Leya stand am Bug des Bootes und schaute auf das Land vor ihr, dass nun bald ihre neue Heimat sein sollte. Die Männer saßen an den Rudern und sie bemerkte, dass sie es sehr eilig hatten wieder nach Hause zu kommen. Keiner sprach ein Wort und es war nur das angestrengte Keuchen zu hören. Nur ab und zu schaute einer zum Steg, um zu sehen, ob schon jemand aus seiner Familie auf ihn dort wartete.
Sie seufzte leise und hielt sich an der Reling fest.
Am frühen Morgen hatten sie den Fjord erreicht und nun ruderten sie dem Dorf entgegen. Schon vor einiger Zeit hatte sie den Gong gehört, der ihre Ankunft ankündigte. Erst war es noch sehr ruhig in dem Dorf geblieben, aber nun sah sie die Menschen an den Strand strömen. Sie hoben ihre Arme und winkten den Männern zu, die sich noch mehr ins Zeug legten.
Wie auch in ihrer alten Heimat, waren schon zwei Boote an den Stegen befestigt. Eines davon musste auch erst vor kurzer Zeit angekommen sein, denn Leya sah, wie man es entlud. Sie zitterte leicht, als sie Menschen bemerkte, die man in Ketten aus dem Boot heraus schleifte.
Sie wusste genau, wer diese Menschen waren, denn sie erinnerte sich daran, dass auch ihre Eltern einmal so von einem Boot gezerrt wurden. Nur sie war damals von einem Nordmann in die Arme genommen worden und vom Boot getragen worden. Er hatte mit ihr in seiner Sprache gesprochen. Leya hatte ihn natürlich damals noch nicht verstanden, aber sie hatte ihn mit großen Augen angesehen und auch den Apfel angenommen, den er ihr gereicht hatte. Noch auf seinen Armen hatte sie die Frucht herunter geschlungen, denn auf dem Boot hatten die Sklaven kaum etwas zu essen bekommen. Der Mann hatte nur gelacht, sie am Bauch gekitzelt und sie bei ihrer Mutter abgesetzt, die sie schnell in ihre Arme genommen hatte und den Mann voller Misstrauen und Angst angesehen hatte. Doch Leya hatte den Mann angelacht. Er hatte sie traurig angesehen und etwas vor sich hin gemurmelt.
Ihr Vater war schnell von ihnen getrennt worden und Leya wusste nicht, wohin man ihn gebracht hatte. Auch den Nordmann hatte sie nie wiedergesehen.
Später hatte sie erfahren, dass er ein anderer Jarl gewesen war, der sich mit dem alten Jarl zusammengetan hatte. Er war es auch gewesen, der ihren Vater mit sich genommen hatte. Sie wusste nur einen Namen, den man immer spöttisch ausgesprochen hatte. Sven, der Gutherzige! Damals war er noch sehr jung gewesen, doch Leya hatte später immer wieder von ihm gehört. Aber sie war ihm nicht mehr begegnet.
Wieder atmete sie tief ein.
Jülf hatte ihr damals alle Hoffnungen genommen. Selbst, wenn ihr Vater noch leben würde, glaubte er nicht, dass er noch bei Sven war.
Leya glaubte das auch. Ihr Vater war zwar noch jung als er zum Sklaven wurde, aber nun würde er auch schon über vierzig Winter überlebt haben. Das war unrealistisch, dass er ein so langes Leben als Sklave unbeschadet führen konnte.
Sie kamen immer näher und Leya schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen aus ihrem Kopf zu bekommen. Doch das war leider nicht immer möglich. Sie konnte sich nur an die schlimmen Sachen erinnern und es wurde nach dem Tod ihrer Mutter noch schlimmer. Besonders, nachdem sie „erwählt" worden war, den toten Jarl in das Totenreich zu folgen. Die Flucht mit Jülf hatte sie erst erleichtert, aber diese Angst, dass man sie erkennen und ihren Tribut fordern konnte, war immer allgegenwärtig.
„Anlegen!"
Finnjards Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Das Boot ruckelte kurz, als es den Steg leicht streifte und die Männer Taue an Land warfen, die geschickt von den Männern, die auf dem Steg auf sie warteten, aufgefangen wurden.
Leya setzte sich nun auf eine kleine Kiste, die am Bug stand, damit sie niemandem im Weg war. Die Männer wurden begrüßt und man fing sofort an, die Ware vom Boot zu holen. Leya wurde kaum beachtet, aber das war ihr auch Recht.
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Raiks Offenbarung -Gunnarsson-Saga Teil 5-
Ficción históricaRaik Tjarksson hält nichts von den Legenden, die um seine Familie gesponnen wurden. Er glaubt nicht daran, dass die Götter ihm eine Frau bereithalten, die ihn zu einem der Söhne Odins macht. Aus Vernunft geht er eine lieblose Ehe ein. Doch die Gött...