"Er hat WAS?" Mia saß mir gegenüber und sah mich fassungslos an. "Was ein Arschloch! Er hatte dich sowieso nicht verdient."
Ich versuchte zu lächeln, scheiterte aber kläglich. Elsa nahm mich in ihre Arme.
Sie waren sofort zu mir gekommen, als ich ihnen geschrieben hatte. Ich rechnete es beiden hoch an, zumal beide wirklich beschäftigt gewesen waren.
Meine Tränen waren mittlerweile einigermaßen versiegt, aber mir ging es nach wie vor schlecht. Mia hatte mir sogar Schokolade mitgebracht, doch selbst darauf hatte ich keinen Appetit.
"Und schon ist auch der dritte Weihnachtsmarktbesuch in die Hose gegangen", sagte ich leise.
"Weihnachtsmärkte sind anscheinend nicht für jeden was", versuchte Mia einen kleinen Witz zu machen.
"Ich hätte ihm das überhaupt nicht zugetraut", sagte Elsa, die genauso erschüttert war wie ich. "Er wirkte so nett und ehrlich."
"Vielleicht ist das ja seine Masche", sagte ich und verzog das Gesicht. "Er tut so, als würde er einen mögen und dann sagt er einem, dass er bereits eine Freundin hat."
"Warte, ich habe eine Idee", sagte Mia und holte ihr Handy hervor. Eine Weile herrschte Stille, in der Mia nur wie wild auf ihrem Handy herum tippte.
"Ich hab's!", rief sie triumphierend und hielt mit ihren Handybildschirm unter die Nase.
Ich kniff die Augen zusammen, weil ich nicht gleich erkannte, was sie mir da zeigte. Es war der Instagramaccount einer gewissen lilianx.
"Wer ist das?", fragte ich verständnislos.
"Lilian natürlich!", antwortete Mia. "Und sie kann dir nicht mal im Mindesten das Wasser reichen! Das ist total die hässliche Haarfarbe und noch dazu stinkt sie bestimmt nach Pferd."
Leider konnte ich Mia da nicht recht geben. Lilian war unglaublich hübsch. Jetzt fühlte ich mich noch schlechter. Kein Wunder, dass Tom noch mit ihr zusammen war. Ich fühlte mich wie ein Experiment, das schiefgegangen war.
"Genau", pflichtete ihr Elsa bei. "Du siehst viel besser aus und bist viel netter und nicht so überheblich."
Ich antwortete nicht, sondern löste mich aus Elsas Armen und kuschelte mich unter meine Bettdecke. Ich schloss die Augen.
Nach wenigen Minuten fing Mia an zu reden. Offenbar dachten beide, dass ich eingeschlafen war.
"Ich habe ja gleich gesagt, dass da irgendwas mit seiner Mutter komisch war", sagte Mia. "Kein Wunder, dass sie Hanna nicht mochte, wenn sie nur eine Affäre gewesen ist."
Auch wenn Mia recht hatte, tat es doch weh, es zu hören. Es fühlte sich an, als würden sich Eissplitter in mein Herz bohren. Passte ja zur Jahreszeit. Wie ironisch.
"Das würde ihre Reaktion auf jeden Fall erklären", stimmte Elsa ihr zu. "Trotzdem hätte ich das nicht von ihm erwartet."
"Es sind immer die Netten", meinte Mia.
Auf einmal knallte die Tür an die Wand und ich zuckte zusammen.
"Wo ist er?" Ich erkannte Nikos Stimme, und selbst ohne ihn zu sehen, wusste ich, dass er vollkommen aufgebracht in der Tür stand. "Ich bringe ihn um!"
Ich erinnerte mich daran, was er gesagt hatte. Er wollte Tom die Meinung geigen. Und das ließ mich gleich besser fühlen. Ich lächelte. Niko war ein toller Freund.
"Pscht! Hanna schläft", sagte Mia. Die Tür wurde leise geschlossen und ich spürte, wie sich die Matratze leicht senkte. Ich spürte, wie mir über die Haare gestrichen wurde.
"Da lernt sie einmal einen Typen kennen und dann geht das so schief. Was ein Idiot! Er weiß offenbar gar nicht zu schätzen, was er an ihr hat", regte sich Niko, diesmal deutlich leiser auf.
Seine Stimme war ganz nah, weshalb ich davon ausging, dass er derjenige war, der mir über die Haare strich.
"Ich finde, wir sollten ihm eine Lektion erteilen", fuhr Niko fort.
"Los gehts. Ich habe schon zehn verschiedene Rache-Aktionen im Kopf", sagte Mia.
"Stop. Noch ist es dafür zu früh. Hanna hängt noch zu sehr an ihm", widersprach Elsa.
Ich musste Elsa recht geben und war froh, dass sie die beiden bremste. Noch hing ich an Tom und wollte nicht, dass sie sich wegen mir mit ihm anlegten.
Diese ganze Sache mit Tom lehrte mich erneut, wie bescheiden Weihnachten doch war. Man war nur im Stress, und wenn man nicht gerade mit jemanden zusammen war, fühlte man sich mies, weil es nun mal das Fest der Liebe war. Es war ein totaler Konsumrausch geworden. Die einzigen, denen Weihnachten wirklich was brachte, waren die Geschäfte wegen der vielen Geschenke.
Apropos Geschenke. Ich musste Toms Geschenk dann wohl zurückgeben. Ganz sicher würde ich ihm nichts zu Weihnachten schenken. Nicht nach dieser Aktion.
"Okay", erklärte sich Niko einverstanden. "Aber Rache muss irgendwann sein."
Dann war es still und ich hörte nur noch das leise Ticken der Uhr. Ich versuchte zu schlafen, weil ich so müde und fertig war, doch es funktionierte nicht. Zu viele Gedanken wirbelten durch meinen Kopf und zogen mich immer tiefer in ihren Strom.
Ich dachte an die schönen Momente mit Tom. Unser erstes Treffen auf dem Weihnachtsmarkt, das erste Date ebenfalls auf dem Weihnachtsmarkt, das Plätzchen backen. Das Autofahren, die Schlittenfahrt mit Mia, Elsa, Jan und Luca, das Übernachten. Unser erster Kuss und dann fast unser erstes Mal.
In mir stiegen erneut die Tränen hoch und wollten sich ihren Weg bahnen, doch ich wollte nicht schon wieder vor meinen Freunden heulen. Ich wollte nicht bemitleidenswert sein.
"Lasst uns mal nach unten gehen und sie alleine lassen. Sie braucht Ruhe", sagte Elsa leise.
"Ich schreibe ihr nur kurz einen Zettel, wo wir sind", sagte Niko und ich hörte, wie er in meinen Schubladen kramte.
Fünf Minuten später waren sie gegangen und ließen mir meinen Freiraum. Kaum war die Tür geschlossen, flossen die Tränen in Strömen. Ich schluchzte auf und vergrub mein Gesicht im Kopfkissen, um ihn zu ersticken.
So elend hatte ich mich noch nie gefühlt. Es war schlimmer als Magen-Darm. Viel schlimmer. Ich setzte mich auf und griff nach der Schokolade. Es war Milkavollmilchschokolade. Im Stillen dankte ich Mia, dass sie mir meine Lieblingsschokolade geholt hatte.
Ohne es zu merken, aß ich die ganze Tafel auf, aber es interessierte mich nicht, ob ich ein paar mehr Kilos auf die Rippen bekam. Im Winter fiel das dank der dicken Pullover sowieso nicht auf.
Als ich mich wieder hinlegte und die Augen schloss, schlief ich schneller ein als ich gedacht hatte.
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Winter Wonderland (Adventskalender)
Novela JuvenilVolle Läden, verbrannte Plätzchen, purer Stress. Das waren die drei Gründe, wieso Hanna die Weihnachtszeit nie genießen konnte. So ist es auch dieses Jahr. Nur dieses Mal kommt es noch viel schlimmer. Sie muss auf einen Weihnachtsmarkt! Und als wär...