Noch immer befand sich ein ganzer Clan auf der Flucht und Elijo war mit dabei. Er musste ebenfalls bei den täglichen Trainings mitmachen. Sie fanden immer mithilfe von Serseo und einigen anderen freiwilligen Helfern, die Serseo in seiner Aufgabe unterstützten, statt. So arbeitete sich Serseo den ganzen Tag durch den Zug. Oft konnten die Übungen auch während dem Laufen absolviert werden, womit sich Zeit sparen ließ. In den Pausen dann durchdrang das Klirren hunderter Schwerter die Luft. Es war der dritte Tag nach dem Aufbruch aus ihrem geliebten Dorf. Er bekam von den Kundschaftern am Mittag mit, dass sie sich nun ziemlich nahe der großen Stadt Motoro befanden. Noch immer war unklar, welches Ziel Alantir anvisierte. Nur Elijo hatte eine Ahnung, was Alantir wohl beabsichtigte. Nachdem Elijo erfahren hatte, dass aus Alantirs Sicht der Clan sowieso dem Tode geweiht war, suchte der wahrscheinlich eine Möglichkeit, wie er möglichst viele seiner Leute vor den Elfen retten konnte. Außerdem erfuhr Elijo noch etwas anderes. Eigentlich sollte es unter Verschluss bleiben, aber Elijo hatte trotzdem heimlich zugehört. Die Soldaten der Elfen waren nicht einmal einen Tag hinter ihnen. Das hieß, Alantir hatte wohl recht, wenn er die Chancen schlecht einschätzte, dass der Clan überlebte.
Der Esel fraß ihm wieder aus der Hand. Nachdem Alantir gesehen hatte, dass Elijo dem Esel manchmal einen Apfel gab, hatte er es strikt verboten. Als Ersatz hatte Elijo Löwenzahn gewählt. Ob dem Esel beides gleich gut schmeckte, konnte er an seiner Miene nicht ablesen, aber es schien ihn zumindest nicht zu stören. Er mochte den Esel und der Esel mochte ihn. Elijo brauchte ihn schon nicht mehr an dem Seil neben sich herführen. Der Esel lief nun folgsam selbst neben Elijo. Auch sonst wich er ihm nur von der Seite, wenn Elijo sich weit von Alantir, seinem eigentlichen Herren, entfernte. Wenn Elijo aß, dann tat er es auch und wenn er Gesprächen lauschte, dann war auch der Esel ganz stumm und spitzte die Ohren.
Elijo hatte, im Gegenteil zu Alantir, befunden, dass man dem Esel auch sein Geschirr zum Führen abnehmen konnte. Elijo hatte seinen Willen durchsetzten können und der Esel hatte ihn bis jetzt nicht enttäuscht. Er hatte schließlich vor Freude gewiehert, als Elijo ihm das enge Geschirr vom Kopf genommen hatte.
Nun war wieder eine Trainingseinheit von Serseo vorgesehen. Elijo wusste ja in etwa, wie dessen Trainingsplan war, aber natürlich war er angepasst worden an die entsprechenden Bedingungen. Rück-wärtslaufend baute Serseo sich vor der nächsten Gruppe auf, zu der sich auch Elijo zählte.
„Immer zu zehnt in eine Reihe bitte!", rief Serseo und legte seine Hände an den Mund, um dem Geräuschpegel vom restlichen Zug etwas entgegensetzen zu können.
Alle Nachtelfen folgten dem Befehl. Elijo reihte sich in eine hintere Reihe ein. Er musste nicht un-bedingt direkt vor dem Lehrer stehen. Das konnten sich andere trauen. Gerade bei Serseo war das keine gute Idee. Noch liefen alle gemütlich in Reihen. Noch waren sie dem gesamten Tempo angepasst.
„Gut, dann fangen wir gleich an! Sitesteps, alle und macht ein bisschen Tempo! Am Ende müssen wir am Anfang des Zuges stehen!"
Die jüngere Generation murrte aus Gewohnheit, aber was hatten sie erwartet? Das Ziel allerdings würde nicht schwer werden, zu erreichen, denn sie waren schon relativ am Anfang des Zuges. Sie waren schließlich auch die erste Gruppe. Die durchtrainierten Nachtelfen, die auch regelmäßig das Dorf verließen, um den heiligen Wald zu durchstreifen, stellten sich natürlich als ausdauernder heraus. Sie legten sofort los. Die Jüngeren konnten aber auch schon gut mithalten, sie wurden schließlich fast täglich trainiert im Dorf. Allerdings sparten sie sich ihre Kräfte, was ihnen ein Lob einbrachte. Sie beherzigten einen Tipp, den Serseo schon in der ersten Trainingseinheit damals angesprochen hatte. Nämlich sich auf jeden Fall seine Kräfte einsparen. Wer lange durchhält, ist im Endeffekt oftmals überlegen.
Es folgten Sitesteps in umgedrehter Position und schließlich sprinten. Sie waren angewiesen, einige Schritte schnell zu sprinten, richtig zu beschleunigen, sich dann zurückfallen zu lassen und gleich nochmal loszulegen. Das sollten sie so oft wiederholen, bis Serseo den Befehl zur Pause gab. Sie war kurz und während dieser Zeit wurden sie wieder von einem guten Teil des Zuges überholt. Alle keuchten, ihre Hände auf den Knien und gebeugt über dem Boden. Einigen aber schien das Ganze nichts auszumachen, sie schwitzten wenig und holten auch nicht so heftig Luft. Andere aber hatten große Atemprobleme und ihnen lief der Schweiß in Strömen übers Gesicht. Anhand dessen konnte man schnell herausfinden, wer die wahren Krieger des Clans waren. Elijo war auch geschafft, aber er konnte noch, als es wieder weiterging.
Nun mussten sie joggen und derweil ihre Arme kreisen lassen. Nach anfänglichen Problemen, weil die Reihen zu eng standen, klappte es ganz gut. Serseo machte im Rückwärtsgang kräftig mit. Elijo bewunderte ihn dafür, dass er so ausdauernd war. Er hatte schließlich keine großen Pausen, denn er musste später, wenn sie fertig waren, gleich zur nächsten Gruppe. Elijo würde darauf wetten, dass Serseo einer derer war, die den Elfenangriff überleben würden. Nun da er schon darüber nachdachte, stellte natürlich auch er sich der Frage, ob er einen Angriff, der wohl kaum zu verhindern war, überleben würde.
Als nächste Übung durften sie nur mit beiden Beinen hüpfen, wie ein Hase, und das ununterbro-chen. Wenn einer eine Pause machte, bekam er einen ordentlichen Stoß von Serseo, der hinter ihren Reihen darüber wachte, dass ja keiner zurückfiel. Elijo bemühte sich, nicht weit nach hinten zu rut-schen. Einige hatten ihn nämlich schon überholt und wenn er ganz am Ende war, dann würde Serseo ihn ganz sicher schön wieder anspornen, aber das konnte sich Elijo sparen.
Der Waldboden war so uneben, dass es gefährlich war, so zu hüpfen, vor allem wenn man erschöpft war und schnell ausrutschte oder stolperte. Tückisch waren vor allem hohe Wurzeln. Elijo trat aber auch auf einige große und spitze Steine, die ihm in die Füße stachen, was äußerst schmerzhaft war. Da machte er ganz sicher keine Pause, sondern sprang schnell weiter. Er achtete immer genau auf den Grund, aber dass er immer öfter strauchelte, ließ sich auf diesem Boden kaum vermeiden. Außerdem waren sie im Wald, da standen auch noch Bäume, weshalb sie auch nicht einfach nur nach unten sehen konnten.
Das Training war nach einer gefühlten Ewigkeit endlich zuende. Erschöpft sanken alle auf dem Bo-den zusammen. Einige lehnten sich an Bäume, wurden aber sofort wieder von Serseo aufgescheucht.
„Leute, keine Pause! Weiter geht's, sonst fallt ihr so weit zurück. Wenn ihr noch weiter rumlungert, machen wir noch einmal Sprinttraining, sonst holen wir die da vorne ja nie mehr ein!"
Daraufhin sprangen alle entsetzt auf. Serseo würde seine Warnung wahrmachen, das wussten alle. Also machten sie sich zügig auf den Weg zu ihren angestammten Plätzen im Zug und das war ein gutes Stück weiter vorne. Vor allem für Elijo, denn der war ja praktisch in der Spitze bei Alantir.
Der Esel wartete schon auf Elijo. Noch immer hatte Elijo keinen Namen für den Esel gefunden. Alantir hatte, als Elijo ihn nach einem Namen gefragt hatte, gemeint, dass ein Esel keinen Namen bräuchte. Eljio aber fand schon, dass jeder ein Anrecht auf einen Namen hatte. Der Esel war sein Freund, sofern man mit einem Tier befreundet sein konnte. Also brauchte er auch einen Namen, denn wer wollte schon die ganze Zeit Esel genannt werden. Außerdem sagte Elijo ja auch nicht zu jedem im Clan einfach Nachtelf, nur weil sie diesem Volk oder der Rasse angehörten.
Mit solchen Dingen vertrieb er sich die Zeit. Der Esel war etwas, an das er sich klammern konnte. Das kommende Schicksal seines Clans setzte ihm zu. Seine Angst wuchs mit jeder Stunde und allmählich wünschte er sich, er hätte Alantir nicht so viel zugehört. Dann würde er jetzt auch weiter mit dem Irrglauben leben, Alantir hätte einen Plan und sie würden das alle unbeschadet überstehen. So nun waren diese Visionen geplatzt, die auch sein Vater gehabt hatte. Elijo war schon von Anfang an vorsichtig gewesen, aber sein Vater hatte volles Vertrauen in Alantir. Hoffentlich wurde er nicht allzu tief erschüttert, wenn sich zeigte, dass dem nicht so war.
DU LIEST GERADE
Der Blutschrein [2] - Lithorin
FantasyDer Elfenjunge Jiran ist seinen Verfolgern, den Nachtelfen, mit viel Glück und der Hilfe eines Katzenjägers, der Jiran nicht nur einmal sein Leben gerettet hat, entronnen. Nun kehrt er also zurück in den Alltag, in seine geliebte Elfenstadt Ryonin...