PoV Lou
Ich saß auf einer gelben Parkbank unter einer alten Eiche. In meiner Hand hielt ich einen dünnen, aber festen Stock, welchen ich mit meinem kleinen Dolch zurecht schnitzte. Es sollte ein weiterer Pfeil werden, denn mein Bogen wäre ohne sinnlos.
Über mir raschelten die Blätter der Eiche. Ein kleiner Vogel hopste umher und beobachtete mich bei meiner Arbeit. Vor einer Woche hatte ich ihm und seinen Geschwistern geholfen. Ihre Mutter hatte sich schwer verletzt und kam nicht mehr zu ihren Kinder. So sammelte ich Würmer und brachte sie den hungrigen Schreihälsen. Nach einiger Zeit ging es dem Muttervogel wieder gut und nun bedankte sich die Familie öfter bei mir und half beim Stöcke Sammeln.
Ein gehässiges Lachen holte mich aus meinen friedlichen Gedanken. Jane und ihre Clique standen vor mir und musterten mich abschätzig.
»Grauenhaftes Kostüm«, murmelte eine von ihnen.
»Nur schade, dass grade kein Halloween ist!«, setzte Jane nach. Kichernd zogen sie ab und flüsterten noch »So ein Freak!« und »Der hast du's gegeben!«
Tatsächlich hatten mich die Worte der anderen verletzt. Traurig sah ich in meinen Taschenspiegel. Sie hatten recht. Das Kostüm war grauenhaft.
Pelzige Ohren und ein flauschiger Puschelschwanz. Seit ich sechs war, sah ich aus wie eine Kreuzung aus Mensch und Eichhörnchen.»Du wirst dich sicher schnell einleben. Die anderen hier kennen sich zwar schon, aber das wird wohl kein Problem sein«, plapperte die Willkommens-Dame und versuchte offenbar, mich so zu beruhigen. Nur daraus wurde nichts. Meine Heimleiterin war der Meinung gewesen, ich würde mich zu sehr von den anderen abkapseln. Die nahestehende Lösung? Ein Sommercamp. Was für ein Mist.
Die Frau bog an einer Hütte ab, aus der ein lilafarbenes Licht nach draußen schien. Neugierig nährte ich mich ihm. Die Dame redete einfach weiter, ohne zu bemerken, dass ich nicht mehr da war.
Als ich an der Tür der Hütte mit altem Strohdach ankam, hörte ich plötzlich eine mir fremde Stimme.
»Lou...komm herein...«, säuselte sie. Ein Schaudern lief mir über den Rücken. Woher kannte die Stimme meinen Namen? Und noch viel wichtiger: Woher wusste sie, dass ich hier war?
Vorsichtig öffnete ich die knarzende Tür. Im Inneren der Hütte war es noch wärmer als draußen und es roch nach Staub und Stroh. In einer Ecke saß ein Mädchen mit geschlossenen Augen und meditierte anscheinend. Sie war mir vorher nicht aufgefallen und so zuckte ich kurz zusammen.
»Willkommen...«, murmelte die Stimme wieder. Die Lippen des Mädchens bewegten sich. Sie sprach! Dann öffnete sie die Augen. Ihre Augen sahen zu alt für ihre restliche Gestalt aus. Hell und weise.
»Es ist schön, dich wiederzusehen!« Sie sprang auf und umarmte mich. Das Mädchen schien wie verjüngert, aber ihre Augen passten immer noch nicht. Etwas überrascht drückte ich sie weg.
»Kenne ich dich?«, fragte ich vorsichtig. Eine entfernte Verwandte? Nein...
»Oh, stimmt ja!« Ihre Miene wurde wieder ernster.
»Du bist eine Waise, stimmt's?« Sie wartete gar nicht erst auf eine Antwort.
»Keine Mutter, kein Vater. Das sagt man dir...« Ich runzelte die Stirn.
»Stimmt etwa damit etwas nicht oder was?« Sie sah mir nun direkt in die Augen.
»Deine Mutter lebt noch, Lou.« Ich hielt den Atem an. Würde nun das Übliche kommen. »Lou, deine Mutter lebt in deinem Herzen weiter!« Das hatten alle Betreuer aus dem Heim gesagt. Als ob das etwas verbessern würde. Wartend sah ich das Mädchen an. »Deine Mutter war kein Mensch. Lou, du weißt, dass du nicht normal aussiehst?« Ich nickte. Das war kaum zu übersehen. Worauf wollte sie hinaus?
»Kennst du dich mit der griechischen Mythologie aus?«, fragte sie weiter. Kurz dachte ich nach, nickte dann aber erneut. »Deine Mutter war eine Dryade«, sagte sie knapp.
Was? Eine Dryade? Ich musste mich noch mal versichern, dass ich alles richtig verstanden hatte.
»Ein Baumgeist?«
»Genau.« Ich schluckte. Die Geschichten waren wahr. Meine Mutter lebte!
»Kann ich sie sehen? Also meine Mutter«, schoss es aus mir heraus. Das Mädchen lächelte.
»Ja, das kannst du.« Ich sah sie freudig an. »Wer ist sie?«
Es wurde still. Niemand sagte etwas.
»Ich... ich bin deine Mutter, Lou.« Ich konnte es nicht fassen. Vor Überraschung stand ich einfach nur da und starrte das Mädchen, nein, meine Mutter, an.
»A-aber du bist doch zu jung«, brachte ich heraus. Sie grinste.
»Ich hab' mich jung gehalten«, sagte sie zwinkernd.Nachdem wir uns etwas kennengelernt hatten, bekam ich noch eine Neuigkeit. »Dank mir hast du besondere Fähigkeiten. Du kannst Reisen!« Ich fand nicht, dass dies eine besondere Fähigkeit war, sagte aber nichts. Meine Mutter schien meine Gedanken zu erraten.
»Nein, das meine ich nicht. Du kannst, wenn du dich entspannst, in andere Länder reisen, ohne dich zu bewegen!« Sie klatschte fröhlich in die Hände.Am Abend probierte ich es sofort aus. Meine Mutter, ihr Name war Nyra, hatte mir gezeigt, wie ich mich am besten entspannen konnte, und so saß ich da und lauschte dem Wind. Ich ließ mir die Ereignisse des Tages erneut durch den Kopf gehen und atmete ruhig. Meine Augenlider fielen kurz zu, doch ich riss sie schnell wieder auf.
Ich stand in einem weißen Raum. Bis auf die mit Türen befüllten Wände, der erdrückenden Decke und dem Boden aus Metall, gab es nichts zu sehen. Vorsichtig fuhr ich mit den Fingern über eine Tür. Sie war aus schwarzem Holz und hatte eingesetzte Rubine. Langsam öffnete ich sie. Sofort begann die Welt zu brennen. Licht flackerte und mir wurde heiß. Vor mir war eine Landschaft, nur aus Flammen.
Panisch schlug ich die Tür zu.
»Nein...«, murmelte ich. Weiter untersuchte ich die Türen. Einige waren aus Holz, andere aus Metall oder Kunststoff. Alle hatten etwas besonderes an sich, keine war identisch. Eine Tür war aus Eichenholz und war mit Schnitzereien von Blättern verziert. Sie kam mir so vertraut vor und eine angenehme Wärme breitete sich in mir aus. Meine Hand drückte fast automatisch die Klinke hinunter und sofort roch ich den Duft von nassem Laub und Rinde. Ein Wald!
Meine nackten Füße berührten den Boden, das feuchte Moos. Wie ein Tier des Waldes huschte ich umher. Der Wald was wunderschön! Der Natur wurde hier freien Lauf gelassen und Bäume wuchsen, wo es ihnen gerade passte.
Plötzlich hörte ich Stimmen. Aus irgendeinem Grund bekam ich Angst, atmete schneller. Flink lief ich zu einem Baum, um mich zu verstecken. Mein pelziger Körper drückte sich gegen die raue Rinde und meine kleinen Krallen fuhren nervös über sie. Halt. Das war doch nicht richtig! Ich blickte an mir herunter. Mein Bauch, meine Arme und Beine. Alles war von einem Pelz bedeckt. Meine Hände waren klein, ledig und verkrümmt. Ich war nun vollkommen ein Eichhörnchen.
Ich wollte schreien, doch aus meinem Mund kam nur eine Art Krächzen. Gehörte das auch zu meinen Fähigkeiten? Konnte ich mich zurück verwandeln, wenn ich wollte? Ich hatte so viele Fragen.
Die Stimmen wurden lauter. Sie kamen näher. Instinktiv wollte ich an der Rinde hinauf klettern, doch da beugte sich ein Mädchen zu mir hinunter.
»Na du? Hab keine Angst.« Ich verfiel in eine Schockstarre. Langsam nährte sich ihre Hand meinem Kopf. Wie ein Pfeil schoss ich den Baum hoch.
Gespielt enttäuscht sah sie mich an, folgte dann aber ihren Freunden. Zwei Jungen, ein Mädchen. Neugierig folgte ich ihnen immer weiter in den Wald hinein. Schließlich blieb einer der Jungen stehen. Er war groß und hatte dunkle Haare. Kurz sprach er auf seine Freunde ein und zog dann sein Oberteil hoch und zeigte ihnen seinen Rücken. Auch ich konnte einen Blick auf ihn werfen. Der Rücken sah ganz normal aus. Etwas hervorstehende Wirbelsäule, blasse Haut... und zwei Beulen. Nein, Flügel! Zwei kleine Flügel ragten aus seinen Schulterblättern!Ich fiel fast von meinem Ast und die Freunde des Jungen sahen auch so aus, wie ich mich fühlte. Entsetzt.
Erst sagte keiner etwas, bis der Junge sie dazu aufforderte. Als sie es ihm erklärt hatten, sagte er auch nichts mehr.
Der Junge hatte noch kurz mit den anderen gesprochen und war dann nach Hause gelaufen. Ich entschloss mich dazu, ihm zu folgen. Die ganze Sache interessierte mich.
Er lag auf seinem Bett und hörte Musik. Ich kannte kein einziges Lied, aber sie gefielen mir.
Nach einiger Zeit sprang er auf und ging zurück in den Wald. Vielleicht wollte er den Kopf frei bekommen, was ich gut verstand. Auf dem Weg sah er sich viel um, vermutlich auf der Suche nach Verfolgern. Ich hatte die schwarz gekleidete Person schon bemerkt, konnte dem Jungen jedoch nichts mitteilen. Sie kam aus dem Gebüsch; nun hatte er sie auch entdeckt. Sie sprachen etwas doch ich war zu weit entfernt, um sie zu verstehen. Die Person zog ein Fläschchen hervor und hielt es dem Jungen unter die Nase. Abwehrend schubste dieser ihn weg und ein greller Lichtstrahl schoss auf die Person zu.
Ich war geblendet und fiel, fiel, fiel.
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Lost In Reality
FantasyClary. Eine etwas aufbrausende, aber doch durchschnittliche Schülerin aus Amerika. Jedenfalls bis zu einem Zwischenfall, der sie in eine Werwölfin verwandelt. Takuya. Ein ebenfalls durchschnittlicher, allerdings eher unauffälliger Schüler aus Jap...