Gone Away

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Federleicht gleiten meine Finger über die einzelnen Grabsteine, welche alle weiß und quadratisch sind. Sie gleichen dem Nächsten, genauso wie es die Menschen tun, die unter den Boden gebracht worden sind.

Relativ weit hinten dieses großen Platzes bleibe ich stehen und starre auf den weißen Stein.
Ein einziger Stein.
Keine Blumen, keine Sträucher. Nur ein Grabstein, der sein Namen trägt.

Min Yoongi
Geboren: 9. März 1993
Gestorben: 29. September 2017

Das war's. Mehr nicht.

Unschlüssig schaue ich mich um und erkenne ein paar Menschen, die ebenfalls Verstorbene besuchen.
Man kann sie nicht übersehen. Die Grabsteine reichen maximal bis zu den Knien und der kilometerlange Friedhof ist eine flache Ebene, sodass man vom Anfang bis zum Ende schauen kann.

„Okay, Yoongi. Machen wir das, was mir mein Therapeut empfohlen hat." murmel ich vor mich hin und setze mich vor den Stein.
Ich lege den bunten Blumenstrauß vor das kleine Denkmal und lächel leicht.

„Als wir..." Ich stocke kurz. „Als ich aus dem Krieg wieder kam, ging ich direkt zur Therapie. Na gut, ich wurde eingeliefert, aber jetzt bin ich wieder draußen. Passend zu deinem Todestag. Schön, oder?"
Ich starre die bunten Blumen an und seufze leise.

„Ich fühle mich so dämlich. Ich rede mit einem Stein. Und das soll mich therapieren." lache ich traurig. „Ich vermisse dich. Jeden Tag wache ich auf und freue mich aufzustehen, aus dem Fenster gucken zu können und dich im Nachbargarten sitzen zu sehen, wie du genüsslich deinen Kaffee trinkst und wie Joowon durch den Garten läuft, weil er ein Schmetterling gesehen hat. Und im nächsten Moment wird mir klar, dass ich dich nie wieder sehe."
Schluchzend wische ich mir die Tränen, die über meine Wangen fließen, weg und hole aus meiner Jackentasche seine Erkennungsmarke heraus, die alle Soldaten tragen. Genau wie ich.

„2017, wir beide im Irak. Ich weiß noch, wie wir damals auf dem Sofa lagen, die Nachrichten gesehen haben und uns die Idee kam, dass wir auch zum Militär gehen sollten. Um die Welt zu verbessern. Und was hat es genützt?"

Wir sind gleich im Kriegsgebiet." erklärt einer der Soldaten durch das Funkgerät, welches ich an meiner Schulter auf der schweren Rüstung befestigt habe.
Bis jetzt sieht hier alles in Ordnung aus." melde ich und drehe mich um.

Zwei große gepanzerte Wagen fahren im Schritttempo hinter mir her, in denen jeweils zwei Soldaten im Inneren sitzen und einer auf dem Dach am Maschinengewehr.
Noch zehn Meter."

Ich drehe mich um und höre etwas lautes Piepen, weshalb ich blitzartig auf den Boden schaue und schließlich zu den Fahrzeugen.
Keine Sekunde danach entsteht eine solche Druckwelle, dass ich augenblicklich nach hinten fliege.

Ein Schmerzstoß durchfährt meinen Körper, jedoch richte ich meinen Helm und stehe schwermütig auf.
Die Wagen stehen in Flammen und scheinen explodiert zu sein.

Nein. Nein, nein, nein, nein, nein." nuschel ich vor mich hin und laufe auf die Gefährte zu. Warme Tränen säubern meine Wangen vom Schmutz.

Jimin, halt!" schreit ein Mann und hält mich an der Brust fest. Ein Zweiter kommt ebenfalls hinzu und gemeinsam drücken sie mich von dem Unfall weg.
Ich muss zu Yoongi! Soldat 20385! Ich muss zu ihm! Er lebt noch, bitte!" schreie ich und versuche mich von den Männern loszulösen.

Eine erneute Explosion wird entfacht, weshalb ich zusammenzucke und auf die emporsteigenden Flammen schaue.
„Yoongi!" schreie ich so laut ich kann, befreie mich aus den Griffen und sprinte zu den Wagen.

Verbrannte Körper liegen in den Autos oder außerhalb, ansonsten laufen nur Sanitäter durch den Anschlagsort.
Und da liegt er. Abseits des Feuers.

Yoongi." flüster ich, als ich ihm näher und lasse mich auf meine Knie fallen. „Wach auf!"
Ich schüttel seinen Körper, jedoch regt er sich nicht.
Mein Blick wandert seinen Körper hinunter und nun sehe ich auch den Grund dafür.

Ein großes Blechstück steckt in seiner Hüfte, welches blutverschmiert ist und auch der Boden hat sich rot verfärbt, genauso wie seine Rüstung.

Tu mir das nicht an." hauche ich und lege meinen Kopf auf seine Brust. „Ich brauche dich. Joowon braucht dich. Du darfst mich nicht verlassen. Du hast es mir versprochen!"

Immer mehr Tränen verschleiern meine Sicht und letztendlich lasse ich von ihm ab und streiche ihm zum letzten Mal über die Wange.
Meine Finger wandern zu seinem Hals, wo ich seine Erkennungsmarke entferne und ihn das letzte Mal anschaue. In sein lebloses Gesicht, welches mit Asche beinahe rabenschwarz ist und es ihn somit fast nicht wiedererkennbar macht.
Die Kette in meiner Hand glänzt jedoch in der Mittagssonne.

MinYoongi
20385
09.März 1993

„Es war mein Fehler." schluchze ich mit brüchiger Stimme. „Ich habe die Landmiene nicht gesehen! Ich habe dich dem Schicksal überlassen und dich somit getötet. Ich konnte dir nicht einmal auf Wiedersehen sagen, sagen wie sehr ich dich liebe und dich einfach nur im Arm halten. Ich war zu spät. Ich war nicht dabei, als du verblutet bist. Als du gestorben bist. Du bist alleine gestorben."
Ich wische mir über das Gesicht und schaue in den Himmel.

„Ich schaffe es nicht ohne dich. Wieso ist es so schwer zu leben? Ich brauche dich. Wieso liege ich nicht hier? Du hast es nicht verdient, du solltest glücklich werden. Wir sollten glücklich werden!"
Meine Brust schmerzt voller Trauer und ich ziehe meine Beine an meinen Körper. „Ich brauche dich!"

Wenn wir das wirklich durchziehen, musst du mir versprechen, dass wir in einem Stück nach Hause kommen und wir dann zusammenziehen. Meinetwegen ziehe ich dann auch zu dir." grinse ich breit und schaue Yoongi an, der seine Papiere für den Militärdienst in den Händen hält.

Versprochen." lacht er und sieht mich an. Womöglich hat er mein besorgten Blick erkannt. „Jimin, wir werden nicht sterben, klar? Ich bleibe für immer bei dir und du bleibst für immer bei mir."
Ein kleines Lächeln huscht über mein Gesicht, worauf ich zustimmend nicke.
Ich liebe dich. Ich werde es dir jeden Tag sagen."

„Es hat nicht mal 3 Monate gedauert. Dann warst du weg." nuschle ich und lasse die Kette auf seinen Grab fallen. „Wie sehr ich es mir gewünscht habe, dass mich irgendjemand abschießt."

Leise Schritte richten meine Aufmerksamkeit auf sich, weshalb ich in diese Richtung schaue und eine junge braunhaarige Frau erkenne, die einen vierjährigen Jungen an der Hand hält.

„Jimin!" freut sich das Kind und läuft auf mich zu, um seine kleinen Arme um mich zu schlingen.
„Wie geht es dir, Joowon? Erkennst du noch deinen Onkel?" lache ich leicht und wische mir meine Tränen weg.

Der Kleine löst sich von mir und nickt schnell.
„Du siehst deinem Vater so ähnlich." murmel ich und streichel kurz seine Wange. „Ich hoffe, du wirst auch so ein großartiger Mann, wie er es war."

Mein Blick wandert zu Yoongis Exfrau Sowon, die mich mit tränenden Augen anlächelt und sich schweigend neben sich setzt.
Joowon nimmt auf meinem Schoß Platz und gemeinsam schwelgen wir in Erinnerungen über Yoongi und erzählen dem kleinen Engel auf meinen Beinen, wie großartig sein Vater doch war.

Die Welt fühlt sich ohne dich kalt an, jedoch werde ich kämpfen, bis die Zeit gekommen ist und ich endlich zu dir kommen kann.
Denn noch ist der Himmel zu weit entfernt.

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Ich hatte das in meinen Gedanken eigentlich cooler vorgestellt, aber ich habe beim Schreiben trotzdem mega geheult, also joa xD

Geschrieben: 27. Dezember 2018

Yoonmin OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt