„Du musst mir keine Tunika nähen, Leya!"
Raik war es unangenehm, dass sie sich so um ihn kümmerte. Das war nicht ausgemacht.
„Du bist für meine Kinder zuständig und nicht für mich."
Die Kinder waren im Bett und eigentlich würde Leya bald ins Langhaus gehen. Doch dann hatte sie ihm gesagt, dass sie den Stoff für eine neue Tunika gewebt hatte. Und er hatte sich gewehrt. Eine Tunika von einer Frau, die nicht mit ihm verwandt oder mit ihm verheiratet war, das war ihm irgendwie zu persönlich.
Leya verschränkte ihre Arme vor der Brust.
„Bist du denn der Meinung, ich kann es nicht?"
Raik riss die Augen auf.
„Was? Nein! Das habe ich nicht gesagt!"
Sie legte den Kopf schief.
„Warum willst du dann nicht, dass ich dir eine Tunika nähe?"
Er fuhr sich verzweifelt durch den Bart. Seine Erklärung könnte nun peinlich werden. Für beide.
„Es gehört sich nicht, dass du als unverheiratete Frau mir eine Tunika nähst. Die Alte habe ich noch von Ingrud."
Das hörte sich nun seltsam an, war aber so. Es war das letzte Kleidungsstück, dass Ingrud für ihn genäht hatte und das war noch kurz vor Bjarnes Geburt gewesen. Er hätte sich schon längst eine Neue kaufen sollen oder wenigstens seine Mutter darum bitten sollen, ihm eine zu nähen. Aber er hatte einfach nicht mehr daran gedacht.
Der Ausdruck in Leyas Augen wurde mitleidig.
Das konnte er nun auch nicht leiden.
„Ich verstehe.", murmelte sie.
Nein, das tat sie nicht.
Er stand auf.
„So ist das nicht."
Leya schüttelte den Kopf.
„Doch, natürlich! Du hast deine Frau geliebt und tust es immer noch. Du willst ihr Andenken wahren und deswegen willst du nicht, dass ich nähe!"
Wieder fuhr er sich verzweifelt durch den Bart.
„Du verstehst es wirklich nicht..."
Sie lächelte, aber es fiel kläglich aus.
„Ich verstehe es, Raik. Ich werde den Stoff mitnehmen und deiner Mutter geben. Du kennst mich eben nicht gut genug, dass ich es mir erlauben könnte, dir etwas zu nähen."
Er zog seine Augenbrauen zusammen.
„Willst du mit mir streiten, Leya? Ich habe weder behauptet, dass du nicht nähen kannst, noch habe ich gesagt, dass du nicht würdig dazu bist."
Sie starrte ihn an.
„Was willst du mir dann damit sagen?"
Er hob beide Hände.
„Das, was ich dir schon am Anfang gesagt habe. Es gehört sich einfach nicht für eine unverheiratete Frau, einem Mann, der auch nicht verheiratet ist, eine Tunika zu nähen."
Sie schnaubte.
„Das ist eine blödsinnige Erklärung, Raik. Ich denke eher, dass ich Recht habe. Ich verstehe schon, dass du Ingrud so geliebt hast und nicht willst, dass ich mich in der Beziehung einmische. Ich habe das schon am Anfang verstanden, als du nicht wolltest, dass ich Ingruds Andenken bei den Kindern aufrechterhalte. Ich habe kein Recht dazu. Ich bin nicht dumm, Raik! Ich verstehe es schon!"
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Raiks Offenbarung -Gunnarsson-Saga Teil 5-
Historische RomaneRaik Tjarksson hält nichts von den Legenden, die um seine Familie gesponnen wurden. Er glaubt nicht daran, dass die Götter ihm eine Frau bereithalten, die ihn zu einem der Söhne Odins macht. Aus Vernunft geht er eine lieblose Ehe ein. Doch die Gött...