KAPITEL 1️⃣0️⃣

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PoV Clary

Meine Wunden waren größtenteils verheilt. Ich ging zum Trainingsplatz, um diesmal gefahrlos zu trainieren. Ich ging es sogar für meine Verhältnisse ruhig an. Trotz meiner Wunden hätte ich aber jeden dahergelaufenen Werwolf besiegen können, da war ich mir sicher. Nach einer Weile wurde ich unterbrochen. Miles, der schon seit einigen Minuten am Trainingsplatz stand und mich nur schweigend beobachtet hatte, meldete sich endlich zu Wort. »Ich habe eine Aufgabe für dich«, sagte er. Ich wandte mich ihm zu. »Du sollst Heilkräuter von Leo holen. Er wohnt in einer Hütte im Wald, Richtung Südwest.« Ich protestierte nicht und nickte. In letzter Zeit hatte ich genug erlebt, eine Aufgabe, die kein Adrenalin verursachte, war jetzt genau das richtige. Und wenn ich so dachte, musste das was heißen.
Also brach ich auf, in Richtung Südwest. Woher ich wusste, wo das war, wusste ich selber nicht. Ich sah mich die ganze Zeit um; einerseits, um mögliche Gefahren sofort zu entdecken, andrerseits, weil mir die Natur hier einfach gefiel. Und trotz allem ließ ich meine Hand sicherheitshalber die ganze Zeit an meinem Schwertgriff.

Nach einiger Zeit, die ich nicht einschätzen konnte, erreichte ich die Hütte. Sie war unübersehbar und unverwechselbar, da sie außerhalb des Camps vermutlich die einzige in diesem Wald war. Ich klopfte an und fast sofort wurde die Tür geöffnet. Ein Mann -ich schätzte ihn auf 50- stand mir gegenüber. »Ich soll hier Kräuter-« Ich stockte, als ich ein Mädchen mit Eichhörnchenohren und Schweif hinter ihm erblickte. Der Mann, der offensichtlich Leo war, schien meinen verdatterten Blick nicht zu bemerken und sagte: »Du musst die Person aus Miles' Rudel sein. Ich hole schnell die Sachen. Freundet ihr euch schonmal an.« Er verließ den Raum, indem er durch eine Tür in einen anderen ging. Ich näherte mich dem Mädchen, betrachtete sie etwas genauer, lachte und sagte: »Hallo, ich bin Clary Parker, Kommandantin des Werwolfrudels Chicago's.« »Werwolf?« Sie musterte mich mit einem undefinierbaren Blick. »Ich bin Lou. Kannst du mir sagen, warum ich so aussehe?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß genau so wenig wie du. Ich wurde erst vor kurzem zum Werwolf.« Da kam Leo mit einem Kräuterbündel wieder. »Vielen dank, Leo.« Ich verbeugte mich leicht. »Hey Lou, geh doch mit Clary«, schlug Leo vor. »Vielleicht kann sie dir helfen. Ihr seid euch ziemlich ähnlich.« Jetzt sah Lou mich deutlich eingeschüchtert an. Ich lachte beruhigend. »Komm ruhig mit mir. Ich beiße schon nicht.« Trotz anfänglichen Zögerns folgte Lou mir schließlich.
»Woher weißt du, wo wir lang müssen?«, fragte sie. Ich drehte meinen Kopf zu ihr. »Ich erkenne den Weg am Geruch. Ich weiß, das klingt seltsam, aber meine Sinne sind besser als die anderer.« »Na ja, du bist schließlich auch ein Werwolf.« Lou lachte schüchtern. Ich konnte nicht anders, als in ihr Lachen mit einzusteigen. Plötzlich stieß mein Fuß gegen etwas am Boden. Lou und ich sahen runter. Ein Stapel Pfeile lag dort. »Meine Pfeile!«, stieß Lou einen glücklichen Schrei aus. Sie sammelte sie auf und nahm sie mit.

Als wir am Camp ankamen, fragte ich: »Soll ich dich dirket zum Alpha bringen oder willst du dich erstmal mit dem Gedanken anfreunden, unter Werwölfen zu sein?« Lou überlegte kurz. »Ich nehme zweiteres«, entschied sie dann. Also nahm ich sie an die Hand und brachte sie zu meiner Hütte. »Okay, hier bist du sicher«, erklärte ich. Lou sagte nichts. »Gib mir einen Moment, ich koche schnell etwas. Mit oder ohne Fleisch?« »Ohne.«

Als ich fertig mir Kochen war, gab ich Lou einen Teller und nahm mir selbst ebenfalls einen. Misstrauisch blickte sie auf ihr Essen, doch als ich mir eine Portion in den Mund schob, wagte sie sich auch. Nach dem Essen zeigte ich ich ihr das Camp. »Und hier, zu guter Letzt: Der Trainingsplatz«, beendete ich die Tour. Als ich mich Lou zuwandte, sah ich, wie jemand ein Schwert über ihrem Kopf erhob. Ich reagierte sofort und schubste Lou weg, welche laut quiekte. Mit meinem Schwert parierte ich den Schlag. Es war die gleiche schwarz gekleidete Person, die Erina fast getötet hätte. Sie prallte zurück und ich stand mit erhobenem Schwert vor ihr. »Verschwinde!«, fauchte ich. Erstaunlicherweise tat sie dies sogar. Sofort drehte ich mich zu Lou. »Geht's dir gut?« »Ja, denke schon«, erwiderte sie. »Und ich kenne diese Person. Ich bin ihr schonmal begegnet.« »Wirklich?«, fragte ich verwundert.
Lou erzählte mir daraufhin von ihren letzten Tagen. Wie sie nach Chicago gekommen war und ich erfuhr, dass sie eigentlich in Paris lebte. »Verstehe, du musst dich also konzentrieren, um in diesen Raum zu kommen, also den mit den Türen?« »Genau. Und einmal habe ich dort einen Jungen mit Flügeln gesehen.« Ich starrte sie an. »Ich habe den Jungen auch gesehen, allerdings in einem Traum. Er wohnt in Tokyo.« Ich verstummte. »Frag mich nicht, woher ich das schon wieder weiß.« Lou dachte kurz nach und spekulierte dann: »Wenn wir es schaffen, diesen Raum wieder aufzusuchen, kommen wir vielleicht nach Tokyo und finden diesen Jungen.« »Gute Idee!«, stimmte ich zu. »Aber wir sollten vorher mit dem Alpha darüber reden.«

Nachdem wir Miles unseren Plan offenbart hatten, fragte er: »Lou, kannst du denn überhaupt mit Waffen umgehen?« »Ja, mit Pfeil und Bogen.« Lou richtete sich stolz auf, als sie das sagte, was mich schmunzeln ließ. »Gut, dann schenke ich dir den hier.« Miles hatte hinter sich gegriffen und gab Lou einen schwarz angemalten Bogen, der an den Enden mit grünen Mustern verziert war. Er wollte ihr auch noch Pfeile geben, doch Lou lehnte ab: »Danke, aber ich habe meinen eigenen Pfeile.« »Okay, gut. Das hier kann euch bestimmt auch noch nützlich sein.« Miles gab Lou und mir einen Gürtel mit jeweils einem Dolch. »Clary, du kannst Lou zeigen, wie man damit umgeht.« Ich schnallte den Gürtel um meinen linken Oberschenkel. Lou tat es mir gleich.
»Ihr zwei geht jetzt also diesen Jungen suchen«, sagte Miles abschließend. Wir verabschiedeten uns von ihm und liefen in den Wald. Ein paar hundert Meter vom Camp entfernt, an einer ruhigen, unbeobachteten Stelle, stoppten wir. Lou ergriff meine Hand. Einige Sekunden verstrichen, bis wir plötzlich in einem weißen Raum mit einer Tür standen. »Bereit?«, fragte ich. »Bereit!« Wir traten durch die Tür und grelles Licht umhüllte uns.

Lost In RealityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt