Als ich Dich wiedersah ...

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Ich stand vor dem Spiegel und band mir meine Krawatte. Ich zog den Knoten fest und löste ihn gleich wieder. Genervt warf ich sie hinter mich. Ich hasste diese Luftabschnürer. Ich habe sie schon immer gehasst und sie auch damals nie getragen, wieso jetzt damit anfangen?

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Mein Taxi sollte in zehn Minuten kommen und mich zu diesem dämlichen Klassentreffen bringen. Wieso sollte ich da eigentlich hingehen? Ich hatte mir noch nie sonderlich viel aus diesem sozialen Kram gemacht und meine alten Klassenkameraden hatte ich bisher nur wiedergesehen, wenn unsere Agenturen zufällig zusammen an einem Fall arbeiteten. Nur Mina sah ich öfter – sie wohnte nur zwei Blocks weiter und arbeitete in derselben Helden-Agentur, wenn auch in einer anderen Abteilung. Ich würde es kaum zugeben, aber Mina ist wohl derzeit die einzige, die ich getrost als eine Freundin bezeichnen konnte. Sie war es gewesen, die mich überredet hatte zu diesem beschissenen Treffen zu gehen und ich fluchte noch einmal innerlich.

Aber um ganz ehrlich zu sein gab es noch einen anderen Grund weshalb ich hingehen wollte. Ich wollte Kirishima wiedersehen. Mina hatte mir versichert, dass er kam. Auch wenn er inzwischen am anderen Ende Japans arbeitete. Seit unserem Schulabschluss hatte ich ihn nicht mehr gesehen und auch sonst keinen Kontakt mehr gehabt. An diesem Tag hatte ich mit ihm Schluss gemacht.

Ich zog scharf die Luft ein, als ich daran zurückdachte. Es hatte so sehr wehgetan und sein verletzter Ausdruck hatte sich für immer bei mir eingebrannt.

Ich hörte das vertraute Knistern, an meinen Handflächen, das eine Explosion ankündigte. Ich musste mich beruhigen, ich war schließlich in meiner Wohnung und konnte schlecht meine ganze Wut herauslassen. Stattdessen atmete ich einmal tief durch und biss mir auf die Unterlippe, um nicht laut herumzuschreien.

"Scheiße!", schrie ich dann doch, da ich auf einmal Blut schmeckte. Ich wischte mir über die Unterlippe, auf der ich so heftig herumgekaut hatte.

Es war richtig gewesen Schluss zu machen. Ich konnte das Angebot von Endeavor annehmen und er kam ebenfalls in einer erstklassigen Agentur unter. Als er mir davon erzählte, war er kurz davor gewesen es abzulehnen, um in der Stadt und bei mir bleiben zu können. Dieser selbstlose Bastard. Er war verdammt nochmal talentiert und hatte nichts in einer zweitklassigen Agentur zu suchen. Ich hätte mir nie verziehen, wenn er wegen mir sein Potenzial nicht ausschöpfen könnte. Ganz abgesehen davon ... hatte er sowieso etwas Besseres verdient als mich. Er war der ewig strahlende Stern am finsteren Himmel. Und ich? Ich war wohl eher so etwas wie ein schwarzes Loch. Ehrgeizig, narzisstisch und aggressiv.

Es klingelte an der Tür und ich war kurz in Versuchung es zu ignorieren und einfach doch nicht zum Klassentreffen zu gehen. Doch dann gab ich mir einen Ruck. Mina hätte mir in den Arsch getreten, wenn ich nicht aufgetaucht wäre. Und Eijirou ... ich wusste nicht im Geringsten, was ich machen sollte, wenn ich ihn wiedersah. Aber ich wollte ihn sehen. Nur einen kurzen Blick auf ihn werfen, um sicher zu gehen, dass es ihm gut ging.

Ich seufzte und ging Richtung Tür, wobei ich einen kurzen Blick in den Spiegel warf bevor ich sie öffnete. Kurz überprüfte ich meine Hosentaschen, ob Schlüssel und Handy auch dabei waren, dann schloss ich die Tür. Das Taxi wartete bereits auf mich und ich stieg schnell ein.

"Wohin soll's gehen?", fragte der Fahrer mäßig interessiert.

Ich nannte ihm die Adresse des Restaurants.

Dann sah er den Rückspiegel und musterte mich.

"Sind Sie nicht Ground Zero?"

"Ja.", sagte ich gelangweilt.

Er blinkte links, fuhr vom Standstreifen auf die belebte Straße und fing an enthusiastisch über den Helden Nummer eins Endeavor zu schwärmen und wie cool doch seine abweisende Art wäre und wie toll er meinen letzten Einsatz als Sidekick fand. Ich nickte einfach nur und sah aus dem Fenster. Ich war der Schwärmerei überdrüssig und ich selbst empfand meinen letzten Einsatz als Fehlschlag. Zwar hatten wir bei dem Überfall alle Leute retten können und es war niemand verletzt worden, aber der Täter war uns entwischt. Wie kann man das als gelungen bezeichnen?

Als ich Dich wiedersah ...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt