Prolog

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Ungläubig registrierte ich, wie Blut aus der Stelle in meinem Bauch quoll, wo der Dolch sich in mein Fleisch eingegraben hatte. Die Hand meines Angreifers war immer noch fest um die mir so vertraute Stichwaffe geschlossen. Mit einem Ruck wurde sie mir wieder aus meinem Unterleib entrissen. Wie in Zeitlupe fiel ich auf die Knie und beobachtete, wie sich meine weiße Bluse dunkelrot verfärbte. Ein lautes Pochen in meinen Ohren drängte alles Weitere in den Hintergrund und versetzte mich in eine Art Trance. Ich war noch nie zuvor verletzt gewesen und drückte überfordert beide Hände auf die klaffende Wunde an meinem Unterleib.

„Wieso hast du das getan?", keuchte ich mit letzter Kraft, die Augen fassungslos auf meinen Angreifer gerichtet. „Zara, es tut mir so leid. Mir blieb keine andere Möglichkeit", stammelte er verzweifelt. Ich konnte die Reue und die Trauer in seinen von Tränen überlaufenen Augen sehen. Und trotzdem konnten sie den unermesslichen Verrat nicht rückgängig machen. Er fing mich auf und ließ mich in seinen Armen verweilen.

Der stechende Schmerz breitete sich mit jedem Atemzug weiter aus und nahm Stück für Stück jede Faser meines Körpers ein. Wie ein Stein, der auf glattes Wasser trifft, schlug er seine Wellen durch meinen Körper bis in meine Fingerspitzen. Von solchen Schmerzen hatte ich bisher nur gelesen, doch in der Wirklichkeit fühlten sie sich so schrecklich an, dass ich es selbst nie geschafft hätte, dies in Worte zu fassen. Und trotzdem wurden sie überschattet von dem Stich in meinem Herzen, ausgelöst durch den unfassbaren Verrat, den ich soeben bezeugt hatte.

Ich senkte meinen Kopf, da ich es nicht mehr ertragen konnte, ihm in seine mich verspottenden Augen zu blicken. Augen, die mich um Verzeihung anbettelten, obwohl er mich so trügerisch niedergestochen hatte.

Stumme Tränen benetzten meine glühenden Wangen und fielen auf meine Hände, die ich immer noch fest an mich gepresst hielt. Ich verfluchte mich selbst für meine Naivität und wünschte, ich hätte schon früher die Wahrheit erkannt. Jetzt sah ich sie so glasklar, und es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Das letzte Puzzleteil, nach dem ich so lange gesucht hatte, war nun an seinen Platz gerückt. Aber es spielte keine Rolle mehr, denn ich konnte nichts mehr dagegen unternehmen. Beschämt schloss ich die Augen und bat stillschweigend die Allmächtigkeit, Sie möge mir mein Versagen zu verzeihen. Dann verlor ich das Bewusstsein.

Im nächsten Moment blickte ich auf das offene Meer hinaus, das im Licht des wolkenlosen Himmels blausilbrig schimmerte. Die warmen Sonnenstrahlen umhüllten meinen Körper mit einer angenehmen Temperatur, während das satte grüne Gras unter mir meine nackten Füße kitzelte.

Ich stand hoch oben auf einer Klippe und wandte meinen Blick dem unendlich weiten Horizont am Ende des Ozeans zu. Eine leichte Brise ließ die Blätter der mächtigen Baumkronen über mir rascheln, und mein weißes Kleid schlug wellenartig durch den entstandenen Auftrieb.

Voller Freude drehte ich mich im Kreis und beobachtete, wie wunderschöne, bunte Schmetterlinge über meinen Kopf hinweg im freien Raum der Lichtung tanzten. Melodischer Vogelgesang erklang aus allen Richtungen des Waldes, der mich mit seinen prächtigen Baumstämmen umgab.

Ich wusste nicht, woher ich kam oder wohin ich gehen sollte, aber ich wusste mit Sicherheit, dass ich hier nie wieder weg wollte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 06 ⏰

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Das Reich von Licht & Schatten - Die gefallene ErbinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt