Nun wurden sie endlich eingelassen. Die Sitzung war damit eröffnet. Sie traten in die Glaskuppel oder besser, sie wurden getragen. Die Kapsel, die man in der ganzen Stadt sehen konnte, die Glaskuppel, unter der alle Sitzungen des Senates der Elfen stattfanden. Dort nahmen alle ihre Plätze in ihren Sänften ein. In einem Kreis ordneten sie sich an. Auf der Seite der Tür hatte der Tribun seinen Sitz, der nun stumm auf seinem Platz, einem einfachen Holzstuhl mit Lehne, saß. Die anderen Senatoren machten es sich in ihren Sänften bequem. Die Diener verschwanden durch die unscheinbaren Ausgänge an allen Seiten aus dem Saal. Es war Nachmittag, deshalb schien die Sonne fast senkrecht durch das Glas.
Seit neuestem wanderte ein schlimmes Gerücht durch den Palast. Sogar jeder Diener hatte schon davon gehört, allein schon, weil einer von ihnen es gewesen war, der das Gerücht in Umlauf gebracht hatte. Jeder wusste, wer es gewesen war. Jeder wusste, dass derjenige auf dem Weg war, ein Nachtelf zu werden. Das seltsame daran aber war, dass nicht sein Herr seine Verbannung angeordnet hatte, sondern jemand anderes.
Derjenige, der maßgeblich mit diesem Gerücht verstrickt war und den Diener zu einem Nachtelfen machen wollte, war noch nicht hier. Ein Loch klaffte in dem Kreis, den die anwesenden Senatoren gebildet hatten. Sie warteten nur noch auf den einen. Alle waren gespannt darauf, was das Gerücht noch so alles anstellen würde und vor allem, wie der betroffene Senator mit den schweren Anschuldigungen umging.
Der Tribun runzelte zum unzähligen Mal seine Stirn und dann endlich erschien Tartin. Er ließ sich völlig unberührt von den vielen Blicken, die auf ihm ruhten, auf seinen Platz tragen und verscheuchte die Diener mit einer schwachen Handbewegung. Jeder Blick sagte etwas anderes oder wollte etwas anderes. Die einen hofften, dass nichts an dem Gerücht dran war, oder dass es nicht so schlimm war, wie es sich anhörte, die anderen warteten darauf, dass er unvorsichtig wurde. Insgesamt lauerte die ganze Gesellschaft. Der einzige der von allem scheinbar keine Notiz nahm, war der Tribun, der die Runde nun eröffnete.
„Meine Herren, die wöchentliche Sitzung ist einberufen. Bringt eure Themen vor!"
Erst rührte sich keiner, aber dann sprach derjenige, den sie alle, zumindest aus den Augenwinkeln, beobachteten.
„Es geht ein Gerücht durch den Palast und dazu möchte ich mich zuallererst äußern." Er schnaufte tief durch, als würde ihm das Geständnis schwer über die Lippen gehen. „Ich stimme zu, dass ich den ehrwürdigen Senator aus Ryonin gestern beim gemeinsamen Abendessen beleidigt habe. Ich möchte mich hierfür tausendmal und noch öfter entschuldigen. Ich weiß, dass meine Schuld schwer wiegt, aber ich möchte zumindest einige Dinge erklären. Ich hoffe, danach könnt ihr mir meinen Wutausbruch, den ich nun schrecklich bereue, verzeihen. Vor allem du, Ryonin." Er sah Ryonin tief in die Augen und fand Ratlosigkeit. Gut, dachte Tartin.
Mit dieser Offensive hatte keiner gerechnet und mit einem Geständnis erst recht nicht. Jeder war davon ausgegangen, dass Tartin nichts sagte und versuchte, das Gerücht tot zu schweigen, was ihm natürlich nicht gelungen wäre. Nun aber entschuldigte er sich für sein Vergehen und schaffte es, das die Münder aller Senatoren nach unten klappten. Nur der, des Tribuns nicht, aber war das auch ein Wunder? Was interessierte den schon?
„Also ich möchte die Situation erklären, wegen der ich mich zu einer so bedauerlichen Tat hinreißen ließ. Ich wurde gestern freundlicherweise von Senator Ryonin zu ihm zu einem wirklich köstlichen Abendessen eingeladen. Er wollte mit mir über einen gewissen Jungen sprechen, der nützliche Informationen besitzt. Wir diskutierten erst eine ganze Weile, während wir uns die Vorspeise schmecken ließen. Übrigens waren es köstliche Géélaschnitze, die Ryonin zur Verfügung gestellt hat. Der Wein schmeckte ein wenig bitter. Ryonin möge mir verzeihen, aber ich dachte, er hätte mir absichtlich einen schlechten Tropfen eingeschenkt. Ich ließ ihn daraufhin lieber in Ruhe, denn ich wollte mir das gute Essen nicht mit schlechtem Wein versauen. Ryonin aber ließ sich mehrmals einschenken. Das war ein Fehler, wie mir aber erst später aufgefallen ist. Zuallererst lief unser Gespräch den gewohnten Gang. Dann schlug ich aber einen Vorschlag von Ryonin strikt aus. Er erschien mir nicht richtig, also weigerte ich mich, Ryonin bei diesem Plan zu unterstützen. Daraufhin wurde Ryonin zornig, was ich verstehen kann, denn wen macht es nicht zornig, wenn sein eigener Vorschlag abgelehnt wird? Ich hätte vielleicht nicht so heftig auf seinen Vorschlag reagieren sollen, aber ob das etwas geändert hätte? Ryonin aber wurde immer wütender und schon zu Beginn kam es mir seltsam vor, wo Ryonin seine Gefühle doch immer so gut kontrollieren konnte. Jedenfalls wollte er mich angreifen, mit seinem Weinkelch, den er fest umklammert hielt. Der Wein spritzte auf meine und seine Kleidung und schließlich verstand ich. Ich wich seinen Angriffen aus, während ich nach einem Gegenmittel suchte, das ich immer mit mir trage. Ich hatte nämlich erkannt, dass Ryonin unter einem Gift litt. Es nennt sich Pursà. Es ist ein Gift, das einen Elfen aggressiv macht. Außerdem lässt es den Elfen dann vergessen, was er zu der Zeit, in der das Gift auf ihn wirkte, geschah.
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Der Blutschrein [2] - Lithorin
FantasyDer Elfenjunge Jiran ist seinen Verfolgern, den Nachtelfen, mit viel Glück und der Hilfe eines Katzenjägers, der Jiran nicht nur einmal sein Leben gerettet hat, entronnen. Nun kehrt er also zurück in den Alltag, in seine geliebte Elfenstadt Ryonin...