6. Türchen

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"Magst du Imagine Dragons?", fragte Tom mich, kurz nachdem wir meine Straße verlassen hatten. Ich fand seinen Fahrstil jetzt schon angenehm.

"Ich finde sie okay, aber ich kenne auch nicht so viele Lieder von ihnen", erwiderte ich.

Tom deutete auf sein Handy und ein Kabel. "Du kannst gerne mein Handy anschließen. Und dann such mal nach dem Lied Natural."

Ich verband sein Handy und entsperrte es. Ich war erstaunt, dass es keine Sicherheit hatte. Normalerweise benutzte jeder einen Pin. Während ich nach dem Lied suchte, bemerkte ich, dass Tom viel Musik hatte, und dass es hauptsächlich Musik war, die mir auch gefiel. Coldplay, Shawn Mendes, Bruno Mars oder auch Ed Sheeran. Endlich hatte ich es gefunden.

Eine Weile lauschten wir dem Lied. Das Schweigen war nicht unangenehm oder peinlich wie ich gefürchtet hatte. So konnte ich unbeobachtet Toms Profil betrachten. Ich hoffte zumindest, dass er es in der Dunkelheit nicht merken würde. Mein Blick wanderte über sein Gesicht, seine gerade Nase, seine hohen Wangenknochen, seine langen Wimpern. Er war wirklich gutaussehend.

Vielleicht hatte Niko recht. Er bedeutete mir wirklich schon viel. Verknallt war ich allemal und schon auf dem besten Weg zu einer richtigen Verliebtheit.

"Du machst mich nervös, wenn du so starrst", gab Tom zu und warf mir kurz einen Blick zu. Ich konnte es nicht glauben, aber er wurde tatsächlich leicht rot.

"Tut mir leid", nuschelte ich und sah prompt nach vorne. Ich spürte, wie sich mein Gesicht erhitzte, doch diesmal war ich mir sicher, dass er das in der Dunkelheit nicht sehen konnte.

"Kannst du eigentlich Autofahren?", fragte Tom plötzlich.

"Ich habe bis jetzt nur die theoretische Prüfung gemacht", antwortete ich. "Außerdem bin ich erst 17, deshalb darf ich sowieso noch nicht alleine fahren. Aber ich habe im Januar meine erste Fahrstunde."

"Ich kann's dir beibringen", bot Tom an. "Natürlich nicht jetzt, sondern wann anders."

War das jetzt so etwas wie eine Frage nach einem zweiten Date? Dabei hatte doch unser erstes Date nicht einmal richtig angefangen. Oder er wollte einfach nur davon ablenken, dass er tatsächlich rot geworden war.

"K-klar", brachte ich heraus.

"Cool."

Nach einer kurzen Stille fiel mir etwas ein: "Wohin genau fahren wir eigentlich?"

"Das ist eine Überraschung", erwiderte Tom. "Aber wir sind in einer Viertelstunde da."

Damit gab ich mich zufrieden, denn ich liebte Überraschungen. "Okay."

"Okay? Das reicht dir? Du fragst nicht weiter nach?", fragte Tom und zog die Augenbrauen zusammen.

"Natürlich. Wenn es eine Überraschung ist, ist es nun mal eine Überraschung. Punkt", sagte ich. Als Tom mir immer noch ungläubige Blicke zuwarf, fügte ich hinzu: "Außerdem werde ich es in weniger als einer Viertelstunde sowieso erfahren. Und wenn ich es vorher nicht weiß, ist die Freude größer, wenn wir da sind. So eine Fragerei nervt doch nur."

Tom nickte. "Das stimmt, nur meine Schwester hätte sich nicht damit zufrieden gegeben. Sie hätte so lange nachgefragt, bis sie es herausgefunden hätte. Und dann hätte sie uns beiden den Tag total verdorben."

"Du hast eine Schwester?", fragte ich.

"Sogar zwei. Die eine ist 16, die andere 21", antwortete Tom. "Und wie sieht's bei dir aus?"

"Ich habe einen älteren Bruder", sagte ich. "Aber ich hätte gerne eine Schwester."

"Kann ich verstehen", sagte Tom. Ich sah ihn verwirrt an.

Winter Wonderland (Adventskalender)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt