Leya lag auf ihrem Lager und starrte die Decke an.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht, Raik auf die Wange zu küssen?
Es war einfach so passiert! Sie hatte auch nicht darüber nachgedacht, sondern einfach nur gehandelt, als Bjarne sie dazu aufforderte.
Sie konnte nur froh sein, dass Raik sie nicht zurecht gewiesen hatte. Seltsamerweise hatte sie nichts aus seinem Gesicht lesen können. Weder Wut oder sonst was. Wahrscheinlich war er genauso verblüfft gewesen, wie sie selbst.
Sie seufzte und drehte sich auf die Seite. Gedankenverloren spielte sie an dem Ring, den sie von Jülf geschenkt bekommen hatte.
„Ach Jülf. Es tut mir so leid!", flüsterte sie.
So etwas hatte sie nie gewollt. War sie es nicht gewesen, die geschworen hatte, nie einen anderen Mann zu berühren? Und nun hatte sie den Mann sogar geküsst, der ebenso wenig eine neue Ehe eingehen wollte, wie sie selbst.
Leya hätte es nie für möglich gehalten, aber sie fühlte sich in Raiks Nähe wohl. Die Anspannung der ersten Tage war vergangen. Sie hatte befürchtet, dass sie einen Krieger finden würde, der genau auf ihren Traum passte. Doch dem war nicht so. Nicht einmal heute, obwohl sich alle Krieger der Gunnarssons im Langhaus versammelt hatten. Zuerst hatte Leya Angst gehabt und wollte sich zurückziehen. Doch da war kein Mann gewesen, der sie schmachtend angesehen hatte. Ganz im Gegenteil! Die „Drachenträger", wie man die Gunnarssons noch nannte, waren alle verheiratet oder noch zu jung, um sich eine Frau zu nehmen.
Tjark hatte sie begrüßt wie eine Tochter und auch Stijn hatte sie mit seinem typischen Grinsen angesehen und sie danach in seine Arme genommen und ihr versichert, dass er jeden Mann verprügeln würde, der sie nicht mit dem Respekt behandeln würde, der ihr zustand. Leya hatte ihm das sogar geglaubt.
Nachdem Raik und die Kinder gegangen waren, hatte sie sich noch zu den Brüdern gesetzt und sie musste ihnen alles über ihren Jarl, Lasse und Einar erzählen. Stijn hatte stolz gelächelt, als er von der Geburt seines Enkels erfuhr und Leya musste das Kind bis in die kleinste Kleinigkeit beschreiben. Es hatte noch lange gedauert, bis sie sich zurückziehen durfte.
Und nun lag sie hier und konnte nicht schlafen.
Sie lachte spöttisch.
Warum machte sie sich darum Gedanken? Raik dachte bestimmt auch nicht mehr daran.
Entschlossen schlug sie die Faust ein paar Mal auf ihr Kissen und legte sich dann bequem hin.
Morgen würde alles wieder so weitergehen wie bisher.
Schließlich war Raik Tjarksson nicht gefährlich. Sie musste es sich nur immer wieder sagen, dann würde sie so eine Dummheit auch nicht mehr anstellen.
Sie schloss die Augen und schlief nach einer Weile auch ein.
Und wieder erschien ihr der Drache.
Wieder zischte er sie an, aber es klang nicht mehr so bedrohlich wie vorher. Dieses Mal sah sie die Augen des Kriegers nicht. Sie sah nur den Arm mit dem Drachen. Die Hand öffnete sich und lud sie ein, ihre Hand hinein zu legen. Wieder wandte sich der Drache und schien lebendig zu sein.
Dieses Mal träumte sie, dass sie die Hand nahm, die ihr entgegengestreckt wurde. Und wieder verband der Drache sie mit dem Krieger. Es fühlte sich aber anders an. Sie fühlte sich nicht mehr bedroht. Sie fühlte sich sicher und geborgen. Dabei hielt sie nur die Hand fest.
„Ich bin hier, Leya!"
Keuchend wachte Leya auf.
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Raiks Offenbarung -Gunnarsson-Saga Teil 5-
Historical FictionRaik Tjarksson hält nichts von den Legenden, die um seine Familie gesponnen wurden. Er glaubt nicht daran, dass die Götter ihm eine Frau bereithalten, die ihn zu einem der Söhne Odins macht. Aus Vernunft geht er eine lieblose Ehe ein. Doch die Gött...