Kapitel 25

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Jess Glyne - My love (Acoustic)

Freitag, 5. April

Als meine Schwester damals gestorben ist, habe ich mich wie ausgewechselt gefühlt. Es war so unreal, ich habe es ewig nicht realisieren können, doch sie kam einfach nie nach Hause. Ich habe es mir bis heute nicht verziehen, ihr nicht oft genug gesagt zu haben, wie sehr ich sie liebe. Sie war noch so jung, wieso musste sie schon so früh gehen? Ich meine, sie hat nichts erlebt, nichts von der Welt gesehen. Ich bin nicht viel älter, aber ich habe mein bisheriges Leben mit dem Gedanken an ein Ende gelebt, da es für mich denkbar war zu sterben. Aber sie? Laila hätte beim besten Willen nichts ahnen können, was wahrscheinlich auch besser so war. Ich würde am liebsten sagen, es sei nicht fair, aber über Fairness im Leben habe ich oft genug nachgedacht. Ich möchte allen noch schreiben, damit sie eine Erinnerung behalten, ich möchte Worte verfassen, die ich nicht aussprechen kann.

Rückblick:

"ROSE!" Ich höre meine Mutter schreien, sie weint, ruft hysterisch um sich. Irgendetwas ist passiert! "Mum, was ist? Was ist passiert?" Mein Vater sitzt da, schweigt, sein Blick ist leer, als hätte er einen Geist gesehen. "Sie hatten einen Unfall. Sie ist im Krankenhaus." Laila!

"Nein, das darf nicht sein, nein!" Ich schluchze laut auf und sinke zu Boden. Ein tiefer Schmerz macht sich in meiner Brust bemerkbar. Es fühlt sich an als würde jemand ein Stück meines Herzens herausreißen und es gebrochen zurück lassen. Das Brennen geht nicht weg. Tränen laufen mein Gesicht herunter und ich sehe nichts mehr als einen verschwommenen Umriss meiner Eltern. Dad sagt immer noch nichts. Er soll was sagen! "Papa, sag doch was!" Ich weiß nicht, warum es mich so sauer macht, dass er sich nicht rührt, aber es lässt mich vor Wut kochen.

"Los, wir fahren." Und mehr kommt nicht von ihm. Meine Mutter so zu sehen, bricht mir noch weiter das Herz. Es ist ihre Tochter. Vielleicht wird alles gut, sie ist im Krankenhaus. Sie wird es überleben. Meine kleine Laila muss das überleben. Alles wird gut werden. Es muss gut werden.

"Guten Morgen, Rose", höre ich meine Mutter. Es fällt mir schwer die Augen aufzumachen. Mir ist heiß und ich habe das Gefühl, dass ich Blut überströmt bin.

"Hi." Ich spüre ihre warme Hand auf meinem Arm. "Blute ich?"

"Nein, Schatz, alles ist gut. Brauchst du etwas?" Ich habe keine Schmerzen, weshalb ich meinen Kopf einfach nur schüttle. Sie streicht mir sanft über meine Kopfhaut, so wie es früher immer gemacht hat. Reden ist schwer. Die Sonne blendet mich. Ich mag das Gewicht von Mums Hand in meiner.

"Rose, weißt du, wenn es gehen würde, würde ich mit dir tauschen. Mein größter Wunsch ist es dich vor all dem zu bewahren. Aber ich kann es nicht, das macht mich immer wieder nachdenklich. Es steht einfach nicht in meiner Macht."

"Cooper mein Name. Wo ist meine Tochter? Laila! Wo ist sie?"

"Beruhigen Sie sich Mam'. Ich schaue nach, wo ihre Tochter liegt."

Mum fängt an zu schreien, sie kriegt sich kaum mehr in den Griff: "Beeilen Sie sich, ich will wissen wo meine Tochter ist! Wo mein kleines Mädchen ist!"

"Sie liegt in Zimmer A12. Das ist..." Doch weiter kommt die Schwester nicht, da meine Mutter mich mit sich reißt und zur Tür sprintet. Sie macht die Tür für uns auf und Dad kommt nach uns herein. Da liegt sie. Ihre Augen sind zu und sie hängt an Geräten. Ich kenne das, die erhalten sie am Leben. Mir kommen erneut die Tränen. Meine Kleine...

"Hallo, sie müssen die Familie sein, mein Name ist Dr. Stevenson. Laila hatte starke innere Blutungen und Quetschungen. Gerade wird sie künstlich beatmet, ihr Herz schlägt nicht von alleine und es ist schwer zu sagen, ob es jemals wieder anfangen wird zu schlagen. Ich als ihr betreuender Arzt muss ehrlich zu Ihnen sein, weshalb ich Ihnen raten würde, ihre Tochter nicht länger zu quälen. Mein Beileid, so etwas sollte niemand miterleben."

Ich muss hier raus. Das darf nicht passieren. Nicht meine Laila.

Noah setzt sich zu mir ans Bett. Er hat mir versprochen, dass er mich bis an Ende begleitet.

"Noah, ich lasse dich raus." Ich sehe seine Angst, wenn er mich berührt, ich sehe es in seinen Augen.

"Scht, du sollst dich nicht belasten. Alles ist gut, mach dir keine Sorgen um mich!"

"Nein, echt, ich gebe dich frei."

"Und was wenn ich nicht frei sein will?"

"Dann nehme ich dir trotzdem die Versprechen ab, ob du dann immer noch da bist, ist deine Entscheidung, aber ich möchte nicht, dass du dich selbst zerstörst."

Das grelle Licht blendet mich und tut weh, alles ist viel zu hell. Ich schließe meine Augen wieder.

23:14 Uhr. Zeitpunkt des Todes. Meine Schwester ist tot. Sie ist weg. Für immer weg. Nie wieder werde ich sie sehen. Nie wieder werde ich ihr Lachen hören. Nie wieder werde ich ihr durch die Haare fahren. Nie wieder werde ich ihr Frisuren machen. Nie wieder werde ich mir ihr spielen. Nie wieder werde ich sie bei mir haben. Sie ist tot. Und ich bin da.

Dad sitzt neben mir und trinkt seinen Tee. Ich weiß nicht, wie spät es ist. Verpasst er gerade die Nachrichten? Ich weiß es nicht. Auf den Tee hätte ich auch gerne Appetit, aber den habe ich nicht. Geschmack wäre toll, aber er ist nicht da. Er stellt seine Tasse ab, schaut mich lächelnd an und flüstert: "Wie wunderschön du bist." Ich bedanke mich, langsam weiß ich nicht mehr, ob meine Worte ankommen, denn ich habe nicht das Gefühl, dass sich meine Lippen bewegen.

Es ist Wochenende. Lailas Beerdigung. Ich sehe sie noch ein letztes Mal. Sie hat ein leichtes Lächeln im Gesicht. Der Pfarrer hält bestimmt eine schöne Rede, ich kann ihm nicht zuhören, ich schaue ausschließlich Laila an. Sie ist so schön. So jung. Ich schaue sie so lange an, bis der Sarg zu ist. Tschüss, mein Schatz. Mum nimmt meine Hand und wir werfen unsere Rosen auf den Sarg. Ich liebe dich Laila, das werde ich immer tun. Ruhe in Frieden, meine kleine Maus.

Ryan späht durch die Tür.

"Hallo. Wie geht es dir?"

Ich blinzle ihn an, woraufhin er sich auf den Stuhl neben meinem Bett setzt. Er schaut mich eindringlich an, als würde er meine Gedanken lesen wollen.

"Kannst du nicht mehr reden? Ich vermisse deine Stimme."

Ich schließe traurig meine Augen. Ich versuche die Worte 'Natürlich kann ich' herauszubringen, aber es kommt nur ein Hauchen aus meinem Mund. Er schaut verlegen auf den Boden. Ich hasse es ihn so zu sehen. Ich nehme seine Hand und versuche sie zu drücken. Hoffentlich merkt er was. Er drückt zurück. Ich will seine Hand nicht loslassen.

Wir fahren nach Hause. Es ist still. Keiner sagt etwas. Wir sind wie ausgewechselt. Nichts wird mehr wie früher sein. Nie wieder. Ein Teil von uns fehlt und keiner kann diesen Teil ersetzen.

Es fühlt sich gerade an, als würde man alle Lichter in einem Haus nacheinander ausmachen.

Why I fell in love with youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt