Scherben

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Das erste Mal habe ich ihn vor zwei Wochen gesehen. Ich bin mit dem Zug zur Uni gefahren, weil ich an diesem Tag Migräne hatte und ziemlich fertig von der letzten Partynacht war. Während ich, mit schnellem Gang, zum Campus lief bemerkte ich ihn hinter mir.
Erst hatte ich nur auf den Boden geschaut, um mich irgendwie vom pochenden Geräusch meines Schädels abzulenken. Doch irgendwie musste er meine Aufmerksamkeit erregt haben, denn ich schaute ihm plötzlich genau in die Augen und bin kurz zusammen geschreckt.
Keine Ahnung warum. Echt nicht. Ich frage mich immer noch, warum ich Schiss hatte. Aber es war nun mal so. Bauchgefühl vielleicht.
Seine dunkelbraunen Augen, die mich an Kastanien erinnerten, stachen mir ins Gehirn und durchbohrten meine Seele. Ja ich glaube an Liebe auf den ersten Blick. Ja ich glaube an Schicksal. Und wer weiß, vielleicht gibt es dann ja auch so etwas, wie eine Art Bann auf den ersten Blick? Es waren nur ein paar Sekunden, in denen er mich und ich ihn musterte. Doch sie hatten bei mir deutliche Spuren hinterlassen.
Den ganzen Tag dachte ich über diesen scheiß Typen nach. Den Typen, der von oben bis unten schwarz gekleidet war. Gut, das ist in der heutigen Zeit nun wirklich nichts besonderes mehr. Doch irgendetwas störte mich an diesen Jungen. Irgendetwas fand ich besonders.
Sonst hätte ich vermutlich niemals, den ganzen Tag philosophiert, wer er war und warum er mir nachgeschaut hatte.
Ja okay, ich weiß auch das ist vielleicht nichts besonderes, schließlich schauen zig Männer Frauen in meinem Alter nach.
Trotzdem ich blieb dabei. Irgendetwas war anders.
Vielleicht aus diesem Grund nannte ich ihn den Jungen in Schwarz. Ziemlich poetisch, ich weiß.
Drei Tage nachdem ich ihn zum ersten Mal am Campus sah, und ihn schon fast aus meinem Gedächnis verbannt hatte traf ich ihn wieder. Es war in der Bib. Bibiothek, für alle nicht Neunmalklugen, nerdigen Studentenschleimer. Ich suchte gerade nach einem passenden Buch, dass mich perfekt auf die bevorstehende Prüfung vorbereiten konnte. Und dann war er hinter mir.
Ich spürte seine Hand an meinem Rücken. Hätte ich da nicht schon Angst bekommen sollen? Irgenjemanden das erzählen sollen? Doch irgendwie fand ich diese Berührung gut. Gut. Scheiß Wort dafür, das mir eine Gänsehaut den Rücken hochkroch und mein Herz aus dem gleichmäßigen Takt rutschte. Ist es ein wenig abartig, dass ich sagen kann, dass es mir gefiel? Mir gefiel es, dass mich ein fremder Junge anpackte. Gleichzeitig verspürte ich widerum den Drang rauszulaufen, was ich schließich tatsächlich machte. Danach war es um mich geschehen.
Ich sah Tag und Nacht seine Kastanienaugen und seinen, zugegebenermaßen muskulösen Körper (das hatte ich, durch die kurze Berührung genaustens analysiert), vor mir. Von da an beobachtete er mich jeden Tag. Ich frage mich echt warum ich nicht die Polizei rief, es nicht meinen Eltern oder meinen Freunden erzählte. Gut meine Eltern fielen weg. Die liebten nur ihren Beruf, ziemlich typisch für ein verwöhntes Gör, wie mir, ich weiß. Deshalb möchte ich keinesfalls, wie meine steifen Eltern werden, anderen Menschen helfen und Medizin studieren. Naja ich schweife ab.
Jedenfalls habe ich Freunde. Ja. Trotzdem hatte ich irgendwie das Gefühl ich müsste es für mich behalten. Ein Geheimnis zwischen mir und dem Typen. Krank, ich weiß. Ich kann es auch nicht wirklich erklären, aber es war einfach so. Punkt. Jetzt betrachtet war es die dümmste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich wurde entführt und sitze in diesem dunkelen Raum. Und das alles nur, wegen dem Jungen in schwarz.

Doch der erste wirkliche Kontakt mit dem Jungen war ja erst vor genau vier Tagen. Wie gesagt, hatte ich ihn vorher jeden Tag auf dem Campus gesehen. Er lehnte sich manchmal am Zaun an, spielte mit seinem Handy, aber stets wenn ich ihn anschaute erhob er auch seinen Blick und starrte mir in die Augen. Keiner schien ihn wirklich zu bemerken. Als ich mit Nicki, Rosa, David und Luis im Café war und er auch dort draußen auf einer Bank hockte, versuchte ich das Thema dort hin zu steuern. "Habt ihr auch manchmal das Gefühl, beobachtet zu werden?", wagte ich anzufangen.
Sie schauten mich verwirrt an. "Luna was haste schon wieder für psychische Anfälle?", grinste Nicki. Ich rollte mit den Augen, musste aber ein wenig Lächeln. Wenn hier einer Psycho war, dann Nicki. "Ne ich meine ja nur. So ein bisschen, wie ein Stalker halt." David lachte.
"Stalker? Ist nicht dein Ernst?" Ein wenig schockiert war ich schon, dass sie es kein bisschen Ernst nahmen. Klar wussten sie, dass ich immer ein wenig paranoid war und mir Sachen und Menschen einbildete, aber das war echt. Und dann sah ich schon wieder in dieses geheimnisvolle Augenpaar. Meine Freunde wechselten das Thema zu den bevorstehenden Prüfungen, was mir ziemlich Recht war, denn genau in dem Moment stand der Junge auf und ging zur Bar. Ich haderte kurz, bevor ich wirklich auf die Bar zu ging. Ich setzte mich neben ihn und bestellte ein Wasser. Er musterte mich wieder. Nach einer halben Ewigkeit und zehn kleinen Nippen an meinem Wasserglas später, sprach ich ihn an. "Hi." Ich lächelte. Er nickte. Kein einziges Wort huschte über seine Lippen. Ich hatte es weiter versucht. "Kommst du von hier? Ich meine, dass ist unser Stammcafé und ich hab dich noch nie zu vor hier gesehen." Ohh krass, im Nachhinein hörte es sich noch dümmer an, als es mir in diesem Moment bewusst war. "Ja bin ich." Sehr gesprächig war er nicht. Irgendwie geheimnisvoll. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich auch nicht, wer er war und was er vor hatte.
Er schaute auf sein Cola Glas, dass noch halbvoll vor ihm stand. "Du studierst?", fragte er mich nach einer Weile. Ich schreckte überrascht auf. "Ähh ja. Warum?" Ich konnte so etwas noch nie. Gespräche oder Flirterein mit fremden Personen. Weiß nicht, fiel mir irgendwie schwer. Er lächelte. Ich kann mich noch genau an das Gefühl erinnern, dass ich in dem Moment verspürt hatte. Wie er mich so ansah. Ein Kribbeln. Eine Achterbahnfahrt. Und ich kannte ihn kaum. Gut, eigentlich kannte ich ihn gar nicht. "Ich hab dich in die Uni laufen sehen." Ich nickte.
Ja, ja so wie er das sagte, waren unsere Begegnungen ganz zufällig, was ich kein Stück glaubte. "Medizin.", antwortete ich ein wenig stolz.
"Ich weiß." Damit stand er auf, legte einen fünf Euro Schein auf den Tresen und verabschiedete sich mit einem "Geb ich dir aus." Die Tür fiel leise zu. Ich sah ihm durch die Fensterscheibe hinterher. Er grinste und guckte auf den Boden, während er schnell vorbei lief.
"Woher weiß er das?", murmelte ich und sah auf den dunkelbraunen Barhocker, auf dem der Junge in schwarz, bis gerade saß. Stalking, hatte ich gedacht, war vielleicht doch nicht so eine falsche Einschätzung. Ich ging wieder zu meinen Freunden, die scheinbar gar nicht mitbekommem hatten, dass ich kurz weg war und setzte mich. Ich war verunsichert. Was hätte ich denn auch tun sollen? Zu mal mich der Junge so dermaßen fasziniert hatte, wie niemand anderes zuvor. Gut, der Kontakt zu männlichen Lebewesen war bei mir auch ziemlich gering.
Nach einer halben Stunde hatte ich mich von meinen Freunden verabschiedet. Es war mittlerweile dunkel und ziemlich kalt. Ich kuschelte mich in meinen dicken Schal und lief die Straße entlang. Ich hasse Dunkelheit, über alles. Vielleicht habe ich auch so etwas, wie Verfolgungswahn. Die letzten Meter rannte ich zu meiner Wohnung, die ich hektisch aufschloss. Eigentlich wohnte ich dort mit zwei anderen Freunden, die aber momentan ihre Liebe in Ägypten besiegelten. Also war ich an diesem Abend alleine. Das war der fatale Fehler.
Ich schaltete sofort den Fernseher an, um mich nicht so einsam zu fühlen und schmierte mir zwei Brote. Währenddessen versuchte ich nicht über diesen Typen nachzudenken, was mir durch 'Exclusive-Weekend' gelang. Interessiert hatte ich der jungen Moderatorin zugesehen, die über diverse Promi Beziehungen philosophierte.
Dann hatte es das erste mal geklopft. Ich stand auf und schaute durch den Spion. Hinter der Tür stand ein schwarz gekleideter Typ. Das Gesicht konnte man nicht sehen, da er eine ebenfalls schwarze Maske trug. Mein Herz pochte, als hinter ihm noch zwei andere erschienen. Schnell ging ich von der Tür weg. Ein zweites Klopfen. Tatsächlich lief mir eine Schweißperle den Rücken herunter.

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