Er sah sie schon vom Weiten kommen. Sie war wie ein Wesen von einem anderen Planeten.
Fern, unnahbar und doch, nur wenige Meter von ihm entfernt.
Langsam und akribisch ließ er seinen Blick an ihr heruntergleiten. Sie trug einen grauen Mantel. Der Mantel war lang und groß. Etwas zu groß für dieses ihm so fremde Wesen. Sie hatte schwarzes Haar. Schwarz wie die stille, bedrohliche und doch wunderschöne Nacht. Diese langen, wilden Haare waren gekämmt, gezähmt und ordentlich hinters Ohr gesteckt. Sie hatte große, braune Augen. Wie die eines jungen Rehs. Und sie war dünn. Sie war klein und dünn.
Er wollte sie eigentlich nicht anstarren. Aber sie hatte etwas an sich das ihn fesselte und faszinierte. Etwas das ihn schneller Atmen ließ und ihm einen wohligen Schauer über den Rücken jagte.
Es hätte ihre Schönheit sein können, ihre Anmut und Grazie eines Rehs. Aber er wusste es besser.
Es war ihre Jugend und ihre Unschuld. Es waren ihre trippelnden Schritte auf dem Asphalt. Es waren ihre schmächtigen Hände, festgeklammert an ihrem Jackensaum. Es waren ihre Wimpern, wie die Beinchen eines Schmetterlings. Es waren ihre Lippen - rot wie ein reifender, frischer Apfel.
Es waren ihre Haare, die in dem leichten Wind, um ihre rosigen Wangen gewirbelt wurden. Und es waren ihre mädchenhaften Kurven, die nur zu erahnen waren, unter ihrem langen, grauen Mantel.
Sie sah ihn schon vom Weiten. Er war wie ein Wesen von einem anderen Planeten.
Fern, unnahbar und ihr so unglaublich fremd.
Schüchtern betrachtete sie ihn. Immer wieder darauf bedacht, den Blick nicht allzu lange auf ihm verweilen zu lassen.
Er trug einen schwarzen, teuer wirkenden Mantel der von goldenen Knöpfen zusammengehalten wurde, die jetzt im Licht der Sonne schimmerten. Seine im Ansatz grauen Haare hatte er ordentlich hinters Ohr gekämmt.
Er hatte grüne intensiv funkelnde Augen, die an die scharfen Augen eines Wolfes erinnerten.
Er saß aufrecht an dem Tisch und hatte seine Hände vor sich auf der Tischplatte gefaltet. Er starrte sie durchdringend an und als sie verlegen seinen Blick erwiderte, da verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln das kleine Fältchen an seinen Augenwinkeln zum Vorschein brachte.
Sie spürte wie ihre Wangen heiß wurden und senkte beschämt den Kopf.
Sie war schrecklich aufgeregt. Ihr kleines Herz pochte laut unter ihrer Brust und ihre zerbrechlichen Händchen krampften sich in den rauen Stoff ihres Mantels.
Wie oft hatte sie sich dieses Treffen im Kopf ausgemalt, wie oft hatte sie gebetet, dass alles richtig werden würde. Und jetzt saß er da. Steif, kontrolliert, aber mit diesem Lächeln im Gesicht. Sie fasste Mut, reckte ihr Kinn in die Luft und schaute ihm geradewegs in die Augen. Ja, sie war bereit ihn kennenzulernen. Sie wollte es.
Er stand auf um sie zu begrüßen. Seine langen, auffällig gepflegten Finger streckten sich ihren zerbrechlichen Händen entgegen.
Während sie darauf bedacht war, den Abstand zwischen ihnen groß genug zu halten, reichte sie ihm die Hand.
Er umschloss diese mit einem Lächeln und über seine Lippen kamen die Worte: "Es ist mir eine Freude, ich bin Michael"
Sie schlug ihre Augen nieder und murmelte leise in seine Richtung "Ich heiße Saida".
"Darf ich dir bei deinem Mantel behilflich sein?" fragte Michael und auf ihr Nicken hin, streifte er ihr die Jacke von den Schultern. Sie zuckte bei seiner Berührung leicht zusammen.
Er ignorierte dieses Zeichen der Unsicherheit und bot ihr einen Stuhl an. Saida ließ sich auf dem gepolsterten Stuhl nieder und beobachtete ihn dabei, wie er ihre Jacken aufhängte. Er hatte eine schmale Statur, doch seine Größe strahlte Autorität aus. Er drehte sich kurz um und als er ihren Blick bemerkte, zog sich sein rechter Mundwinkel schräg nach oben. Saida wurde nervös und streifte sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. Sie dachte an ihr Kopftuch. In diesem Moment vermisste sie es sehr. Es bot ihr Schutz, Sicherheit und Wärme.
"Wie fühlst du dich?" wollte Michael von ihr wissen, der jetzt wiedergekommen war und sich ihr gegenüber an den Tisch gesetzt hatte.
"Nackt", rutschte es ihr aus dem Mund. Im nächsten Moment bereute sie ihre Worte schon und lief rot an.
Michael musterte sie von Oben bis Unten. Unter ihrem Mantel trug sie ein schlichtes Kostüm, welches ihre Haut an keiner Stelle entblößte. Sie war züchtig gekleidet.
Michael fing an zu lachen. Humor hat sie, dachte er bei sich und zwinkerte ihr belustigt zu. Saida verfolgte mit großen Augen sein Gelächter und fing an, sich in ihrer Haut merklich unwohl zu fühlen.
Sie war hier um einen Mann kennenzulernen. Sie war hier um sich zu verlieben und dem Mann, dem sie gegenüber saß, fiel nichts besseres ein, als sie zu verhöhnen.
Als Michael ihr Unbehagen bemerkte, unterdrückte er seinen Lachanfall und schaute ihr tief in die großen, braunen Augen.
"Erzähl mir was von dir", forderte er sie auf "Was machst du gerne?"
Saida schaute ihn ebenfalls an. Kurz schaffte sie es seinen Augen standzuhalten, dann senkte sie ihren Blick wieder und antwortete - jetzt sogar mit einem Lächeln: "Kochen bereitet mir Freude. Und mit meinen Geschwistern zu spielen. Und ich liebe Bücher".
"Gut", erwiderte Michael, der sich eine Antwort dieser Art erhofft hatte "Ich spiele Tennis und Abends lese ich gerne mal einen Roman vorm Kamin. Wir können gemeinsam vorm Kamin sitzen und Bücher lesen"
Saida nickte und entspannte sich ein wenig. Sie griff nach der Tasse Tee die Michael ihr bestellt hatte. Der frische Duft nach Pfefferminz stieg ihr in die Nase und sie schloss die Augen, um ihn tief einzuatmen.
Michael beobachtete Saida, die mit ihren zarten Fingern die Tasse fest umklammerte und jetzt an ihre Lippen hob. Fasziniert folgte er ihren feinen Lippen die sich spitzten und den Tee langsam schlürften. Er stellte es sich vor, wie es wäre, ihre weichen Lippen auf seinen zu spüren. Und der Gedanke ihren jungen, verletzlichen Körper an sich zu pressen, erregte ihn. Michael atmete tief durch, um seine anstößigen Fantasien loszuwerden.
"Warst du schon mal in Europa?", fragte er sie mit heiserer Stimme, um auf andere Gedanken zu kommen. Saida setzte die Tasse Tee wieder ab.
"Nein, ich war noch nie außerhalb meiner Stadt"
Michael hatte mit dieser Antwort gerechnet. Ihr Horizont war so klein und bemessen. Er wollte ihn erweitern und sie zum Staunen bringen. So fing er an von fremden Ländern und Kulturen zu erzählen. Seine Schilderungen waren bunt und lebendig und an manchen Stellen auch etwas übertrieben. Aber Saida lauschte ihm gespannt. Seine Worten waren spannend und fesselnd, doch machten sie ihr Angst. Es klang alles fremd und ungewohnt. Plötzlich fühlte sie sich so unglaublich klein und verloren, wie ein Staubkorn auf den dreckigen, grauen Straßen ihrer Stadt.
Michael bemerkte wie Saida an seinen Lippen hing. Er hatte es wahrgenommen, wenn sie ungläubig den Kopf schüttelte oder ihre zierlichen Lippen sich vor Staunen öffneten.
Er endete seine Erzählungen und schaute sie an. Er konnte seine Augen nicht mehr von ihr lösen. Sie war einfach wunderschön. Unschuldig, zerbrechlich. Ihre unberührte Jugend, berührte sein verbrauchtes Innerstes.
Er dachte an Zuhause. An sein großes leeres Haus und die einsamen Nächte in seinem Bett.
"Ich möchte dich heiraten!", platze es aus ihm heraus " Du bist die Richtige. Ich will dich haben".
Er griff nach ihren Händen und hielt sie ganz fest. Saida verkrampfte. Sie unterdrückte den Drang ihm ihre Hände zu entziehen. Auf diesen Satz hatte sie gewartet. Sie hatte ihn gefürchtet und darauf gehofft. Sie hatte ihn verflucht und darum gebetet. Und jetzt, wo sie ihn ausgesprochen hörte, da wünschte sie sich, ihn nie gehört zu haben. Dieser Satz rettete ihrer Familie das Leben, doch ihres zerstörte er. Es war ihr Schicksal, schon von Geburt an. Sie wurde verkauft, wie Vieh auf dem Markt. An den Mann ihrer Träume - und Albträume.
Der Wolf hatte gewonnen. Das Reh war gefangen und bereit, zerlegt zu werden.
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Blind Date
Short StoryKann sie einer Bestimmung entfliehen, die Segen und Fluch zugleich ist?