1. Türchen

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Frierend schlang ich meinen Schal fester um meinen Hals und vergrub meine Hände in meinen Manteltaschen. Ich verfluchte mich dafür, dass ich nicht an Handschuhe gedacht hatte. Vor lauter Schneeflocken war es schwer, den Weg zu erkennen; so viel Schnee hatte ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen.

Ich war schon vollkommen durchnässt und befürchtete, dass die Geschenke, die ich gekauft hatte, nicht mehr zu gebrauchen waren, bis ich zuhause ankam. Was ein Mistwetter, dachte ich.

Mir kam keine Menschenseele entgegen, was eigentlich kein Wunder war. Bei so einem Schneetreiben saß doch jeder vernünftige Mensch Zuhause mit einem heißen Getränk auf dem Sofa. Bei dem Gedanken lief ich ein bisschen schneller. Das war alles, was ich jetzt wollte: eine heiße Tasse Tee und dicke Wollsocken.

Mein Handy klingelte, doch ich erkannte nicht, wer mich anrief, also ließ ich es klingeln. Außerdem wurde mein Display nass und ein kaputtes Handy konnte ich überhaupt nicht gebrauchen. Also schmiss ich es in eine meiner Taschen. Ich würde nachher zurückrufen.

Endlich bog ich in meine Straße ein. Jetzt waren es nur noch ein paar Häuser, die ich schnell hinter mich brachte. Ich brauchte eine Weile, um die Tasche mit meinem Schlüssel unter all den Taschen zu finden, und dann noch sehr viel länger, um mit meinen steif gefrorenen Fingern aufzuschließen.

"Hallo", sagte ich und balancierte auf der Fußmatte, während ich gleichzeitig die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ, ohne mich der Länge nach hinzulegen.

"Hey, Schatz", antwortete meine Mutter und streckte den Kopf in den Flur. Ihre Haare waren beinahe weiß. Entweder sie backte oder sie wollte sich dem Schnee anpassen. "Mia hat vorhin angerufen. Seid ihr sicher, dass ihr bei dem Wetter auf den Weihnachtsmarkt gehen wollt?"

Ich verstand nur Bahnhof. "Was für ein Weihnachtsmarkt?"

Meine Mutter runzelte die Stirn. "Na, der am Dom. Ich dachte, du wüsstest davon."

Nein, wusste ich nicht. "Ich ruf sie gleich zurück", sagte ich bloß, stellte meine Schuhe beiseite und hing meinen Mantel auf. Meine Mutter verschwand wieder in die Küche. Erst jetzt bemerkte ich den Geruch nach frisch gebackenen Plätzchen. Es war mir ein Rätsel, wie sie es schaffte, dass sie nicht verbrannten. Bei mir taten sie das jedes Mal.

"War das Shoppen erfolgreich?", fragte mein Vater schmunzelnd nach einem Blick auf die vielen Taschen, als ich kurz das Wohnzimmer betrat, um ihn zu begrüßen. Er sah mit meinem Bruder einen Actionfilm, den ich nicht kannte.

Paul sah mich nicht einmal an. Wahrscheinlich war er immer noch sauer, dass ich ihn gestern in Fifa geschlagen hatte. Obwohl er älter als ich war, wurde er doch sehr schnell wieder zum Kleinkind.

"Ja", antwortete ich knapp. Da sowohl mein Bruder als auch mein Vater offensichtlich kein Interesse an einem Gespräch hatten, verließ ich das Wohnzimmer wieder.

Ich stiefelte die Treppen nach oben in mein Zimmer. Zum Glück schienen nur die Taschen durchweicht zu sein und nicht der Inhalt. Doch jetzt musste ich mich erst einmal um die Sache mit dem Weihnachtsmarkt kümmern.

Mia ging schon nach dem zweiten Klingeln an ihr Handy. "Hey, Hanna. Ich schätze mal, deine Mutter hat es dir schon erzählt." Ihre Stimme wurde am Ende höher und ließ ihre Aussage wie eine Frage klingen.

"Ja, allerdings. Wieso zur Hölle willst du auf den Weihnachtsmarkt gehen? Du weißt, dass ich Weihnachtsmärkte hasse." Ich war in meinem ganzen Leben ganze zwei Male auf einem Weihnachtsmarkt gewesen. Und beide Male waren ein einziger Reinfall gewesen.

Bei meinem ersten Besuch war ich etwa fünf Jahre alt gewesen. Die vielen Menschen hatten mir Angst gemacht und so hatte mein Vater mich die ganze Zeit getragen. Dennoch hatte ich weiterhin geheult und geschrien. Meine Eltern sind nie wieder mit mir auf einen Weihnachtsmarkt gegangen.

Winter Wonderland (Adventskalender)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt