-Aves-
Ohne jede Ahnung, was sie jetzt tun sollte und mit dem Wissen, dass ihre Freunde nicht für sie da waren, wenn sie sie brauchte, suchte sie Hilfe bei ihrer ehemaligen besten Freundin. Camberlynne hatte sie schließlich noch nie im Stich gelassen. Aber scheinbar hat sie selbst einen so netten und normalerweise hilfsbereiten Mensch gegen sich aufgebracht.
'Wenn keiner für mich einstand, muss ich wohl selbst handeln',beschloss sie in Gedanken. Also wollte sie ihren Fehler wieder gut machen, indem sie selber vom Boot sprang. Dabei behinderten sie ihr Kleid und ihre Schuhe, aber das bemerkte sie gar nicht.Zuerst berührten ihre Fingerspitzen die Wasseroberfläche, dann tauchten ihre ganzen Hände unter, ihr Kopf folgte ihnen und schließlich verschwand ihr ganzer Körper im kühlem Nass. Sie hasste tauchen genauso wie schwimmen. Aber sie würde Jacks Bruder retten, selbst wenn er jetzt seltsamerweise etwas von ihr wollte. Dieser Sinneswandel war wahrscheinlich eh drogenbedingt. Deswegen war Ashton auch immer so unberechenbar gewesen und hatte oft irrational gehandelt.
Obwohl, wenn Aves es sich recht überlegte, war Jack nicht anders, und dieser nahm, trotz seinem Bruder, der ihm manchmal etwas zusteckte, keine Drogen.
Aber sie konnte Ashton nirgends entdecken, sie war bloß von Wasser umgeben. Je tiefer sie tauchte, desto panischer wurde sie. Denn als sie das letzte Mal so tief unten war, war als ihre Mutter versucht hatte, es ihr beizubringen. Es war auch im Meer gewesen, aber dort war es nicht so tief herunter gegangen wie hier. Und als sie es nicht geschafft hatte, wieder aufzutauchen, war ihre Mutter da gewesen und konnte sie herausfischen.
Doch ihre Mutter war nicht hier und war überhaupt nicht mehr am Leben. Sie war nicht da, um Aves wieder hochzuziehen. Anderseits, je tiefer sie ging, desto eher würde sie sie wiedersehen. Ihre Mutter würde sicher schon auf sie auf der anderen Seite warten.
Also schloss sie ihre Augen und öffnete ihren Mund. Ob sie jetzt sterben würde oder in ein paar Tagen verdursten würde, machte keinen Unterschied mehr für sie. Abgesehen davon, dass sie dann sich nicht vor den anderen wegen des Mordes an Ashton verantworten müsste und dass sie mehr Zeit mit ihrer Mutter verbringen könnte.
Ihre Lungen füllten sich mit dem Salzwasser, welches ein starkes Stechen verursachte. Mit den wachsenden Schmerzen in ihrem Brustkorb wuchsen ihre Zweifel, ob ihre Entscheidung die richtige gewesen war. Es wäre nicht zu spät, aufzutauchen und die anderen um Vergebung zu bitten. Wahrscheinlich würden sie ihr verzeihen. Vielleicht würde sogar bald Hilfe kommen und sie würde schon bald wieder bei ihrem Vater sein. Dieser würde sie in seine Arme schließen und ihr Leben würde relativ normal weitergehen.
Aber wenn Aves eine Entscheidung getroffen hatte, war sie viel zu stur um sich umzuentscheiden.Inzwischen war sie am Meeresgrund angekommen und seit 20 Sekunden dringte Wasser in ihren Körper ein. Obwohl das höllische Brennen in ihrer Brust jetzt schon nicht mehr auszuhalten war und es von Sekunde zu Sekunde schlimmer wurde, redete sie sich selbst ein:'Es dauert nicht mehr lange bis du dein Bewusstsein verloren hast...'
Plötzlich wurde ihre Hand berührt. Fast überzeugt davon, dass es die Hand ihrer Mutter war, die sie in den Himmel geleiten wollte, ließ sie sich ohne Widerstand zu leisten nach oben ziehen.
Erst als sie sich selbst stark husten hörte und daraufhin ihre Augen öffnete, bemerkte sie, dass sie noch lebte. Sie blickte in Ashtons Gesicht, der sie gerade anlächelte und sich wie Aves an der Wasseroberfläche befand.
"Also entweder findest du mich so attraktiv, dass du mich um jeden Preis retten wolltest, oder du würdest lieber sterben, als mich je wiederzusehen. Welche der beiden Optionen trifft zu?",fragte er sie. Doch statt zu antworten, starrte Aves ihn perplex an. Zum Glück lenkte Abigail in diesem Moment die Aufmerksamkeit auf sich.
"Habt nicht den ganzen Spaß ohne mich!" Sie zog ihr enges Kleid aus und sprang in Unterwäsche ins Wasser. Damit landete sie genau zwischen Ashton und Aves.
"Hey, das Wasser ist gar nicht so kalt, kommt auch rein", lud Abigail die anderen ein. Zögerlich folgte der Rest der Clique, Luke und Camberlynne blieben auf dem Boot. Aber das kümmerte Aves nicht. Alex riss einen kleinen, losen Holzbalken ab.
"Fang, Aves!",rief er und warf ihn ihr zu. Immernoch mehr abwesend als anwesend fing sie das nasse Holz.
"Ich steh' frei",meinte Alessia und streckte die Arme in die Luft. Als würde sie an Fäden hängen, schleuderte Aves das Holzstück zu ihr. Ashton erklärte sich dazu bereit, das erste Schweinchen in der Mitte zu sein und so begann das Spiel. Wie kleine Kinder warfen sie einander den 'Ball' zu und freuten sich, wenn ein anderer in die Mitte musste. Schon bald war Aves wieder vollständig im Leben angekommen und sie tat wie die anderen so, als wäre nichts passiert, weder die seltsame Aktion von Ashton, noch Aves' Selbstmordversuch. Mit Spielen wie diesen, mit Wettschwimmen und -tauchen und mit einander Nassspritzen schafften sie es irgendwie sich die Zeit zu vertreiben, ohne sich zu langweilen.Die Sonne stand schon ziemlich tief, als Aves mal eine Pause brauchte und sich wieder ins Boot setzte. Während sie ihre Haare auswringte, sprach sie auf einmal Camberlynne an:
"Ich verstehe dich echt nicht, Aves. Wie kannst du nur einfach so mit diesen Leuten Kinderspiele spielen, die überhaupt nicht für dich da waren, als du sie brauchtest?"
"Soll ich lieber Trübsal blasen?",stellte sie eine Gegenfrage. "Außerdem warst du genauso wenig für mich da gewesen. Statt mir Vorwürfe zu machen, könntest du dich zum Bespiel entschuldigen",sagte sie entschlossen. Damit beendete sie ihre Pause und sprang zurück ins Wasser.
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Far away #wingaward2019 #TheIndividuals2019 #ColourAward18 #RainbowAward2019
Teen FictionEs sollte ein wunderschöner und unvergesslicher Abschluss einer langen Reise werden. Zur Feier ihres geschafften Schulabschlusses machte die gesamte Stufe einen Ausflug aufs offene Meer. Am letzten Abend der Kreuzfahrt wollte Aves sich endlich trau...