei in die Seite, wie sie es früher oft getan hatte. Ihre Blicke trafen sich, doch plötzlich verspürte sie wieder diesen Schmerz, den sie erfolgreich verdrängt hatte. Selbst in der Dunkelheit erkannte er ihren Blick sofort.

"Was ist los?"

"Ich kann das nicht Fred, jetzt sitzen wir hier und in den letzten 2 Wochen hat mein Herz ein kleines bisschen begonnen zu heilen und jetzt machst du alles in 2 Sekunden wieder kaputt."

"Ich verstehe dich, mir geht es da genau gleich, ich hatte endlich damit begonnen, dich nicht mehr 24 Stunden am Stück zu vermissen und jetzt machst du all die Arbeit zunichte." Sprotte war wirklich überrascht, noch nie hatten sie so offen über ihre Gefühle gesprochen.

"Fred ich vermisse dich auch, aber ich kann gleichzeitig nicht in deiner Nähe sein, es zerreißt mich fast."

"Vielleicht wäre alles einfacher wenn Großvater noch leben würde, der würde uns sagen, was wir zu tun haben.", Fred sprach das aus, was Sprotte genauso gedacht hatte. Es wäre sicher sein Wunsch gewesen, dass die beiden sich wieder vetragen, doch diesmal ging es nicht um eine Kinderstreiterei.

"Ich bin so traurig, dass er tot ist.", sagte sie und legte ihren Kopf auf seine Schulter.

"Ich auch.", antwortete er knapp und dann schwiegen sie wieder und saßen einfach nur so da. Doch es war keine peinliche Stille, Worte waren jetzt überflüssig. Sie genossen einfach nur die Nähe des anderen und vergaßen für kurze Zeit ihren Schmerz.
Auf dem Heimweg blödelten sie wieder herum, wie vor ihrer größten Beziehungskrise. Es war, als ob Großvaters Geist über ihnen schwebte, sie konnten miteinander lachen und über alles sprechen. Das Gefühl der Geborgenheit war wieder da und übermannte beide. Als sie bei Freds Zuhause angekommen waren, küssten sie sich ganz selbstverständlich und für einen kurzen Augenblick war es für beide wie eine Erlösung. Doch in Sprotte kam der Schmerz hoch. Für sie war es nicht, als würde sie Fred küssen, sondern als sehe sie ihm und Sabrina dabei zu. Sie fing an zu weinen und ging einige Schritte zurück.

"Tut mir leid Fred, ich brauche Abstand zu dir sonst macht mich das alles noch kaputt, bitte versteh das.", wimmerte sie mehr als sie sprach und er nickte ihr nur zu.

"Gute Nacht Oberhuhn."

"Gute Nacht Fred".

'Es tut so weh. Ich halte es nicht aus, da stehe ich da und küsse den Jungen, den ich immer noch liebe und das einzige was ich sehe sind er und Sabrina. Ich bin so hin und hergerissen. Ich meine will ich wirklich ohne Fred leben? Will ich in meinem späteren Leben jemand anderen an meiner Seite haben oder kann ich überhaupt mit ihm leben? Nur eine Sache ist klar, die Gefühle für Fred tun mir einfach nicht gut zur Zeit. Mich von ihm zu trennen war richtig, doch ich brauche Abstand. Wenn das je wieder was mit uns werden soll, muss ich meine alten Gefühle für ihn los werden? Doch wie kann ich ihn nicht mehr lieben?'

Die wilden Hühner in DänemarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt