Leya stand unschlüssig vor Raiks Hütte.
Seine Worte hatten ihr zu denken gegeben und sie hatte sich die ganze Nacht auf dem Lager hin und her gewälzt. Sie schämte sich etwas, denn sie musste zugeben, dass von Raik nie etwas gekommen war, was ihre Anschuldigungen gerechtfertigt hätten. Bis auf den Kuss, den er ihr gegeben hatte. Doch auch der war eigentlich harmlos gewesen und in gewisser Weise hatte sie ihn auch verstanden. Er hatte lange keine Frau gehabt und sie war nun mal gerade da gewesen. Nach dem Geständnis, dass er ihr gemacht hatte und ihre Reaktion darauf, hätte er wahrscheinlich jede Frau geküsst.
Außerdem musste sie zugeben, dass es ihr nicht unangenehm gewesen war. Ganz im Gegenteil. Einen so sanften Kuss hätte sie von Raik nie erwartet.
Als sie am Morgen aus der Kammer kam, war Tilda schon auf und hatte sie erstaunt angesehen. Leya hatte ihr nur erklärt, dass sie wieder zurückgekommen war, als der Sturm aufgehört hatte und war dann schnell aus dem Langhaus gegangen. Es war ihr unangenehm, gerade Raiks Mutter zu erklären, was vorgefallen war. Sie wusste, dass Tilda ein Gespür für so etwas hatte. Wahrscheinlich hätte sie so lange nachgefragt, bis Leya ihr alles erzählt hätte.
Nun wusste sie nicht, wie sie sich verhalten sollte.
Raik hatte in vielen Dingen recht gehabt. Es wäre wirklich feige, wenn sie ihn und die Kinder nun verlassen wollte, nur, weil sie einen seltsamen Traum gehabt hatte. Schließlich hatte er nichts von ihr verlangt, was sie nicht wollte. Es war ungerecht von ihr gewesen, dass sie ihn so angefahren hatte.
„Ach, Naya. Jetzt bräuchte ich wirklich jemand zum Reden.", flüsterte sie.
Ihre Freundinnen fehlten ihr im Moment wirklich sehr. Leya hätte sie um Rat fragen können und alle hätten sie auch verstanden.Nun wusste sie nicht, wie sie sich verhalten sollte.
In dem Moment ging bei Sjards Hütte die Tür auf und Sjard trat heraus.
Eigentlich hätte Leya sich am liebsten versteckt, doch stattdessen hob sie das Kinn. Die Flucht war vorbei. Sie wollte nicht mehr davon laufen. Vor nichts und niemanden mehr.
Sie lief langsam durch den Schnee auf ihn zu. Einige Bauern hatten schon einige Wege freigeschaufelt, aber es lag immer noch genug Schnee, dass ihr Rock und die Schuhe nass wurden.
Sjard sah ihr lächelnd entgegen.
„Leya! Ich grüße dich! Willst du zu meiner Frau?"
Sie nickte.
Vielleicht würde Elsa sie verstehen. Sie brauchte unbedingt jemanden zum Reden.
Irgendwie hatte Sjard immer ein Gefühl dafür, dass etwas nicht stimmte. Obwohl man ihm nachsagte, dass er reichlich sorglos sein Dasein fristete, hatte Leya schon einige Male gesehen, dass er auch sehr feinfühlig sein konnte.
Auch dieses Mal war das so. Er sah sie nur kurz an und reichte ihr die Hand, damit sie auf der kleinen Stufe nicht ausrutschte.
„Ich denke, ich werde meinen Sohn holen und dann zu Raik gehen.", murmelte er und verschwand auch gleich.
Leya versuchte ihren Rock auszuwringen, bevor sie in die Hütte trat.
„Das ist vergebliche Mühe, Leya!", hörte sie Elsa lachen. „Komm rein und setzte dich an den Kamin."
Auch Elsa schien zu merken, dass Leya etwas auf den Herzen hatte. Sie wartete, bis Sjard und Lönne gegangen waren, dann setzte sie sich zu Leya, die ihre Schuhe ausgezogen und zum Trocknen neben den Kamin gestellt hatte.
Sie reichte Leya einen Becher mit warmer Milch und sah sie erwartungsvoll an.
„Was ist geschehen?"
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Raiks Offenbarung -Gunnarsson-Saga Teil 5-
Historische RomaneRaik Tjarksson hält nichts von den Legenden, die um seine Familie gesponnen wurden. Er glaubt nicht daran, dass die Götter ihm eine Frau bereithalten, die ihn zu einem der Söhne Odins macht. Aus Vernunft geht er eine lieblose Ehe ein. Doch die Gött...