Einen Tag später saß ich auf Leylas Rücken auf dem Weg zum Palast Meridiem Cieri. Ich trug weder Handschellen, noch wurde ich offiziell bewacht. Dennoch folgte mir die Königswache auf jedem Schritt und ich durfte das Zelt nicht mehr verlassen, nachdem ich Leyla fortgelaufen war.
Offiziell war ich die Prinzessin der SeaLands, mit deren Hilfe sie meinen Bruder besiegen wollten.
Inoffiziell war ich eine Gefangene, eine vertriebene Prinzessin auf der Flucht. Verstoßen, aber zu gefährlich um mich frei herumlaufen zu lassen.
Ich hatte seit dem Tag, an dem mich König Peter zurück ins Lager gebracht hatte, nicht mehr mit Leyla gesprochen.
Ich vermutete, Leyla wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sollte sie sauer sein, weil ich ihr weggelaufen war oder sollte sie Mitleid mit meinem Schicksal haben. Leyla konnte sich nicht entscheiden und war deshalb zu dem Schluss gekommen, zu schweigen.
Ich verstand sie, dennoch fühlte ich mich entsetzlich alleine.
Wir ritten die ganze Nacht durch, bis ich am Horizont helle Türme erkennen konnte: der Palast Meridiem Cieri.
Weiße Mauern aus Sandstein erhoben sich aus der Erde, wie ein Tsunami aus Stein. Efeu rankte sich um die vielen Türme und Mauern, wie ein filigran gearbeitetes Collier aus grünen Smaragden. Die spitzen Dächer aus grauem Schiefer streckten sich elegant dem Himmel entgegen. König Peter, der vor mir ritt, beschleunigte sein Pferd und trabte über die Brücke, durch die riesigen Torbögen in den Innenhof des Palastes.
Ich reckte den Hals, um den Schlosshof genauer erkennen zu können. Überall wuchsen Bäume, deren dichte Kronen das grelle Sonnenlicht abschirmten. Aussichtsplattformen schienen über den Blättern zu schweben und deren goldene Geländer glänzten in der Sonne.
"Es ist wunderschön!", murmelte ich leise. König Peter stieg derweil vom Pferd ab und kam zu mir. Er streckte mir die Hand entgegen.
"Kommt Prinzessin. Ich zeige euch euer Zimmer!", sagte er. Ich ergriff seine Hand und ließ mich vom Pferd gleiten. Er führte mich über den Schlosshof in die Eingangshalle, die von Licht geflutet wurde, das in tausend Farben durch die hohen Buntglasfenster des Palastes tanzte. Ich folgte ihm einen Gang entlang, eine Wendeltreppe hinauf, bis er eine Hand auf einen Türknauf aus dunklem Holz legte und die Tür öffnete.
"Bitte entschuldigt mich", sagte König Peter, "Ich muss zu meinem Volk sprechen!" Er wandte sich zum Gehen.
"Prinzessin?!", fragte er und drehte sich noch einmal zu mir um, "Ihr wisst hoffentlich, dass Ihr keine Gefangene seid." Mein Blick verhärtete sich.
"Danke für eure Gastfreundschaft, König Peter!", erwiderte ich kühl. Er sah mich noch einmal undurchdringlich an, bevor er sich umdrehte und die steinernen Stufen hinunter lief.
Ich atmete tief durch und betrat einen kreisrunden Raum. In der Mitte wuchs ein riesiger Baum durch den dunklen Holzboden, dessen Krone die Decke des Zimmers bedeckte. Hellgrüne Ranken wanden sich um die Äste, von denen blasslila Blüten hingen, wie tausend kleine Kronleuchter. Durch zwei Fenster flutete Sonnenlicht und erhellte den Raum.
Ich trat an das Fenster und mein Blick fiel auf einen Balkon, der unterhalb des Fenster war.
Peter, König Peter, sprach zu seinem Volk, einer jubelnden Menge.
"Er ist wirklich der geborene König!", sagte eine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum. Meine Wangen glühten.
Das Mädchen mit den violetten Augen und der Dornenkrone lehnte sich gegen den Türrahmen. Hinter ihr konnte ich eine weitere Gestallt ausmachen.
"Du!", rief ich und strafte meine Schultern. "Du hast mich zu ihm geführt!" Mein Scham wich Wut. Sie zuckte die Achseln. Ich verzog das Gesicht, doch gerade als ich zu sprechen ansetzen wollte, öffnete sie den Mund.
"Ich bin Cedar Blackthorn. Hochfürstin der Dunkelelfen." Die schwarze Seide ihres Kleides raschelte, als sie auf die Gestallt hinter sich deutete. Ein kleines zierliches Mädchen trat in den Raum. Sie hatte ein Ovales Gesicht mit Apfelbäckschen und grünen Augen. Ihr rotblondes Haar lockte sich schimmernd um ihr Gesicht und ihre nackten Schultern. Sie trug ein hellgrünes Kleid und aus ihren Schultern rankten sich grüne Stängel mit halbgeschlossenen weißen Blüten.
"Das ist Peony Elderthreat, eine Lichtelfe und meine Beraterin.", sagte Cedar. Ich verschränkte wütend die Arme vor der Brust.
"Das ist mein Zimmer! Verschwindet auf der Stelle!" Cedar verdrehte die Augen.
"Menschen sind so unglaublich engstirnig und nachtragend!", sagte sie an Peony gewandt.
"Prinzessin, zu eurem eigenen Wohl solltet ihr euren kindlichen Ärger hinter euch lassen. Ihr braucht eine Freundin hier am Hofe."
Ich atmete tief durch. Cedar kannte diesen Hof und sie hatte Recht, dass ich hier jede Hilfe brauchen konnte.
Allerdings war sie auch diejenige gewesen, die mich direkt in seine Arme gewiesen hatte.
Dennoch war ich neugierig auf das Volk der Elfen, ein Volk, von dem ich bis jetzt nur in alten Geschichten gelesen hatte.
"Wer sagt mir, dass ihr mich nicht wieder verratet?", fragte ich. Cedar lächelte breit.
"Hoheit, ich höre weder auf eure Befehle, noch auf die eines anderen Menschen!"
Unwillkürlich musste ich lächeln.
Cedar und Peony begleiteten mich aus meinem Zimmer, um mir den Palast zu zeigen. Ich sie gingen neben mir her und ab und zu erzählte Cedar etwas über den jeweiligen Raum, wobei mir jedoch auffiel, dass sie mehr über die Pflanzen, als über das Zimmer an sich redete. Ich bestaunte jede einzelne Ecke des Palastes, von den riesigen bestickten Wandteppischen, bis hin zu den hölzernen Säulen, die die Decke des Tronsaals stützten. Meridiem Cieri war so anders als Dilacerant, mein altes Zuhause, mit den klaren Linien und dem vielen Glas, Eis und Silber. Dennoch war dieser Palast auf eine mysteriöse Art ästhetisch.
Wir gingen durch unzählige Gänge, an riesigen Balkontüren vorbei durch hohe Gänge, bis wir schließlich im Tronsaal endeten. Cedar wollte sich gerade bezüglich des Mahagoniebaumes neben dem Tron äußern, als sie unterbrochen wurde.
"Lady Blackthorn, Miss Elderthreat, ihr entführt doch wohl nicht gerade die Prinzessin?!", auf den ersten Blick wirkten Peters Worte wie ein Scherz, doch eine unterschwellige Warnung schwang in seiner Stimme mit. Galant drehte Cedar sich um und ihr schwarzes Kleid schwang durch die Luft. König Peter stand am anderen Ende des Tronsaals und kam mit raschen Schritten auf uns zu.
Er trug nicht mehr das schimmernde Kettenhemd, das er auf dem Weg nach Meridiem Cieri getragen hatte und hatte seine Rüstung mit einem weißen Hemd und einer goldenen Krone getauscht. Cedar verzog das Gesicht.
"Wir zeigen Prinzessin Kaylen den Palast! Das sieht man doch!", erwiderte sie. Er blieb vor ihr stehen und schaute von oben auf sie herab.
"Als euer König rate ich euch, Lady Cedar, haltet euch von der Prinzessin fern!", seine Stimme war leise und scharf, wie die Klinge eines Messers. Cedar funkelte ihn an. Ihre Augen wurden immer dunkler, wie eine Gewitterwolke kurz vor dem Sturm.
Schließlich verneigte sie sich, nahm Peony und machte auf dem Absatz kehrt.
"Was sollte das denn?!", fragte ich aufgebracht. Er fixierte mich mit seinen grünen Augen und in diesem Augenblick sah er mehr aus wie ein übernatürliches Wesen als wie ein Mensch. Ich widerstand dem Drang, mich möglichst klein zu machen.
"Ich bringe euch zurück in euer Zimmer!", sagte er nur, drehte sich um und lief los, so als würde er davon ausgehen, dass ich ihm folge. Meine Hände waren zu Fäusten geballt, als ich mich beeilte um neben ihm her zu gehen.
"Ihr habt meine Frage nicht beantwortet!", rief ich. Er war an der Wendeltreppe angelangt und stapfte die Stufen hinauf. Vor meiner Tür blieb er stehen.
Er wandte sich zu mir um, so rasch, dass ich fast zurückgeschrocken wäre.
"Haltet euch besser von den Elfen fern. Sie hören auf keine Befehle, folgen nur ihrem Instinkt und sie lieben es, mit Menschen zu spielen!", sagte er.
"So wie ihr?!", fragte ich und eine kleine Stimme in meinem Kopf warnte mich davor, weiter zu sprechen. Eine Stimme, die ich ignorierte.
"Ich wolltet euch über ein dummes Mädchen lustig machen! Ein Mädchen, dass ihr jetzt gefangen haltet!"
"Ich zog euch zur Seite, nachdem man den Pfeil auf euch abgefeuert hatte! Den Pfeil, der mich gestreift hat!", rief er wütend, "Ich wusste genauso wenig, wer ihr seid, so wie ihr meine wahre Identität kanntet. Und wäret ihr jetzt an meiner Stelle, würdet ihr genauso handeln, wie ich es jetzt tun muss, Kaylen!"
Es war das erste Mal, dass er meinen Namen sagte und das Echo seiner Stimme hallte von den Wänden wieder. Ich starrte ihn an, in meinem Kopf kämpften Wut und Verwunderung um die Vorherrschaft.
"Ich werde jetzt gehen!", sagte ich leise und versuchte in seinem Gesicht irgendeine Regung zu finden, irgendetwas, dass mir all dies erklären könnte.
Ich öffnete die Tür und schlüpfte in mein Zimmer. Mein Rücken lehnte sich gegen die geschlossene Tür, bis ich die glatte Oberfläche an meinem Rücken spüren konnte. Auf der anderen Seite hörte ich seine Schritte, die sich langsam entfernten. Ich rutschte bis auf den kühlen Boden, schlang meine Arme um meine Schienbeine und starrte an die Wand.
Später, nachdem die Sonne untergegangen war, saß ich auf dem Fensterbrett und lauschte dem sanften Rauchen der Wellen unten am Strand. Mein Blick war auf die leuchtenden Sterne am Himmel gerichtet. Es waren die selben Sterne gewesen, die ich in meinem Zimmer in Dilacerant gesehen hatte. Dieselben Sterne, bevor sich mein Leben von Grund auf verändert hatte.
Ohne das ich es bemerkt hatte war mein Blick zu dem Balkon geglitten, wo er noch vor einigen Stunden gestanden hatte und sein Volk ihm zugejubelt hatte.
Ich fragte mich, was er gegen Cedar und Peony hatte, die einzigen, die an diesem Hof freundlich zu mir gewesen waren.
Und ich fragte mich, was ich für eine Rolle dabei spielen würde.Hey, wie gefällt euch die Geschichte bis jetzt? Ist mein Schreibstil zu oppulent oder in Ordnung?
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Die Chroniken von Eralor- Kaylens Lied
FantasyKaylen, die Prinzessin der SeaLands, muss, kurz vor ihrer Krönung, aus ihrem Land fliehen. Sie wird im benachbarten Königreich aufgenommen, jedoch ohne das jemand ihre wahre Identität kennt. Doch zwischen beiden Ländern herrscht seit langem ein une...